top
Olaf Holzapfel und Sebastián Preece: "Housing in Amplitude", 2014, Lenga Holz

Im Dazwischen

Die Werke von Olaf Holzapfel bieten einen neuen Blick auf das Handwerk: Ob die partizipative Arbeit "Wand" im Umweltbundesamt oder "Der Mantel" im Züricher Haus Konstruktiv. Warum es eine Architektur braucht, mit der wir uns identifizieren können, sagt er uns im Interview.
17.09.2024

Elisabeth Bohnet: Deine Kunst kann als Ort beschrieben werden, an dem sich Natur und Kultur treffen. Was bedeutet dir Landschaft?

Olaf Holzapfel: Im Hinblick auf die Kunst erachte ich Landschaft wie eine Art Zusammenhang von verschiedenen Faktoren, die bestimmen, was für ein Werk man dort entwerfen könnte. Das ist gleichzeitig Inhalt meiner Arbeit: Ich gehe davon aus, dass in der Landschaft selbst schon Größen, bestimmte Ästhetiken und Materialien vorhanden sind, Wiederholungen wie Abstraktionen. Die Landschaft selbst liefert Vorgaben, wie etwas gebaut wird, auch die gelebten Kulturen mit ihren Traditionen. Gleich einer menschlichen Sprache werden Dinge zusammengefügt. Ich frage dann weiter, denn meistens gibt es einen Grund, aus dem bestimmte Dinge sich fügen lassen und andere nicht. Die Ursachen hierfür liegen in den Materialien selbst begründet, die in der Landschaft vorkommen. In einem weiteren Schritt geht es auch um den Widerspruch, in dem wir uns befinden: Auf der einen Seite gibt es die Theorie und die Sprachwelt und auf der anderen Seite eine sprachlose materielle Welt. Diesen Widerspruch möchte ich aufheben.

Du beschäftigst dich viel mit tradierten Techniken. Was fasziniert dich am Handwerk?

Olaf Holzapfel: Es gibt diese Redensweise: "Die Hand ist der kürzeste Weg zum Gehirn." Das Werk, das ich mit der Hand fertige, entspringt direkt meinem Gehirn. In unseren Händen liegen so viele verschiedene Sinne und Erfahrungen, dass es direkt unser Denken beeinflusst. Dadurch liegt im Handwerk unsere Verbindung zur materiellen Welt. Maschinen sind darin erweiterte Handwerkstechniken. Mich interessiert aber eher der einfachere Zugang zum Materiellen, da gerade in unserer Zeit in diesem der Schlüssel liegt für viele Dinge in der Zukunft.

Wo wird dann in deinen Werken, beispielsweise in einem deiner Fachwerkobjekte, das handwerkliche Produkt zur Kunst?

Olaf Holzapfel: Mit dem Kontext. Dass etwas Kunst ist, ist ja erstmal eine Behauptung. Kunst hat völlig verschiedene Kriterien, wie eine bestimmte Qualität in der Umsetzung oder eine Teilnahme am Diskurs. Ich stelle auch das Handwerk aus, die Arbeit selbst. Diese Tätigkeiten sind oft sehr profan, uralt oder gewöhnlich und werden dann im musealen Kontext zum Gegenstand des Nachdenkens und zum Gegenstand dieser Kunstwelt. Das ermöglicht den BetrachterInnen, anders darüber nachzudenken. Nicht nur theoretisch, sondern auch über den Sinn solcher Handwerke oder Objekte. Aus normaler Perspektive denkt man vielleicht, Handwerk ist nicht effizient, dauert zu lange, der Stuhl soll lieber maschinell hergestellt werden. In der Domäne der Kunst bin ich bereit, den Gegenstand ganz neu zu betrachten. In der Pop-Art wurden die profanen Dinge des Alltags genutzt, um zu zeigen, dass sie unser Leben widerspiegeln. Eine Campbell Suppendose ist symbolisch wertvoll, um über unsere Kultur nachzudenken und zu überlegen, was der Gegenstand von Kunst ist. Ähnlich ist es beim Handwerk, nur dass die Dimension noch eine ganz andere ist, weil diese Dinge, wie Flechten oder Fachwerke, umspannen ja ganz andere Zeitdimensionen. Was ist aktuell, was ist vergangen und was umgibt uns permanent? Die Landschaft umgibt uns permanent, aber vielleicht umgibt uns eigentlich auch das Handwerk permanent oder andere Dinge, weil wir sie einfach immer machen werden und machen können. Und dieser Möglichkeitsraum, der dadurch entsteht, gibt auch eine Freiheit und setzt Kreativität frei.

"WAND - eine partizipative Installation", Bundesumweltamt Dessau, Olaf Holzapfel mit Ralf Eggert; Bauhaus Erde; Anne Lengnink, Stroh, Weide, Lehm, 10x3x4m
"WAND - eine partizipative Installation", Bundesumweltamt Dessau, Olaf Holzapfel mit Ralf Eggert; Bauhaus Erde; Anne Lengnink, Stroh, Weide, Lehm, 10x3x4m
"WAND - eine partizipative Installation", Bundesumweltamt Dessau, Olaf Holzapfel mit Ralf Eggert; Bauhaus Erde; Anne Lengnink, Stroh, Weide, Lehm, 10x3x4m

Eine deiner Arbeiten, die gerade in Dessau gezeigt wird, demonstriert die Wand als partizipative Ausstellung.

Olaf Holzapfel: Wir haben im Umweltbundesamt eine Wand gebaut. Ich habe den Entwurf erstellt und einen Teil des Grundgerüsts, dann haben viele AkteurInnen partnerschaftlich mitgewirkt. Es ging auch um das Vorführen, das Machen, das Bauen selbst. In unserer Welt voller Regeln gibt es paradoxerweise keine richtige Lösung für die Verantwortlichkeit am eigenen Haus. Früher war es Usus, dass die Menschen ihre Häuser eigenständig gepflegt haben und wussten: "Da muss jetzt ein Balken raus." Sie haben sich eigenverantwortlich zuständig gefühlt und dadurch entstand eine Partizipation an der Architektur, weil sie selbst BaumeisterIn wurden, und nicht alles von den ArchitektInnen fertigen ließen. Die meisten ländlichen Häuser wurden von den Bauern und Bäuerinnen eigenständig errichtet, in Zusammenarbeit mit Fachleuten, Zimmerleuten. Aber die BauherrInnen waren Teil des Bauprozesses. Das macht für mich auch die Schönheit dieser Gebäude aus. Und deswegen fühlen wir uns wohl darin, pflegen sie, stellen sie unter Denkmalschutz. Das geschieht nicht nur, weil sie alt sind, sondern auch, weil sie ein Zeichen unserer Kultur sind. Hier schließt sich eigentlich der Kreis zur Kunst wieder.

Mit der Jahrhundertwende fand eine Abkehr vom Historismus statt. Adolf Loos' Essay "Ornament und Verbrechen" wurde missverstanden, und dem Bauschmuck der Garaus bereitet. Ihm selbst ging es viel mehr um den falschen Gebrauch des Ornaments, er war kein Purist. Dennoch versuchen die meisten Leute heute, die ich kenne, in Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorf oder Prenzlauer Berg zu wohnen. Also präferiert in diesen alten Häusern, die historisierend sind. Der Historismus war eigentlich eine moderne Idee. Da damals so viel gebaut wurde, hat man überlegt, wie man das Neue mit dem Gefühl zusammenbringen kann, dass wir nicht komplett aus der Zeit fallen, sondern verbunden sind mit unserer Umwelt und unserer Geschichte. Deswegen wurden diese historischen Formeln entwickelt, um nicht eine Investorenarchitektur zu generieren, sondern um Architektur zu bauen, mit der die Menschen eine Identifikation herstellen können – leben können, Schönheit empfinden können, wo das Ästhetische eine Rolle spielt. Jakob Ignaz Hittorff zum Beispiel in Paris, der den Gare du Nord gebaut hat oder die Bourse de commerce, wo jetzt die Sammlung Pinault beheimatet ist. Er war ein sehr moderner Architekt, der gleichzeitig diese historischen Formeln integriert hat. Optisch ist der Gare du Nord integrativ zur Stadt, nach innen ist es das modernste Gebäude, nämlich aus Stahl gebaut und vor Ort alles in der modernsten Technologie konstruiert. Sie haben versucht zwischen diesen verschiedenen Interessen der Öffentlichkeit zu vermitteln – wo man wieder bei der Partizipation angelangt ist und bei der Identifikation. Also viele Dinge, die heute wieder sehr wichtig sind.

Aber in der heutigen Architektur sieht man noch sehr wenig davon, oder?

Olaf Holzapfel: Es geht schon los. Etwa der chinesische Architekt Wang Shu, der 2012 den Pritzkerpreis für seinen Ansatz gewonnen hat, der recycelte Baustoffe mit traditionelleren Formen verbindet. Oder das dänische Wattenmeermuseum aus der Feder des Büros von Dorte Mandrup mit einer spektakulären Reetdach-Hülle. Der enorme Kostendruck in der Architektur verhindert, dass über solche Verknüpfungen von Tradition und zeitgemäßer Baukunst mehr nachgedacht wird.

Die "Wand"-Ausstellung in Dessau geht von der Idee aus, dass die vier Wände, in denen wir leben, unsere nächsten Nachbarn sind. Diese Annahme veranlasst uns, anders über das Bauelement nachzudenken, dass Wände nicht nur die Hülle zur Abgrenzung sind. Für die Ausstellung "Anders Wohnen" im Kunstmuseum Krefeld habe ich für eine Weile in den Villen von Mies van der Rohe gewohnt. Ich habe sehr stark wahrgenommen, wie er das Innen mit dem Außen verband und dass er sich immer gleichzeitig mit dem Garten beschäftigt hat, teilweise den Garten zuerst errichten hat lassen. Für die benachbarten Haus Lange und Haus Esters in Krefeld hat er erstmal 700 Lkw-Ladungen Erde aufgeschüttet, damit es eine Art Topografie gab, auf die er dann gebaut hat. Die Landschaft ist ein Teil der Häuser, nicht nur durch das viele Glas sichtbar, sondern sie ist ein direkter Bezugspunkt: Wie eine negative oder positive Masse um die Bauten. Dieses Innen und Außen verschwimmt bereits in der Moderne und heute sind wir zudem noch in einem anderen Innen und Außen unterwegs: in der digitalen und der analogen Welt. Wenn die digitale 3D-Welt weiter zunimmt, dann sitzen die Leute im Innenraum und denken, sie sind im Regenwald. Ich habe gefragt, was könnten wir brauchen, was wäre die Antwort auf solche Themen? Bei "Rückgabe Reimbursement Cells – Cellulare Dialektik" haben wir eine Zelle eingebaut, in der man sich zurückziehen kann.

Anlässlich deiner Auszeichnung mit dem Zurich Art Price ist gerade die Ausstellung "Der Mantel" im Haus Konstruktiv zu sehen. In einem dafür neu entstandenen Werk mit demselben Titel, nützt du die Assoziation des umhüllenden Kleidungsstückes.

Olaf Holzapfel: Die Skulptur "Der Mantel" ist neben anderen aus dem "Wand"-Projekt entstanden. Mich interessieren Dinge, die dazwischen sind, an denen man Anteil nimmt. Etwa organische Dinge, beispielsweise Holz oder Pflanzenfasern, die vergänglich sind. Gleichzeitig können sie als Möbelstück dennoch 600 Jahre alt werden – wenn wir wollen, dass sie bleiben. Wir können uns dafür entscheiden, die Dinge zu bewahren, wir können sie auch einfach gehen lassen. Und dieses dazwischen sein, das ist damit auch eine Eigenschaft von organischen Materialien. Ein Mantel ist auch dazwischen: er umgibt uns, ist aber gleichzeitig schon Teil der Außenwelt. Er ist eine Übergangszone, die uns gleichzeitig abgrenzt, wärmt und verbindet. Auf den Ausstellungen habe ich immer wieder erfahren, dass gerade diese Dinge, die aus organischen Materialien sind, die Menschen berühren. Wir scheinen uns darin wiederzuerkennen, da wir selbst organisch sind. Und wir erkennen, dass wir beide vergänglich sind. Wir sind auch im Übergang, immer in Bewegung. Und deswegen hat der Mantel auch da vielleicht eine metaphorische Aussage.

Ausstellungsansicht "Mantel - Museum Haus Konstruktiv", 2024

Seit mehreren Jahren erstellst du Strohbilder, für die du die Strohhalme natürlich einfärbst und in geometrischen Formen auf einem Untergrund anbringst. Damit gehst du von der Raumkunst in Richtung Relief. Was fasziniert dich an Stroh als Werkstoff?

Olaf Holzapfel: Stroh ist etwas sehr Profanes, das wir diesen nicht als einen Werkstoff für die Kunst wahrnehmen. Außer bei Anselm Kiefer mit Dung oder Erde kombiniert, gibt es wenig Stroh in der Kunst. Jedoch finden sich im Kunsthandwerk sehr viele Strohobjekte, und zwar weltweit. Es ist ein universeller Werkstoff, der für die Menschen oft ganz symbolische Dinge repräsentiert, etwa Licht oder wiederkehrende Zahlen.

Tatsächlich kommt Stroh in nahezu jeder Darstellung der Geburt Christi vor. Allerdings nur gemalt, nicht als tatsächlicher Werkstoff.

Olaf Holzapfel: Ja, daher kommt die Symbolik von Reichtum, Wärme. Bei Brueghel auch als Reichtum im Schlaraffenland. Wie viele Türen sich öffnen, wenn man sich damit beschäftigt, ist faszinierend.

Du hast einmal gesagt, "Kunst ist eine symbolische Disziplin, ein bisschen so wie Politik". Was meinst du damit?

Olaf Holzapfel: In der Politik geht es auch um Glaubenssätze und um Dialog von verschiedenen Ansichten. Politik soll streiten, nicht diffamieren – so auch die Kunst. In der europäischen Kunstszene führen wir immer verschiedene Glaubensgrundsätze und Artefakte ins Feld, um uns zu vergewissern, wo wir sind und wo wir hingehen wollen. Damit hat auch die Kunst ein spekulatives Momentum. Das wird ihr manchmal vorgeworfen. Aber ich denke, das ist Unsinn, es ist gut, dass die Kunst spekulativ ist und bereit dazu, Risiken einzugehen. Davon haben wir in Europa immer auch gelebt. Wir sind immer Risiken mit Ideen eingegangen. Und deswegen muss die Kunst auch frei sein, wie es im Grundgesetz steht. Wenn die Kunst nicht frei sein kann, wenn sie nicht komplett spekulativ sein darf, stirbt sie. Zumindest unsere Art von Kunst. Denn wir haben wenig andere Orte, an denen wir Dinge symbolisch verhandeln können. Durch eine symbolische Handlung wird niemand direkt geschädigt. Wenn jemand eine Schädigung ableitet aus der Kunst, ist das immer ein Missverständnis. Die Kunst selbst hat erstmal ein anderes Ziel. Sie will diese Freiheit, über bestimmte Dinge nachzudenken und spirituell zu sein, weil wir die brauchen. Die Architektur steht irgendwo zwischen Politik und Kunst. Sie will eigentlich gerne eine freie Kunst sein, ist aber viel mehr an die Tagespolitik gebunden. Die Architektur als "erste Kunst" muss einen Gebrauchswert herstellen, was die Bildende Kunst nicht muss und vielleicht auch nicht sollte. Und wenn wir dann später Alltagsgegenstände ins Museum bringen und bestimmen, dass sie einen künstlerischen Wert haben, dann bewerten wir ihren symbolischen Wert. Hat sich etwas durchgesetzt wie die Campbell Suppendose oder ein ikonischer Bauhausstuhl? Dann ist er Kunst geworden, weil die Form, die ästhetische Komponente so bedeutend geworden ist, dass wir es in erster Linie schätzen und kaufen, weil es etwas repräsentiert, sich durchgesetzt hat und wichtige Aussagen über unseren Alltag trifft.