Im Gespräch: Alberto Alessi
Der Direktor und sein Zirkus
Wollte man einem Besucher die Quintessenz Amsterdams vermitteln, der Ort hätte nicht passender gewählt sein können: Das Studio des Designers Marcel Wanders liegt mitten in einem der schönsten und vielleicht noch immer typischsten Amsterdamer Quartiere, dem Jordaan, im obersten Stock einer alten Schule. Von seiner Terrasse aus schweift der Blick über den berühmten Grachtengürtel, die Heren-, Keizers- und Prinsengracht. Der hohe Turm der Westerkerk scheint zum Greifen nah, die Kuppel des königlichen Palais grüßt herüber. Doch nicht um die Schönheit der niederländischen Hauptstadt zu feiern, haben Wanders und der piemonteser Haushaltswarenhersteller Alessi hierher eingeladen: Der Anlass ist die Präsentation der neuen „Circus“-Kollektion, die der Designer für die italienische Marke entworfen hat. So springen denn auch in Wanders’ Studio als Zirkusgestalten verkleidete Schauspieler herum: ein Direktor, ein Harlekin, ein starker August. Währenddessen inspiziert die Gästeschar die fünf Figuren als Edelstahl, die das Herz der neuen Kollektion bilden – als da wären: ein Direktor, ein Harlekin, ein starker August, ein Clown und eine Elefanten-Ballerina.Marcel Wanders hat fünf Zirkuscharaktere mit fünf Alltagsgegenständen verschmolzen und das Ergebnis wirkt gleichermaßen naiv wie artifiziell. Die Figuren scheinen direkt aus einem Kinderbuch entsprungen zu sein. Teils erzählen sie kleine Geschichten: Der Zirkusdirektor, eigentlich eine Tischglocke, fährt in einem Wägelchen umher, das ein Affe zieht. Dem Tier hängt als Lockmittel die ewig unerreichbare Banane vor der Nase. Auf einer runden Spieldose balanciert auf einem Ball ein Elefant mit Schirmchen und Tutu auf einem Bein, während eine Maus ihm neugierig zusieht.
Ob man das charmant oder eher kitschig findet, liegt sicherlich im Auge des Betrachters. Für Puristen sind die Stücke gewiss nichts. Die Möglichkeiten, eine oder mehrere der Figuren zu erwerben, sind ohnehin begrenzt, denn die Produktion ist limitiert und der Preis gesalzen. Je tausend Stück zu je tausend Euro bringt Alessi auf den Markt.Für eine breitere Käuferschaft sind die übrigen Entwürfe der „Circus“-Kollektion gedacht. Dazu zählen unter anderem Teller, Flaschenkühler und Aufbewahrungsbehälter. Marcel Wanders hat für die Serie verschiedene geometrische Dekore in kräftigem Rot und Gelb sowie Schwarz und Weiß entworfen. Besonders hübsch sind die Karussell-Deckelgläser: Während die Pferdchen auf das Glas aufgedruckt sind, hat der Deckel die Form eines Zeltdaches, das von einer goldenen Kugel bekrönt wird.Es ist fraglos diese liebenswürdige Verspieltheit, die Firmenchef Alberto Alessi meint, wenn er von der typisch niederländischen Note spricht, die ihm an Marcel Wanders’ Entwurf so gefalle.
Fabian Peters: Wie entstand die Idee für die Zirkus-Kollektion?
Alberto Alessi: Marcel Wanders und ich sprachen erstmals vor etwa fünf Jahren über die Möglichkeit, etwas in dieser Art zu machen. In der folgenden Zeit haben wir uns dann aber hauptsächlich um andere Dinge gekümmert – das Tafelservice, Porzellan, Gläser, Besteck, Tabletts und Küchenutensilien, Pfannen, Töpfe. Vor zweieinhalb Jahren fand Marcel dann die Zeit, über eine Generation komplexerer Produkte nachzudenken – und er war so daran interessiert, dass wir ihm einfach nur sagten, er solle weitermachen.
Also war es Marcel Wanders, der auf die Idee mit dem Zirkus gekommen ist?
Alberto Alessi: Er kam auf die Idee mit dem Zirkus. Das ist Teil der Aufgabe des Designers. Ich mache viele andere Dinge (lacht).
Und was dachten Sie, als Sie von der Idee einer Zirkus-Kollektion hörten?
Alberto Alessi: Ich mochte die Idee. Ich dachte, das ist sehr Marcel Wanders, sehr holländisch, sehr Teil der holländischen Designkultur. Deshalb, dachte ich, ist es sehr gut für den Alessi-Katalog. Ich hatte da keine Zweifel. Das einzige Problem war: Wird Alessi in der Lage sein, diese sehr seltsamen Produkte herzustellen, denn sie entsprechen nicht der normalen Industrie-Logik. Also fingen wir an zu schauen, ob wir in der Lage wären, sie wirklich in Serie zu produzieren, nicht nur einen Prototyp zu bauen.
Es gab schon viele ausgeprägte Typen in den Alessi Kollektionen – etwa Anna G und Gino Zucchini. Haben sie Marcel Wanders um etwas in der Art gebeten?
Alberto Alessi: Überhaupt nicht! Um Ihnen eine Vorstellung zu vermitteln: Wenn wir die Arbeit mit einem Designer beginnen, ist das erste, was ich mache, ein Buch zu öffnen, das Alessi-Buch, und ich bitte ihn, das Buch zu lesen. Ich hoffe dann, dass er daran Interesse hat und vielleicht versuchen möchte, selbst ein Kapitel darin zu schreiben. Es liegt dann an ihm. Wenn er sich in der Lage sieht, es zu schreiben, sind wir in der Lage, es zu publizieren. Er muss überprüfen, ob er eine Reaktion fühlt, eine intensive, positive Reaktion – oder ob er nichts fühlt. Dann ist es besser, es sein zu lassen und das Buch zu schließen. Ich sage immer: Sie müssen erfühlen, ob Sie in dem Buch schreiben möchten. Der Inhalt Ihres Kapitels liegt dann primär in Ihrer Hand.
Denken Sie, dass Marcel Wanders von der Alessi-Geschichte inspiriert wurde?
Alberto Alessi: Ganz sicher! Alessi hat eine sehr lange Tradition guten Designs, eines, sagen wir mal, ernsthaften Designs. Dann, in den Neunzigern, als Marcel Wanders als Designer zu arbeiten begann, wurde Alessi bekannt mit verspielteren, bunten Plastikprodukten. Marcels Idee war es nun, diese Dinge neu zu interpretieren – und so der Alessi-Geschichte mit der „Circus“-Kollektion im wahrsten Sinne neue Gesichter hinzuzufügen.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, die fünf Zirkus-Figuren der Kollektion nur limitiert als Sammlerstücke zu einem ziemlich hohen Preis anzubieten?
Alberto Alessi: Die Tatsache, dass sie teuer sind, hat nichts mit der Limitierung zu tun. Das liegt ausschließlich daran, dass die Produktionskosten so hoch sind. Da die Kosten dieselben sind, egal ob wir nun 1000 oder 10.000 davon produzieren, haben wir entschieden, dass wir einen größeren Wert für den Käufer schaffen, wenn wir die Serie limitieren. Aber der Preis würde sich auch dann nicht ändern, wenn sie nicht limitiert wäre.
Die Kollektion lässt erst auf den zweiten Blick erkennen, dass sie von einem Designer gestaltet wurde. Sie sieht weit weniger designt aus, als vieles, was Alessi zuvor gemacht hat. Sie wirkt ein bisschen naiv – im positiven Sinne. Sie schaut ein wenig aus, wie einem Kinderbuch entsprungen. War das die Absicht?
Alberto Alessi: Das ist Teil von Marcels Poesie. Er hat einen sehr stark dekorativen Ansatz, der nebenbei bemerkt ganz typisch ist für seine Generation holländischer Designer. Deshalb war es ganz selbstverständlich für ihn. Ich betrachte die Kollektion als ein gutes Beispiel holländischen Designs, weil holländisches Design eben sehr dekorativ ist, sehr expressiv, sehr plakativ. Wenn wir britische Designer betrachten, ist es eine andere Geschichte. Für Alessi ist es sehr wichtig, Designern die Freiheit zu lassen, ihre eigene Kultur auszudrücken. Ich will, dass Marcels Arbeiten holländisch aussehen, genauso wie ich es schätze, wenn ich mit Jasper Morrison arbeite, dass die Leute verstehen, dass er Brite ist.
(Der Korkenzieher in Harlekinform wird auf den Tisch gestellt)
Den finde ich ja besonders schön. Es ist eine tolle Idee, ihn wie eine Art Springteufel zu gestalten. Ich frage mich nur, ob ihn je jemand benutzen wird, weil er ein Sammlerstück ist?
Alberto Alessi: Ich denke, wenn man eine Flasche Romanée-Conti aufmacht, oder einen Château Lafite...
Das wäre gewiss der richtige Anlass.
Alberto Alessi: Die Käufer der fünf limitierten Figuren werden sicherlich eine andere Kundengruppe sein als der Durchschnitts-Alessi-Kunde – schon wegen des Preises.
Aber ausverkauft sind sie noch nicht?
Alberto Alessi: Nein, das war gestern Abend ja das erste Mal, dass wir sie präsentiert haben.
Wie lange, denken Sie, wird es dauern, bis sie ausverkauft sind?
Alberto Alessi: Ich kann es nicht sagen. Es gibt jetzt auch die Möglichkeit für Kunden, die Figuren auf der Alessi-Website zu erwerben. Das ist eine neue Erfahrung für uns. Wir haben zwar schon limitierte Auflagen gemacht, aber nur sehr wenige. Es wird eine Überraschung, wie lange es dauern wird.
Können Sie etwas zur technischen Entwicklung der Kollektion erzählen?
Alberto Alessi: Interessant ist zum Beispiel die Spieldose mit dem Elefanten. Die Spieldose wird in der Schweiz hergestellt, in der kleinen Stadt La-Chaux-de-Fonds, wo es eine Firma gibt, die auf Spieldosen spezialisiert ist und früher Automaten produzierte: diese Klavierspieler, Statuen und beweglichen Figuren. Darüber hinaus ist es hauptsächlich wichtig, alle Teile des Produktes gut auszubalancieren. Nehmen Sie den Korkenzieher hier: das sind vielleicht 40 verschiedene Teile, die zusammengesetzt werden müssen.
Alessi hat aufgrund seines Designs eine besondere Marktstellung. Wie wird diese zukünftig aussehen?
Alberto Alessi: Das ist eine gute Frage, die wir uns oft in der Familie stellen. Denn in fünf Jahren werden wir 100 Jahre alt. Deswegen fragen wir uns, was in fünf Jahren sein wird, was in zehn Jahren? Mir ist das egal – mir ist das vollkommen egal. Mir ist dagegen am wichtigsten, die nächsten Generationen darauf vorzubereiten, die Firma zu leiten, das Wesen von Alessi zu bewahren, unsere Identität als Brückenbauer für die weltweit größten Talente im Produktdesign. Wir sind ein Forschungslabor für Design. Das müssen wir uns erhalten und das ist nicht leicht, denn ab einer bestimmten Größe könnte unsere Produkt-Kultur in Gefahr geraten. Wenn wir die nächste Generation nicht richtig vorbereiten, gibt es Risiken.
Denken Sie, dass Ihre Mitbewerber in Punkto Design aufgeholt haben? Heute reißen sich alle um Designer. Ist es da schwierig, einmalig zu bleiben?
Alberto Alessi: Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich 1970 anfing, nach neuen Designern für Alessi zu suchen. Damals gab es in ganz Italien vielleicht zwölf, maximal zwanzig Designer. Heute sind es vielleicht 20.000. Die Dinge haben sich völlig verändert. Als wir anfingen, waren Designprodukte eine Marktnische. Heute sind sie Mainstream. Wenn ich mir die Industrieproduktion so anschaue, muss ich zugeben, dass das gestalterische Durchschnittsniveau gestiegen ist. Aber es gibt auch furchtbar viel schlechtes Design. Jeder kann heute ja alles Design nennen. Wir reden viel zu viel über Design. Es ist für uns heute schwieriger, uns von den Durchschnittsprodukten unserer Mitbewerber abzuheben. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja – die Zeiten sind härter geworden! Aber Herausforderungen machen das Leben doch interessant, oder nicht?
Wohin wird sich das Design in den nächsten Jahren entwickeln?
Alberto Alessi: Ich bin nicht sicher, aber vielleicht werden wir eine Auseinanderentwicklung sehen. Firmen wie Alessi, die auf einen breiten Markt zielen, werden möglicherweise exklusiver werden. Auf der anderen Seite wird die Massenproduktion gestalterisch absinken. In Folge der Globalisierung können Sie heute akzeptables Design zu sehr niedrigen Preisen herstellen. Aber dafür müssen Sie nach China gehen. Wenn Sie Ihre Produktion in Europa behalten, wie Alessi dies tut, dann müssen Sie die Dinge anders angehen.