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Matthias Rammig, Felix Thumm (v.l.n.r.)

STYLEPARK ISH
Smarte Strategien

Vom 13. bis zum 17. März 2023 findet die ISH, die Weltleitmesse für Wasser, Wärme, Luft, in Frankfurt am Main statt. Zu diesem Anlass sprachen wir mit den beiden Fachplanern Matthias Rammig und Felix Thumm von Transsolar über sinnvolle Smart Building Lösungen im Bereich Wasser und Energie für Bestandsbauten.
24.02.2023

Alexander Russ: Ein Thema der diesjährigen ISH sind Lösungen, die zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen und einen effizienten Umgang mit Ressourcen ermöglichen. Welche sinnvollen Smart Building Lösungen gibt es in den Bereichen Wasser und Energie für Bestandsbauten?

Matthias Rammig: Das Wichtigste zu Beginn eines Bauvorhabens ist eine smarte Planung. Das heißt, man überlegt sich genau, welche Maßnahmen den größten Effekt haben, um Energie einzusparen und den Komfort zu verbessern. Dafür muss man die Schwachstellen eines Gebäudes finden und effiziente Lösungen entwickeln, um möglichst viel CO2 einzusparen.

Felix Thumm: Der Begriff "Smart Building" wird oft so verstanden, dass das gesamte Gebäude über das Smartphone gesteuert wird. Smart Building bedeutet unserer Meinung nach aber eher, dass ein Gebäude zum Beispiel automatisch erkennt, wenn sich Personen dort aufhalten und dann etwa die Innenraumtemperatur und Beleuchtung regelt. Ein weiteres Beispiel wäre, dass das Gebäude erkennt, dass bei heruntergefahrenem Sonnenschutz zu wenig Licht im Raum ist und das Ganze dann entsprechend justiert. Damit ist ein sehr hoher technischer Aufwand verbunden, weshalb man sich gut überlegen muss, welche Lösungen sinnvoll sind. Es ist wichtig, robuste Gebäude zu planen, die nicht zu kompliziert sind und einen geringen Wartungsaufwand haben.

Ein Thema, das in den Medien gerade sehr präsent ist, ist die Wärmepumpe. Bei einem Ihrer Projekte, der Sanierung eines Wohnhochhauses in Pforzheim aus den 1970er-Jahren, kam unter anderem eine Wärmepumpe zum Einsatz. Können Sie das energetische Konzept erläutern?

Matthias Rammig: Wir haben erst mal die Gebäudehülle auf ein sehr gutes thermisches Niveau, den Passivhausstandard gebracht. Zudem wurde ein Kapillar-Solarabsorber in die Fassade integriert, der Wärme aus der Luft entzieht und dadurch Heizwärme sowie Warmwasser bereitstellt. Die gewonnene Energie wird mittels Wärmepumpen nutzbar gemacht oder in einen großen Wassertank, einen sogenannten Eisspeicher, gefüttert und dort gespeichert. Wenn die aus der Fassade bezogene Energie nicht ausreicht, kann zusätzliche Energie aus dem Eisspeicher gezogen werden. Der Grund für diese spezifische Lösung liegt darin, dass eine Geothermie-Anlage dort nicht möglich war.

Inwieweit eignen sich Wärmepumpe generell für Bestandsbauten?

Matthias Rammig: Bestandsgebäude weisen ja oft mehrere Probleme auf: Meistens ist die energetische Performance der Gebäudehülle sehr schlecht. Hinzu kommen kleine Heizkörper, die eine große Heizleistung in den Raum bringen müssen, um den Wärmeverlust über die Fassade zu kompensieren. Als Folge sind hohe Vorlauf-Temperaturen nötig, was früher über fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdöl oder Erdgas gelöst wurde. Das Thema Verbrennung hat sich aber erledigt, weil wir es uns aus Gründen des Klimaschutzes nicht mehr erlauben können, Abgase in die Luft zu blasen. Deshalb muss man eine Wärmepumpe so effizient wie möglich betreiben. Damit sind zwei Dinge verknüpft: Erstens eine Senkung der Heiztemperatur, was über die Dämmung der Gebäudehülle gelöst werden kann, und zweitens eine Vergrößerung der Heizflächen, um den Raum mit einer niedrigeren Temperatur ausreichend zu beheizen. Gleichzeitig ist es wichtig, möglichst effiziente Energiequellen für die Wärmepumpe anzuzapfen.

Projekt Generalsanierung Wohnhochhaus Güterstraße 30, Pforzheim, Deutschland

Welche Energiequellen können das sein?

Matthias Rammig: Momentan wird ja vor allem die Außenluftwärmepumpe im Einfamilienhaussektor vermarktet, weil sie sehr einfach zu bedienen und nicht so teuer ist. Allerdings gibt es bei der Nutzung ein Problem: Gerade im Winter, wenn der Heizwärmebedarf am größten ist, liefert die Außenluftwärmepumpe am wenigsten Energie, was dann über Strom kompensiert werden muss. Deshalb ist es wichtig, das Ganze mit erneuerbaren Energiequellen oder einem Speicher zu kombinieren, wie es in Pforzheim in Form des großen Wassertanks als Eisspeicher der Fall war. Andere Möglichkeiten sind Erdsonden, Grundwasserbrunnen oder Abwärmenutzung aus Abwasserrohrleitungen und Fließgewässern mit Hilfe von Wärmetauschern. Sinnvoll ist es auch, den Strom, den es für den Betrieb der Wärmepumpe braucht, selbst zu erzeugen. In Pforzheim gibt es deshalb Photovoltaikmodule und eine Kleinwindkraftanlage auf dem Dach.

Felix Thumm: Die Wärmepumpe wird gerade als das smarte System für den Gebäudesektor vermarktet und sie hat auf jeden Fall ihre Berechtigung. Sie ist aber mit Sicherheit nicht die alleinige Lösung, weil das Problem des Wärmesektors – der hohe Energieverbrauch im Winter – dadurch auf den Stromsektor verlagert wird. Um noch mal auf das Thema Smart Building zu kommen: Wärmepumpen werden in Zukunft eine intelligente Ansteuerung benötigen, um zum Beispiel den Warmwasserbedarf gezielt zu erzeugen. Das heißt, es gibt einen thermischen Speicher, der nachts aufgeladen wird. So könnte man die Belastung des Stromnetzes zu bestimmten Uhrzeiten etwas reduzieren. Dazu wäre eine Vernetzung des Wärme- und Stromsektors durch IT-Lösungen nötig.

Momentan gibt es eine große Verunsicherung wegen der Energieversorgung. Was könnten zukunftsfähige Systeme für Bestandsbauten sein und welche Rolle spielt Smart Building dabei?

Matthias Rammig: Eine Wärmepumpe mit Geothermienutzung ist bei Einfamilienhäusern sicher ein sinnvolles und effizientes System. Im urbanen Kontext werden aber vor allem Wärmenetze eine wichtige Rolle spielen. Es geht darum, Gebäude smart zu vernetzen und Synergien zu erzeugen. Zum Beispiel indem ich die Abwärme von Rechenzentren in Heizungssysteme integriere. Diese Wärme kann dann direkt in ein Gebäude eingespeist werden oder als Teil eines Nahwärmenetzes ein ganzes Quartier versorgen. Man kann aus einem Rechenzentrum 45 Grad Abwärme gewinnen, was ausreichend für ein Gebäude ist. Das Ganze lässt sich auch gut mit einer Wärmepumpe kombinieren. Diese muss dann einen geringeren Temperatursprung schaffen, was zu einer höheren energetischen Effizienz führt.

Felix Thumm: Es gibt auch smarte Lösungen für die Belüftung von Bestandsgebäuden. Ein Beispiel sind Fensterkontakte. Der darin integrierte Sensor erkennt automatisch, ob ein Fenster geöffnet oder geschlossen ist. Wenn das Fenster geöffnet ist, wird der Heizkörper automatisch deaktiviert. Das sind sehr simple Systeme, die aber einiges bewirken können. Das gilt besonders für öffentliche Gebäuden wie etwa Schulen, wo es oft keine klare Zuordnung gibt, wer sich um das Schließen der Fenster kümmert.

Ich würde gerne nochmal auf das Thema Wärmenetze für den urbanen Kontext kommen. Eines Ihrer Projekte ist ein Konzept für die Stadtteilentwicklung von Neuperlach in München. Darin beschäftigen Sie sich einerseits mit neuen Energiekonzepten, aber auch um Themen wie E-Mobility. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Matthias Rammig: In Neuperlach ging es vor allem darum, den Bestand zu verstehen. Oftmals wissen die PlanerInnen gar nicht so richtig, wie hoch der Energieverbrauch ist. Deshalb haben wir eine Studie angefertigt, um Neuperlach als Ganzes energetisch zu begreifen und zu schauen, an welchen Stellen die größten Emissionen entstehen. Das Thema E-Mobility spielt bei unseren Planungen eine immer größere Rolle, weil dadurch zusätzliche Strommengen in einem Gebäude abgerufen werden. Das bringt zwar einerseits einen höheren Verbrauch mit sich, bietet aber andererseits die Möglichkeit, eine Photovoltaikanlage effizienter zu nutzen. Momentan ist es ja so, dass der Strom in einem Gebäude vor allem morgens und abends verbraucht wird. Den größten Ertrag erzielt die Photovoltaikanlage aber um die Mittagszeit, weshalb der erwirtschaftete Strom meistens ins Netz eingespeist wird, anstatt vor Ort verbraucht zu werden. Die E-Mobility bietet nun die Möglichkeit, den erwirtschafteten Strom in ein Fahrzeug einzuspeisen. Ein smartes Feature könnte in diesem Zusammenhang sein, dass das Fahrzeug in der Lage ist, die dort gespeicherte Energie bei Bedarf zurück ins Gebäude zu bringen. Das Fahrzeug würde dann wie eine Batterie funktionieren.

Felix Thumm: Allerdings hinkt die Gesetzgebung etwas hinterher, um solche Konzepte umzusetzen. Und auch die Automobilbranche ist bei diesen Be- und Entladestrategien international gesehen noch nicht überall so weit.

Projekt Generalsanierung Wohnhochhaus Güterstraße 30, Pforzheim, Deutschland

Ich würde gerne über das Thema Wasser sprechen. Auf der diesjährigen ISH geht es auch um das "Sustainable Bathroom", also das nachhaltige Badezimmer. Welche Möglichkeiten gibt es bei der Planung im Bestand und welche Rolle spielt Smart Building dabei?

Matthias Rammig: Das betrifft zum Beispiel das Einsparen von Trinkwasser, was durch die Integration einer Regenwassernutzung oder Grauwassernutzung geschehen kann. Momentan sind die Wassersysteme so aufgebaut, dass man alles Abwasser wie auch Regenwasser direkt in die Kanalisation leitet. Stattdessen kann man es zum Beispiel auch für die Toilettenspülung verwenden, um so Trinkwasser zu sparen. Meistens werden diese Lösungen aber aus Kostengründen nicht realisiert.

Felix Thumm: Die Gesetzgebung und unsere Hygienestandards sind diesbezüglich sehr strikt. Als Folge muss man zwei Systeme integrieren, um so das Trinkwasser vom Regenwasser oder Grauwasser zu trennen. Ich würde mir dabei manchmal pragmatischere Lösungen wünschen.

Ein weiteres Thema sind berührungslose Systeme bei Armaturen, um so Wasser zu sparen und eine gewisse Hygiene zu gewährleisten. Wie sinnvoll finden Sie das?

Felix Thumm: Grundsätzlich finde ich das sinnvoll. Der Aufwand, solche Geräte zu installieren, ist ja eher gering – auch weil sie für sich funktionieren und nicht in eine gesamte Gebäudeautomation eingebunden werden müssen. Es geht natürlich immer um den Kontext. Gerade in einem öffentlichen Gebäude kann so etwas nützlich sein, weil die Geräte sich selbst steuern. Es verhält sich hier ähnlich, wie bei den zuvor erwähnten Fensterkontakten, wo die Technik automatisch erkennt, ob etwas in Betrieb sein muss oder nicht.

Energievergleich Generalsanierung Wohnhochhaus Güterstraße 30, Pforzheim, Deutschland

Der Leitgedanke der diesjährigen ISH lautet "Lösungen für eine nachhaltige Zukunft". Was würden Sie sich diesbezüglich von der Industrie wünschen?

Matthias Rammig: Grundsätzlich würden wir uns als PlanerInnen einfache Lösungen wünschen. Diese Lösungen sollten zudem eine gewisse Robustheit aufweisen und in der Lage sein, nach dem Ende ihrer Lebenszeit zu einem Teil der Kreislaufwirtschaft zu werden. Hinzu kommt, dass die Zyklen von technischen Komponenten oft nicht zu den Zyklen von Gebäuden passen. Deshalb ist es wichtig, das Ganze besser in Einklang zu bringen.

Felix Thumm: Was ich mir außerdem wünschen würde, wäre eine Art kontinuierliche Rückmeldung, wieviel Wasser oder Energie gerade in der Wohneinheit verbraucht wird. Beim Thema Wasser könnte das zum Beispiel die Armatur sein, die den Wochenverbrauch in Relation zum Durchschnitt setzt. In Mehrfamilienhäusern gibt es mittlerweile Projekte, wo der eigene Energieverbrauch angezeigt und bewertet wird. Das würde die NutzerInnen sensibilisieren und wäre gleichzeitig ein smarter Ansatz, der nicht zu komplex und leicht umsetzbar ist.

ISH 2023 Weltleitmesse für Wasser, Wärme, Luft
13. bis 17. März 2023
Ludwig-Erhard-Anlage 1
60327 Frankfurt am Main