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Mit „Mesh“ hat Werner Aisslinger für Piure ein Regalsystem entwickelt, das Wohnen und Arbeiten verbindet, quasi die „eierlegende Wollmilchsau“.

STYLEPARK PIURE
Produktiv durch Transparenz

Werner Aisslinger hat für den Systemmöbelhersteller Piure das Regalsystem "Mesh" entworfen, das Funktionalität mit Wohnlichkeit verbindet.
von Anna Moldenhauer | 18.10.2016

„Wenn ich über Arbeitssituationen spreche, dann ist es für mich das osmotische Büro, offen und lichtdurchlässig“, sagt Werner Aisslinger und breitet die Arme aus. Dass Mitarbeiter heute effizienter arbeiten, wenn sie nicht mehr einzeln abgeschirmt in der Bürowabe „Cubicle“ von Robert Propst sitzen, haben die meisten Unternehmen hierzulande verstanden. Dennoch wirken funktionale Systemmöbel oft starr, farblos und monumental. Wer sich hinter Schränken verstecken müsse, der könne nicht produktiv im Team arbeiten, findet der Designer. Das neue Office- und Wohnprogramm von Werner Aisslinger für Piure soll das ändern.

„Mesh“, sprich Gitter, heißt das Regalsystem, das anstelle eines festen Korpus mit einem filigranen Aluminiumgestell aufwartet. Elemente aus Lochblech und farbig getöntem Glas lassen eine individuelle Gestaltung zu. „Es ging darum“, so Aisslinger, „ein langlebiges Hybrid zu entwickeln, das Wohnen und Arbeiten verbindet, quasi die eierlegende Wollmilchsau“. Von bereits bestehenden Baukastensystemen unterscheidet sich „Mesh“ durch den Einsatz von flexiblen, transparenten und strukturierten Flächen statt durchgängiger Metall- oder Holzplatten. Die Auflösung der geschlossenen Ebenen im System war dabei die erste Herausforderung. Der Designer musste eine tragende Rahmenbauweise finden, damit alle weiteren Elemente ausgetauscht werden können: „Das ist wie bei einem Bauernschrank, man hat einen Rahmen und in der Mitte eine dünne Ausfachung“, erklärt er. Trotz des leichten Gerüstes aus Aluminium sollte das Produkt solide gebaut sein: „Man muss die Mischung finden zwischen Statik, Konstruktion, visueller Stabilität und Proportion.“

Als Raumteiler bekommt das Regalsystem „Mesh“ dank der intensiven Primärfarben einen skulpturalen Charakter.

Blickverhältnisse fördern

Eine weitere Hürde stellte der Stil des Regalsystems dar: „Wenn Dinge ingenieurhaft modular gedacht sind, haben sie oft den Nachteil, dass sie nicht schön gestaltet sind. Als Designer habe ich die schwierige Aufgabe, die Technik so zu verstecken, dass der Käufer trotz Modularität nicht das Gefühl hat, er kauft einen ästhetischen Kompromiss“, findet Werner Aisslinger. Die Brücke zwischen Funktion und Design ist ihm gelungen: „Mesh“ fügt sich dank Varianten des Trägergestells in einer verchromten, farbig pulverbeschichteten und lackierten Version sowie dem individuellen Zusammenspiel der Flächen in jede Arbeits- und Wohnumgebung ein. Für Transparenz sorgen Teile aus Glas und Lochblech, die durch ihre Struktur und Färbung changierende, optische Effekte bieten. Wer es auffälliger mag, kann für die Gestaltung des Systems aus 28 Farben wählen. Sieben davon werden dazu für eine höhere Beanspruchung pulverbeschichtet angeboten. Aisslinger selbst will dem Interieur mittels unterschiedlicher Farben eine Identität verleihen: „Ich möchte nicht an grauen Wandschränken vorbeilaufen. Es soll eine Art Blickverhältnis stattfinden, man soll die Möbel wahrnehmen, sie sollen ein Eigenleben und eine Präsenz haben“, sagt er.

Von bestehenden Baukastensystemen unterscheidet sich „Mesh“ durch den Einsatz von flexiblen, transparenten und strukturierten Flächen.

Eine Wohlfühlatmosphäre schaffen

Da der Arbeitnehmer im Büro das Ambiente nicht selbst bestimmen könne, sei es Aufgabe der Raumgestaltung, dieses Defizit aufzufangen und eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Seine kreative Rolle hält Aisslinger dabei für „superwichtig“: „Ich habe als Designer eine soziale Verantwortung dafür, wie die Arbeitswelt aussieht“. Die Freude an Farben wurde dem 1964 im schwäbischen Nördlingen geborenen Designer in die Wiege gelegt: „In meinem Kinderzimmer sah es ziemlich wild aus, sehr bunt und mit einer Tapete mit riesigen, roten Pril-Blumen an der Wand. Man ist das Kind seiner Zeit und das kann man auch nicht ablegen. Es kommt im eigenen Werdegang als Gestalter immer wieder vor, dass man Verbindungen sucht zu seiner Kindheit oder zu seiner Sozialisation als Jugendlicher, was Ästhetik, Architektur und Design anbelangt“, resümiert er. Der anhaltende Retro-Trend im Möbeldesign kommt ihm da entgegen. Dennoch soll „Mesh“ in den nächsten Jahren erweitert werden, denn, so Aisslinger, „Systemmöbel sind einer Dauerrevolution unterzogen, Anforderungen und Maße ändern sich stetig“. Die Arbeitsmöbel müssten sich den Bedürfnissen des Nutzers anpassen und nicht andersherum. Gleichzeitig stehe man vor der Herausforderung, einem technologisch so komplexen System seine Zeit zu geben, statt jedes Jahr mit etwas Neuem aufzuwarten und so das eigene Produkt zu kannibalisieren.

Werner Aisslinger im Gespräch mit Stylepark-Redakteurin Anna Moldenhauer.

Die Zusammenarbeit mit Piure bedeutete für Aisslinger auch, an alte Zeiten anzuknüpfen: Immerhin stammt die vor zehn Jahren entstandene erste Kollektion des Herstellers aus seiner Feder. Dank des guten Teamworks konnte „Mesh“ in nur einem Jahr vom Entwurf zur Marktreife geführt werden. „Ein komplett neues Baukaustensystem zu entwickeln und daraus eine neue Arbeitswelt zu denken, war eine gute Aufgabe“, so Aisslinger. Welches Projekt sein Nächstes sein wird, ist für ihn noch ungewiss. „Ich mache keine Pläne, sondern floate mehr“, sagt er. Alle Aufträge in den letzten zwanzig Jahren wären quasi von selbst auf ihn zugekommen, daher lasse er sich überraschen: „Ich bin offen für alles was untypisch ist und ich noch nicht gemacht habe.“ Besteck zu entwerfen würde ihn zum Beispiel interessieren. Oder ein Fahrrad. Statt ein reiner Dienstleister zu sein, liebe er es, zu experimentieren und utopische Ideen weiterzuspinnen – wie Buckminster Fuller, der in den 1940er Jahren runde, transportable Häuser entwarf. Eine Gelegenheit zum Experiment steht schon fest: Vom 11. November 2016 an wird Aisslinger für die Neue Sammlung in München die „Paternoster“-Halle unter dem Titel „Werner Aisslinger: House of Wonders“ in ein Modell für Leben, Wohnen und Arbeiten verwandeln.

Das modulare System lässt sich ganz leicht zu einem individuellen Arbeitsbereich umwandeln.
Durch den flexiblen Einsatz von transparenten Flächen kann „Mesh“ auch zu einer edlen Vitrine umgewandelt werden.