JUNGE TALENTE
Design ohne Rüschen
Barbara Jahn: Gemeinsam ein solches Projekt zu starten braucht Vertrauen und eine ähnliche, wenn nicht gleiche Wellenlänge. Wie habt ihr euch denn gefunden?
Kerstin Pfleger: Peter und ich haben beide an der Universität für Angewandte Kunst Industriedesign studiert, zunächst bei Paolo Piva, später bei Stefan Diez, bei dem wir abgeschlossen haben. Tatsächlich war es so, dass wir während des Studiums gar keine gemeinsamen Projekte gemacht haben. Aber befreundet waren wir schon damals.
Peter Paulhart: Nach dem Studium haben wir für eine kurze Zeit zeitgleich im selben Architekturbüro gearbeitet, wo sich dann sehr schnell herausgestellt hat, dass wir gut miteinander arbeiten können. Während der Lockdowns sind uns viele Ideen gekommen, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, und wir haben sogar für unser Vorhaben eine Förderung bekommen. So wurde Studio RE.D gegründet.
Welche Ideen waren das denn?
Kerstin Pfleger: Eigentlich war unsere Hauptidee, eine eigene Möbelmarke zu etablieren. Dafür haben wir auch unsere Förderung bekommen. Die Marke heißt "REDUCE.DESIGN", die auf dem Gedanken basiert, wie wir Möbel entwerfen können, die auf ihr Wesentlichstes reduziert sind. Das war die Essenz unserer Ursprungsidee.
Peter Paulhart: Grundsätzlich haben wir große Ambitionen zur Nachhaltigkeit. Auch die waren von Anfang an dabei, ein Ansporn dafür, sich etwas Neues zu überlegen und neue Ansätze zu finden. Für uns heißt das in erster Linie eine intensive Auseinandersetzung mit den Ressourcen, die notwendig sind, um ein Produkt entstehen zu lassen. Oft ist es so, wenn man über Ressourcen, Nachhaltigkeit und Produktdesign spricht, kommt man nicht weit über die Materialauswahl hinaus. Viele nehmen dann Holz, weil es nachwächst und nachhaltig ist. Unser Ansatz ist ein anderer, so lautet unser Leitsatz "form follows ressource". Dieser inkludiert viele Aspekte und nicht nur den des Materials, etwa formale Kriterien. Wir hinterfragen, welche Dinge in der Form überhaupt notwendig sind, dass ein Produkt funktionieren kann und gleichzeitig schön ist, trotzdem aber ressourcengerecht bleibt. Man kann eben oft mehr machen als einfach nur ein Naturmaterial aussuchen.
„Für uns gilt immer die Frage, was wirklich benötigt wird, damit man ein Produkt verwenden kann.“
Kann man Form denn nachhaltig gestalten?
Peter Paulhart: Ja, ganz oft sogar, denn eigentlich geht es hier um Konsumgewohnheiten, um Gadgets oder AddOns. Möbel brauchen Dekoelemente oft nur, weil VerbraucherInnen sich das so vorstellen. Aus unserer Perspektive ist vieles davon gar nicht notwendig und ist aus einer Ressourcenperspektive überhaupt nicht vernünftig. Bei Ressourcen geht es schließlich auch noch um viele andere Dinge, zum Beispiel um die Energie, die dafür gebraucht wird, um die Logistik, dieses "Rüschchen", das auch noch mit drauf muss, heranzuschaffen, et cetera. Deshalb landen wir meist bei einer sehr minimalistischen Formensprache.
Kerstin Pfleger: Für uns gilt immer die Frage, was wirklich benötigt wird, damit man ein Produkt verwenden kann. Dazu braucht es den ganzen Schnickschnack nicht. Das meine ich aber nicht nur unter dem ästhetischen, sondern auch unter dem funktionalen Aspekt betrachtet. Wie viel muss ein Produkt wirklich können, wie viele Funktionen muss es tatsächlich haben? Das versuchen wir immer zu hinterfragen und Ressourcen auch in Hinblick auf die Produktion selbst zu prüfen. Wie viele Maschinen sind dafür nötig? Wie viele Arbeitsstunden stecken drin? Unser Ziel ist es, all das möglichst reduziert umzusetzen.
Wie gelingt euch das?
Kerstin Pfleger: Am besten stellen wir das mit einem konkreten Beispiel dar. Unser Zugang zu einem Produkt ist nicht immer gleich. Mal ist ein Aspekt stärker, ein anderer weniger. Auf der Frankfurter Konsumgütermesse Ambiente haben wir in diesem Jahr einen neuen Beistelltisch präsentiert, für den wir Restmaterialien aus der Küchenproduktion einsetzen. Die Reduktion hier ist, dass kaum neues Material eingebracht wird, das nur für unser Produkt hergestellt wird. Die Tischplatte ist aus Keramik, das bei der Produktion von Küchenarbeitsplatten für die Spüle oder den Herd herausgeschnitten wird. Diese übriggebliebenen Plattenstücke haben die beste Qualität, werden aber oft unmittelbar entsorgt, weil sie nicht mehr verwendet werden können. Unser Entwurf ist jedoch genau für dieses Restmaterial entstanden, dem wir so ein zweites Leben schenken. Ein anderer Ansatz, wo es mehr in die Produktion selbst geht, sieht man bei unserem Holzstuhl. Hier war unsere Herausforderung zu schauen, wie man es schafft, einen Stuhl mit möglichst wenig Maschinen zu produzieren, der gut funktioniert und schön aussieht. Es ist uns gelungen, mit einer einzigen 3-Achs-CNC-Fräse und aus einer einzigen Platte alle Teile für diesen Stuhl herauszuschneiden. Es sind dann nur noch wenige händische Arbeiten nötig, um den Stuhl fertigzustellen. Auch die Rückenlehne und Kurventeile sind gefräst und nicht – wie normalerweise – aus Bugholz. Es ist vielleicht ein unkonventionellerer Weg, aber es erspart eine weitere Formenproduktion, die auch immer sehr ressourcenintensiv ist. Schließlich muss sich das ja rentieren. Deshalb betrachten wir das auch als wichtigen Teil unserer Marke, nach Möglichkeiten zu suchen, ein Produkt auch in Kleinserien herzustellen.
Peter Paulhart: Dieser Gedanke ist natürlich auch ein bisschen eine Tugend in der Not, da wir zu diesem Zeitpunkt noch keine großen Hersteller an Bord hatten, die unsere Entwürfe in großer Stückzahl produzieren. Mittlerweile führen wir aber schon intensive Gespräche, mit wem dürfen wir allerdings noch nicht verraten. "REDUCE.DESIGN" ist derzeit drauf ausgelegt, in kleinem Rahmen kleine Stückzahlen zu produzieren. Man muss ganz anders agieren, wenn man weiß, dass ein Stuhl zum Beispiel ein paar tausend Mal hergestellt wird und nicht nur beispielsweise fünfzig Mal. Aber bei allem Nachhaltigkeitsbewusstsein, Rüschenfreiheit und Abgeklärtheit ist uns die Emotion wichtig. Wenn es nur darum geht, nachhaltig zu sein, müsste man gar keine neuen Möbel mehr machen. Wenn wir ehrlich sind: Auch auf einer einfachen Holzkiste kann man, wenn auch reduziert, sitzen. Wir glauben, dass die Geschichte, die ein Objekt erzählt, wichtig ist. Unsere Objekte sollen erzählen, woher sie kommen, und wie es gekommen ist, was sie jetzt sind.
Also es gibt einen Stuhl, einen Tisch, und…
Peter Paulhart: … eine neue Leuchte, die gerade fertig geworden ist. Sie ist aus einem Handlauf gemacht. Mit ihr haben wir es geschafft, aus einem Halbzeug ein Produkt zu entwerfen, das auch zu unseren Stückzahlen passt. Aber es geht hier ebenfalls darum, etwas weiterzuverwenden, was es schon gibt und etwas daraus zu kreieren. Das ist unser Verständnis der Ressourcennutzung: Es gibt diese Produktion der Handläufe mit all ihren Maschinen schon. Und es gibt genau diesen Durchmesser – für einen anderen braucht es wieder eine neue Produktion.
Baut ihr eure Möbel in eurer eigenen Werkstatt?
Peter Paulhart: Nein, dort entstehen die Modelle und Prototypen. Die eigentliche Fertigung findet in professionellen Partnerbetrieben statt, zum größten Teil in Wien und Umgebung. Was wir allerdings selbst machen, ist das Verpacken und Versenden unserer Produkte, die über unseren Webshop bestellt werden. Es gibt zwar einige Concept Stores und kleine Läden, die unsere Designs im Sortiment haben, das meiste geht aber über unseren eigenen Shop.
Industrialdesign ist ein weites Feld. Wieso sind es gerade Möbel, denen ihr eure Aufmerksamkeit schenkt?
Kerstin Pfleger: Ich habe vor meinem Studium die Höhere Technische Lehranstalt in Hallstatt mit der Fachrichtung Innenraumgestaltung und Möbelbau besucht. Bei mir fiel also damals schon die Entscheidung in Richtung Möbel und meine Begeisterung ist dafür immer noch im Wachsen. Als wir unser Studio gegründet haben, war ja noch keine Richtung vorgegeben. Wir hätten auch Schmuck machen können. Bei den Möbeln hatten wir die meisten zündenden Ideen.
Peter Paulhart: Ich hingegen wollte eigentlich Künstler werden und habe zunächst Bildhauerei studiert, später dann zu Architektur gewechselt und bin schließlich bei Industriedesign gelandet. Aber wir erstellen für unsere KundInnen auch andere Objekte, die keine Möbel sind – Research Projekte, Verpackungen oder eine Bühne auf einem Lastenrad. Möbel sind der Skulptur am nächsten und haben eine recht überschaubare Funktion. Da kann man sich im Gegensatz zu sehr technischen Objekte wie ein Fahrrad sehr bald auch um die Geschichte und um das Aussehen kümmern. Deshalb bin auch ich mit großer Leidenschaft dabei.
Woher kommt eigentlich der Studioname "RE.D"?
Kerstin Pfleger: Wir haben unsere Möbelmarke "REDUCE.DESIGN" genannt, da steckt auch "Red" drinnen.
Peter Paulhart: Wir wollten ein Studio gründen, das auch ohne der Marke funktioniert, und umgekehrt. Wir haben im Grunde zwei Hüte: Einmal setzen wir uns den Brand-Hut auf, einmal den DesignerInnen-Hut. Das war von Anfang an so geplant, damit das Konzept aufgeht.
Jetzt ist Studio RE.D noch sehr jung, aber ihr habt doch schon einige erfolgreiche Projekte gemacht, die euer Portfolio bereichern.
Peter Paulhart: Für die Stadt Wien haben wir anlässlich der Internationalen Bauausstellung IBA einen Pokal für die PreisträgerInnen gestaltet. Dabei ging es sehr stark um das Material Keramik und die Herstellung, so haben wir mit einem Keramikstudio hier in der Nähe ein Verfahren zweckentfremdet. Für Rimowa haben wir ein sogenanntes Collectible, ein Art Piece entworfen, das aus einer künstlerischen Neuinterpretation eines Koffers entstehen sollte.
Kerstin Pfleger: Stolz sind wir auch auf unseren Beitrag bei der letztjährigen Vienna Design Week, den wir für das neue Format "Re:Form" entwickelt haben. Dabei wurde ein Unternehmen, ein Unternehmensberater und ein Designteam gematcht. Wir wurden eingeladen mit der Firma Pawel packing & logistics, Stefan Pichler von denkwerkstatt und Ökobusiness Wien ein Konzept für die Nachnutzung der Verpackungen zu kreieren. Entstanden sind dabei Verpackungen in Form von Möbelobjekten zum Selbstzusammenbauen. Die Bauanleitungen und Schnittpläne der Einzelteile sind auf der Außenseite der großformatigen Holzkisten aufgedruckt. So wird aus Verpackungsmüll wertvolles Design. Für die Vienna Design Week war das eine Art Baukasten für Tisch mit Hocker.
Wie wichtig ist es denn für euch, bei solchen Plattformen mit an Bord zu sein?
Kerstin Pfleger: Gerade die Teilnahme an der Vienna Design Week liegt uns sehr am Herzen. Aus DesignerInnen-Perspektive ist das eine sehr wertvolle Veranstaltung. Der rege Austausch untereinander begeistert uns insbesondere.
Peter Paulhart: Seit drei Jahren sind wir in verschiedenen Formaten vertreten, manchmal auch an mehreren Ausstellungsorten. Kaum ist die Vienna Design Week vorbei, denken wir schon darüber nach, was wir zur nächsten vorbereiten könnten. Das Projekt für 2024 ist tatsächlich schon kurz vor dem Anstoß. Ohne zu viel verraten zu wollen, geht es in Richtung Installation. Thema wird ein bestimmtes Material sein und die Auseinandersetzung mit seinen einzigartigen Stärken. Man darf gespannt sein.
„Für uns Kreative ist es wichtig zu verstehen, dass unsere größte Leistung die Reflexion über die Gesellschaft und die Themen unserer Zeit ist.“
Wie steht ihr zur KI?
Peter Paulhart: Ich sehe sie als Werkzeug. Ich denke, wichtig dabei ist, dass man versteht, wie man sie verwenden kann. Sie kann sehr hilfreich sein, um handwerkliche Aufgaben schneller und besser zu erledigen. So werden Ressourcen frei für die inhaltlichen Aspekte unserer Arbeit. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz finde ich in dieser Debatte etwas kurzgedacht. Es gibt heute viele Berufe nicht mehr, die früher einmal notwendig waren – zum Glück. Man denke an eine Welt ohne Waschmaschinen. Wenn Technologie Fortschritte macht, sollte man Respekt, aber keine Angst davor haben. Für uns Kreative ist es wichtig zu verstehen, dass unsere größte Leistung die Reflexion über die Gesellschaft und die Themen unserer Zeit ist. Das gilt für Design genauso wie für bildende Kunst oder Literatur. Wir führen den Diskurs und finden die Themen, die Menschen bewegen. In der Herstellung unserer Diskurs-Beiträge kann KI eine große Hilfe sein. Die Entscheidung, welcher Beitrag in welchem Kontext und zu welchem Zeitpunkt relevant ist, können aber nur wir treffen. Allerdings gibt es viele andere Themen, die von KI berührt werden, bei denen es um weitaus sensiblere Dinge geht als um Kreativarbeit. Dafür geeignete Regeln zu finden wird eine wichtige Aufgabe für die nächsten Jahre sein.
Kerstin Pfleger: Es gibt ständig neue Herausforderungen, und wir alle müssen lernen damit umzugehen. Die Entscheidung, wie etwas herauskommt, liegt doch letztendlich immer bei uns. Ich denke, es ist wichtig sich damit zu beschäftigen und mitzuwachsen. Für mich ist das kein Ersetzen, sondern auch ein Miteinander. Für Text und Bild haben wir die KI schon eingesetzt, aber für Entwurfsprozesse noch nicht. Aber in Zukunft schließen wir auch das nicht aus.
Wann ist für euch ein Möbelstück ein gutes Möbelstück?
Peter Paulhart: Sicher, wenn es qualitativ hochwertig verarbeitet ist. Aber es ist auch ein richtig gutes Möbelstück, wenn ich mich für mich selbst daran erfreue, und nicht nur, weil ich gerne hätte, dass jemand sieht, dass ich es habe.
Kerstin Pfleger: Ein gutes Möbel berührt man gerne, und es leistet insgesamt seinen Beitrag zum Raum.
Was kommt als Nächstes?
Kerstin Pfleger: Für unser Studio kommen gerade die ersten großen Unternehmen auf uns zu, die mit uns als externes Designstudio arbeiten möchten. Das ist sehr aufregend, und wir können es kaum erwarten, die Ergebnisse präsentieren zu können. Für unsere Eigenmarke "REDUCE.DESIGN" haben wir jetzt frischen wirtschaftlichen Support durch einen Geschäftsführer bekommen. Alex Liendl ist seit kurzem bei uns an Bord und bringt extrem viel neues Knowhow und Fähigkeiten mit in unser Team. Ich habe das Gefühl, dass er uns in gewissen Dingen in ein paar wenigen Monaten weiter gebracht hat als wir alleine in drei Jahren gekommen sind. Das macht uns gerade sehr viel Freude. Außerdem haben wir jetzt wieder mehr den Kopf frei für das, was wir am besten können: Produktdesign.
Und das große Ziel für die kommenden Jahre?
Kerstin Pfleger: Uns persönlich und unser junges Studio weiter zu entwickeln und viele weitere KundInnen zu finden, mit denen wir gut zusammenarbeiten können. Außerdem wäre es schön, die prekären Jahre der Studienzeit hinter uns zu lassen. Wir sind auf einem sehr guten Weg, aber ein wenig etablierter zu sein würde manches einfacher machen. Vor allem aber wollen wir weiterhin die Arbeit machen können, die wir lieben.