Die neuen Superstoffe
Leichter, stärker, preiswerter oder auch ressourcenschonender sollen sie sein. Komposit- oder Verbundwerkstoffe sind die neuen Superhelden der Materialwelt: multifunktionaler und effizienter. Aus mindestens zwei unterschiedlichen Werkstoffen zusammengesetzt, besitzen diese Materialien im Vergleich zu ihren Einzelkomponenten verbesserte oder sogar neue Eigenschaften. Mittlerweile sind Komposite in der Architektur- und Designwelt omnipräsent. Hersteller und Forscher tüfteln weiter an neuartigen und optimierten Zusammensetzungen. Wir haben uns einige dieser neuen vielversprechenden Verbindungen genauer angesehen.
Die Kunst der Imitation
Im Interiorbereich geht der Trend hin zu täuschend echten Imitationen von Materialien und Oberflächen. Stein, Holz oder Leder zum Beispiel werden mittlerweile so gut nachgeahmt, dass selbst Experten den Unterschied auf den ersten Blick kaum mehr erkennen. Ein Material mit edler Wirkung, jedoch teuer und aufwändig in der Beschaffung, ist Leder. Lederimitate werden daher, ähnlich wie in der Modewelt, auch im Möbel- und Innenausbau immer gefragter. Denn für die hochwertige Erscheinung und angenehme Haptik müssen längst keine tierischen Produkte mehr herhalten.
Das "imi-Leder" zum Beispiel, die neuste Entwicklung von Schubert, fühlt sich nicht nur echt an, es riecht auf Wunsch sogar wie richtiges Leder. Als Träger dienen leichte Verbundwerkstoffplatten, die mit üblichem Tischlerwerkzeug verarbeitet werden können. Durch die einfache Handhabung und großflächige Einsatzmöglichkeit ist das Lederimitat besonders für den Laden- und Innenausbau interessant.
Noch leichter wird es, wenn das gewünschte Material unkompliziert auf Holz- oder MDF-Platten „aufgemalt“ werden kann. Die Effektlackreihe der Firma Chroma Lacke imitiert von Marmor- über Seiden- bis hin zu Lederoptik verschiedenste Oberflächen, die sogar in Haptik und Textur an ihre Vorbilder heranreichen. So fühlt sich zum Beispiel die Oberfläche, mit der sich unterschiedliche Lederarten nachbilden lassen, dank eines "Soft Touch"-Lacks weich und elastisch an. Der Seideneffekt dagegen kreiert eine weiche, samtige Haptik und der Marmoreffekt ahmt Einsätze und Maserungen des edlen Materials nach.
Während natürliche Materialien mit Würde altern und über die Jahre eine gewisse Patina ausbilden, haben es Imitate da schon schwerer. Wer trotzdem nicht auf den besonderen Reiz von Alterungsspuren verzichten will, findet auch hierfür ein passendes Komposit. Die neuen Verbundplatten "Alucobond Vintage" beispielsweise sehen aus wie gerosteter Stahl, oxidiertes Metall, patiniertes Kupfer oder verwitterter Beton – Patina für Ungeduldige also. Die Verbundplatten, bestehend aus zwei Aluminium-Deckblechen und einem Polymerkern, werden dazu ebenfalls mit einem besonderen Lacksystem beschichtet, das allerdings nicht nur Materialen zu imitiert vermag, sondern auch deren Alterungsprozess.
Raffinierte Resteverwertung
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Herstellung von Kompositwerkstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, dies können zum Beispiel Pflanzenfasern, Kaffeesatz, Tannennadeln oder Heu sein, oder auch das Recyceln von Abfall- und Überschussprodukten. Der steigenden Zahl an Textilabfällen beispielsweise begegnet der dänische Hersteller Really mit seiner Idee für das "Solid Textile Board" und das "Acoustic Textile Felt". Beide Komposite, das eine dient zum Möbelbau, das andere als Akustikpaneel, bestehen zu 70 Prozent aus Textilabfällen von Wäschereien sowie Stoffresten des Herstellers Kvadrat. Diese werden zerkleinert und mittels thermoplastischen Bindemitteln zu einem Granulat verarbeitet, das schließlich zu Platten gepresst wird. Das "Solid Textile Board" lässt sich biegen und erlaubt unterschiedliche Oberflächenbehandlungen. Was mit dem umweltfreundlichen Verbundwerkstoff möglich ist, zeigte der britische Designer Max Lamb kürzlich in Mailand mit einer Serie unterschiedlicher Bänke. Da in der Herstellung keine Farbstoffe oder toxische Chemikalien verwendet werden, ist das Komposit recycelbar und soll wiederverwendbar sein.
"Corcrete", ein Beton, dem recycelter Kork beigemischt wird, bedient sich nicht nur eines Recyclingmaterials, sondern auch eines nachwachsenden Rohstoffs. Konzipiert wurde der Kompositwerkstoff vom deutschen Design Studio Niruk. Die Korkbeton-Platten eignen sich sowohl für den Möbelbau als auch zur Wand- beziehungsweise Deckenverkleidung. Durch den besonderen Zuschlag sind sie leichter als herkömmlicher Beton, wirken schalldämpfend und besitzen eine weichere, wärmere Oberflächenwirkung, da der Kork beim Abschleifen leicht hervortritt.
Nach einem ähnlichen Prinzip wird auch ein Kunststein hergestellt, der seine Blüte im 15. Jahrhundert in Venedig erlebte und sich seit ein paar Jahren wieder großer Beliebtheit erfreut. Terrazzo ist dank Herstellern wie Dzek oder Terrazzo Project in ausgefallenen und modernen Farb- und Materialkombinationen erhältlich. Als klassische Zuschläge dienen meist Kieselsteine, Marmor- oder Glasstücke. Auf eine neue Idee kam allerdings Designer Conor Taylor für die Londoner Firma Foresso. Sein "Timber Terrazzo" imitiert auf täuschend echte Weise den Materialklassiker. Was aus der Ferne wie Kunststein wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Komposit aus Edelhölzern und Harzbindemittel. Die Holzzuschläge sind eigentlich Abfallprodukte. Mit dem "Timber Terrazzo" erhalten sie jedoch eine neue Funktion.
Das nächste Level
Während Kompositwerkstoffe durch die Kombination der Vorteile und Eigenschaften von zwei oder mehr Werkstoffen effizienter werden oder neue Qualitäten erhalten, reagieren Smart Materials auf ihre Umwelt und können die Fähigkeiten eines Materials erweitern. Künftig sollen auch Kompositwerkstoffe smarter werden und zum Beispiel über Sensoren auf Temperatur oder Berührung reagieren, ihren Härtegrad verändern oder mit LEDs ausgestattet werden.
Während die Medizintechnik und der Maschinen- und Anlagenbau auf diesem Gebiet schon etwas weiter in der Entwicklung ist, befindet sich die Architektur noch am Anfang dieser Forschung. Es bleibt also spannend, welche Möglichkeiten sich mit den Kompositwerkstoffen in den kommenden Jahren noch ergeben werden.
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