Stylepark Kvadrat
Am Anfang steht immer die Neugierde
Isa Glink ist seit 2002 Creative Director von Kinnasand. Sie hat am Royal College of Art in London und an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften studiert. Sie ist verantwortlich für sämtliche Produktlinien, die bei Kinnasand in die Kollektionen „Textiles" und „Rugs" aufgeteilt sind. Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Für Stylepark hat Thomas Edelmann mit der Hamburger Designerin gesprochen.
Thomas Edelmann: Textilien geraten in den letzten Jahren wieder verstärkt ins Blickfeld, sowohl im Kontext privater Inneneinrichtung wie auch im Büro oder anderen halböffentlichen Bereichen. Woran liegt das?
Isa Glink: Viele Dinge um uns sind immer weniger greifbar. Wir befinden uns mitten in einem permanenten Informationsfluss, und haben dabei ein Bedürfnis nach Ruhe, nach Zeit für uns selbst. Wir versuchen uns eine eigene Komfortzone zu schaffen. Dabei spielt das Haptische, Sensuelle eine große Rolle. Hinzu kommt, dass man mit Textilien, wenn sie gut eingesetzt werden, Räumen eine starke Identität verleihen kann. Wenn man das mit Möbeln versucht, stößt man schnell an Grenzen, denn die sind schwieriger zu verändern. Mit Textilien hat man die Möglichkeit, individueller und flexibler zu arbeiten, da es unglaublich viele Kombinationen von Materialien, Texturen und Farben gibt.
Das gilt aber nicht mehr nur für die Wohnung, sondern auch für das Hotel oder das Büro?
Isa Glink: Die Übergänge sind fließend. Leben und Arbeiten sind durch flexible Arbeitszeiten und -orte immer weniger zu trennen. Deshalb werden Büroräume individueller und lebensfreundlicher. Dazu gehören für mich immer auch Textilien und Stoffe.
Oftmals ist bei Gestaltungsthemen von Trends die Rede. Folgen Sie eher längerfristigen Tendenzen?
Isa Glink: Wir gestalten nicht so sehr trendorientiert. Natürlich läuft man mit offenen Augen durch die Welt und weiß was passiert. Würde man einem einmal ausgesprochenen Trend folgen, wäre es ohnehin zu spät. Unser Anspruch ist es, eigene Wege zu gehen, unsere DNA weiter auszubauen.
Welche Ideen haben für Ihre Entwurfsarbeit besonders Gewicht?
Isa Glink: Wir arbeiten sehr offen und prozessorientiert. Wenn ich mit dem Entwurf einer neuen Kollektion beginne, habe ich verschiedene Ansatzpunkte. Mal gehe ich vom Material aus, von einer inhaltlichen oder einer grafischen Idee, von einer bestimmten Technik, die neu ist. Mit diesen einzelnen Bausteinen vollziehe ich den nächsten Schritt. Das geschieht im Zusammenspiel mit unseren hauptsächlich europäischen Produzenten. Gemeinsam vertiefen wir die Arbeit an den ursprünglichen Ansatzpunkten. Das ist wie ein Schneeball, wir beginnen zu mustern, die Musterungsprozesse werden im weiteren Verlauf optimiert. Ab einer bestimmten Phase des Entwicklungsprozesses bildet sich ein gemeinsam zugrunde liegender Gedanke der Kollektion, ein gemeinsames Thema heraus. Wir arbeiten an unterschiedlichen Ideen und sehen dann, wie sich das im weiteren Verlauf verdichtet bis wir wissen, wohin die Reise geht. Dank dieser Methodik gelingt es uns, eine gewisse Homogenität der gesamten Kollektion zu erreichen, eine für Kinnasand typische Sprache.
Wie lange halten sich Neuheiten im Programm?
Isa Glink: Die Kollektion umfasst derzeit etwa 200 Textilien und 18 Teppichqualitäten. Sie ist langfristig angelegt. Wir entwickeln so, dass die einzelnen Artikel über das Zeitgeistige hinausgehen und ihre Bedeutung behalten. Eventuell aktualisieren wir die Farben nach einigen Jahren. Die Qualität als solche unterliegt da keinen Zeitströmungen. Es gibt aber auch Artikel innerhalb einer Kollektion, die eher als ein Statement angelegt sind. Die machen vielleicht schon nach kürzerer Zeit anderen Dingen Platz. Sonst würde es irgendwann das Lager sprengen.
Unsere gesamte Kultur orientiert sich momentan stark an der Vergangenheit. Ob das Architektur oder Möbel angeht: man greift auf Dinge und Stile zurück, die bereits bekannt sind. Selbst das Neue tritt in bekannten Formen und vertrauten Farben auf. Was macht für Sie zeitgemäßes Entwerfen aus?
Isa Glink: Für mich ist das ganz einfach: am Anfang steht immer die Neugierde, der Spaß am Experiment. Wenn wir beginnen, schauen wir immer auch darauf, wie kann man es anders machen? Wir können nicht mit jeder Kollektion das Rad neu erfinden, aber für mich geht es immer darum, mit den vorhandenen und neuen Techniken smart umzugehen. Darum, wie man sie miteinander in Beziehung setzt, ihr Potenzial auslotet und es ins Spiel bringt, um zu neuen Lösungen zu kommen.
Auf welcher Ebene entsteht das Neue?
Isa Glink: Im besten Fall basiert die Produktentwicklung auf einer spezifischen Mixtur aus Materialien und Techniken. Man kann etwa klassische Technologien visuell neu interpretieren, so dass ästhetisch neue Wirkungen entstehen. Man kann mit neuen Garnmischungen arbeiten, die man in überraschende Konstruktion übersetzt. Oder aber klassische textile Themen werden neu interpretiert, indem man beispielsweise bestimmte Haptiken druckt, die üblicherweise mit Garn erzeugt wurden.
Ein Beispiel?
Isa Glink: Mich reizt es, vertraute Textilthemen neu zu interpretieren. Chenillegarn etwa, es hat eine sensitive, samtige Haptik. Für die „Zoom“-Kollektion verwendeten wir bei „Velvo“ einen Reliefdruck mit Zellulosefasern, der dieser taktilen Wirkung sehr nahekommt. Zugleich bringt das einen eigenen Twist, es entsteht eine komplett veränderte ästhetische Aussage. In der neuen Kollektion „Constructure“ haben wir das bekannte Herringbonemuster neu interpretiert. Wir haben es extrem aufgeblasen und in eine bestimmte Konstruktion gebracht, die es transparent und wie ein Wasserzeichen erscheinen lässt.
Wer sich weniger intensiv mit Textildesign befasst, könnte meinen, es ginge darum, Muster auf ein Trägermaterial aufzubringen. Die neue Kollektion heißt „Constructure“, was bedeutet das in Bezug auf die Gestaltung von Textilien?
Isa Glink: Uns geht es nicht in erster Linie um die reine Ornamentik. Nicht das Muster allein ist interessant. Was uns anspricht, sind bestimmte Reize. Die können von der Materialität ausgehen, vom speziellen Charakter von Leinen, Wolle oder Baumwolle. Oder von Mixturen und Kontrasten wie matten und glänzenden Oberflächen und verschiedenen Graden von Transparenz. Ebenso spielen Farben eine Rolle und grafische Aspekte. Wobei unsere visuelle Sprache nordisch geprägt ist, weniger ornamental.
Inwieweit hängt das mit der Konstruktion zusammen?
Isa Glink: Jeder Stoff hat eine innere Architektur. Am Beginn stehen das Rohmaterial und die Garne. Die Konstruktion und Struktur sagen etwas darüber aus, wie dieser gewebt, bedruckt, oder welcher Färbeprozess verwendet wurde. Anschließend geht es um die Ausrüstung. Wird der Stoff beschichtet, beispielsweise mit Silberpigmenten? Bildet er eine glänzende Textur, vergleichbar einer spiegelnden Wasseroberfläche? Oder ist er extrem weich? Das sind nur einige der Parameter, die uns zur Verfügung stehen. Es gilt, sie miteinander so zu vernetzen, dass am Ende ein Stoff mit einem ganz eigenen Charakter entsteht, mit einem überraschenden Moment. Ein Textil, dass es so vielleicht vorher noch nicht gegeben hat.
Was daran ist typisch für Kinnasand?
Isa Glink: Was unsere Arbeit charakterisiert ist der genaue Blick auf das Detail. Wir versuchen mit allen Parametern zu arbeiten. Es geht nicht um vordergründige, laute Effekte, sondern darum, dass im Zusammenspiel alles stimmt.
Kann man das an der aktuellen Kollektion „Constructure“ aufzeigen?
Isa Glink: Wir legen den Fokus auf Konstruktionen und Texturen, weniger auf vordergründige Muster, als auf innere Strukturen der Stoffe. Letztlich werden auch Textilien konstruiert. Es ist faszinierend, wie viele Parallelen es zur Architektur gibt, hier sind es die generischen Prinzipien Kette und Schuss, aus denen jedes gewebte Textil aufgebaut ist.
Das klingt spannend. Können Sie das an ein paar Beispielen darstellen?
Isa Glink: Für den Artikel „Flame“ haben wir verschiedene Baumwoll- und Wollgarne miteinander verzwirnt. Die Baumwolle bildet eine weiß hervortretende Struktur, eine so genannte Flamme. Dazwischen ist ein transparentes Polyestergarn geschossen. In der Kette hat man einen ganz leichten Ablauf von Streifen. Im Englischen gibt es den Begriff „refinement“, der diesen Blick fürs Detail ganz gut beschreibt. So werden zum Beispiel die fein gewebten Linien des Grundgewebes von „Scratch“ mit einem dreifarbig changierenden Garn überstickt und wirken wie von Hand schraffiert. Es entsteht der Eindruck einer frei im Raum schwebenden stofflich gewordenen Zeichnung. Oder bei „Big Scale“ wird die Perspektive eines Raumes visuell und zugleich materiell erfahrbar. Bei „CMYKK“ werden zwei sich addierende Punktraster unterschiedlicher Größe und Rhythmen übereinander gedruckt. Die Grundfarben scheinen modifiziert durch den aufliegenden, weißen Schaumdruck. Das untere Farbraster tritt dabei in den Hintergrund, es entsteht eine komplexe dreidimensionale Oberfläche.
Welche Rolle spielen die Teppiche in der „Constructure“-Kollektion?
Isa Glink: Es gibt drei neue Teppichqualitäten, die farblich 1:1 auf die Textilien abgestimmt sind. So verbindet „Moss“ die puristische Ästhetik eines Flachgewebes mit dem Komfort eines hochflorigen handgeknüpften Teppichs. „Cascade“ reflektiert das Licht durch die unterschiedliche Farbaufnahme von Wolle, Seide und Leinen in besonderer Weise. „Melt“ dagegen setzt sich aus einer Melange von fünf Farben und Garnen zusammen und lässt differenzierte Details auf der Oberfläche erkenne
Seit Sie 2002 Creative Director von Kinnasand wurden, hat sich viel verändert. 2004 wechselte der Textilverlag aus Schweden ins niedersächsische Westerstede. 2012 erwarb Kvadrat die Firma. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Isa Glink: Ich freue mich, dass die Kollektion noch internationaler wird und größere Verbreitung findet. Kinnasand ist bislang überwiegend ein Textilverlag für das Retail-Segment. Mit Kvadrat entstehen darüber hinaus weitere Synergien im Contract-Bereich. So arbeiten wir mit ausgewählten Einrichtern, Innenarchitekten und Architekten zusammen, etwa wenn es um die Gestaltung hochwertiger Objekte geht. Darüber hinaus eröffnen sich natürlich, was neue Pilotprojekte und das Marketing anbelangt, viele neue Möglichkeiten.