top
Marc Gerber im Studio

JUNGE TALENTE
Mit Weitblick gestalten

Der Industriedesigner Marc Gerber lebt in Bern und gestaltet Produkte, für die er gerne um die Ecke denkt. Was er mit seiner Gestaltung verändern möchte, welche Arbeitsweise er von Konstantin Grcic gelernt hat und woran er gerade feilt, sagt er uns im Interview.
02.07.2024

Anna Moldenhauer: Du bist gelernter Konstrukteur und hast vor deinem Industriedesignstudium einige Jahre in der Maschinenbauindustrie gearbeitet – wie wirkt sich der technische Hintergrund auf deine aktuelle Arbeit im Design aus?

Marc Gerber: Sie hat einen großen Einfluss auf meine Arbeit, vielleicht sogar den größten. In meiner Zeit als Konstrukteur in der Maschinenbauindustrie war ich auch als Projektleiter tätig und stark in die Prozesse involviert, von der Entwicklung über das Design, Ingenieurwesen sowie die Umsetzung mit den ProduzentInnen. Ich wusste so bereits vor meinem Industriedesignstudium wie ich ein technisches Produkt marktreif entwickeln und produzieren lassen kann. Wenn ich ein Produkt entwerfe, habe ich die Fertigung immer im Hinterkopf.

Gehört es dazu, dass du nur die Materialien verwendest, die essenziell sind, um deine Idee zu realisieren?

Marc Gerber: Genau. Dafür spielt der Aufbau des Möbels eine große Rolle. Ich lege auch Wert auf die Prozesse, die während der Produktion, in der Logistik und im Verkauf stattfinden. Den Punkt der Nachhaltigkeit integrierte ich in jeden Abschnitt des Gestaltungsprozesses. Zur Gestaltung gehört für mich dazu sich zu überlegen wie die Einzelteile des Möbels sowohl kompakt gelagert wie verschickt werden können.

Skizzen Marc Gerber
Prototypen
Modell, Sessel "Looper"
Sessel "Looper"

Auch wenn das Design jeweils auf das Wesentliche reduziert ist, kann man in der Konstruktion deine Handschrift erkennen. Wie ist dein Ansatz, um diese sichtbar werden zu lassen?

Marc Gerber: Ich glaube für junge DesignerInnen ist es wichtig überraschen zu können, neue Dinge zu kreieren. Es gibt auf dem Markt bereits tausende Stühle und Tische. Was mich antreibt, ist der Reiz, in diesem Überfluss an Möbeln noch die Möglichkeit zu finden, etwas Neues zu machen. Dazu gehört es nebst der Typologie des Möbels auch mit kleinen Details neue Wege zu gehen sowie Humor oder einen gewissen Witz einzubinden. Bei meinem Tisch "Winku" wird durch die Flügelmutter als verbindendes Element der Fokus auf ein kleines Normteil gelegt, das den ganzen Charakter des Tisches prägt. Oder "Looper", mein Entwurf eines Rohrsessel, bei dem es mir darum ging, mit dem Verlauf des Rohres zu spielen. Meine Lösung wirkt zwar klassisch, vermag jedoch bei genauerem Hinsehen zu überraschen. Die Linien des Gestells wirken wie in du Luft gezeichnet und füllten einige Skizzenbücher.

Ich finde zudem deine Holzarbeiten interessant, wie den Stuhl "Conte", der ohne sichtbare Schrauben auskommt.

Marc Gerber: Auch wenn ich eher der Metalltyp bin, hat mich Holz schon immer fasziniert. Ich habe keine Ausbildung als Schreiner, sondern mir das Wissen über die Holzverarbeitung nach und nach angeeignet. Zudem hatten viele meiner Mitstudierenden in dem Bereich eine Ausbildung absolviert, so dass ich stets von ExpertInnen umgeben war. Holz verhält sich anders als Metall, somit sind die Möglichkeiten der Verarbeitung unterschiedlich. Daher war es durchaus eine Umstellung, bei der mir die Prototypen, die ich bei Schreinereien in Auftrag gegeben habe, geholfen haben um mehr über die Verarbeitung des Materials zu lernen. Ich muss als Produktdesigner nicht in jedem Handwerk ein Profi sein, aber es ist für die ideale Konstruktion wichtig zu wissen, worauf ich in der Gestaltung achten muss – für eine langlebige und stabile Lösung.

Sessel "Conte"
Sessel "Conte"
Stuhl "Öhi"

Deine Arbeiten sind sehr vielfältig – von Holzstühlen über die Outdoor-Kollektion bis zum Kaffeekocher und Motorrad. Wie näherst du dich den unterschiedlichen Themen?

Marc Gerber: Es kommt darauf an, mit welchen KundInnen ich zusammenarbeite. Im Grunde bin ich daran interessiert in allen Sparten zu arbeiten, denn das gewährt mir eine gewisse Abwechslung im Arbeitsalltag, die ich für meine Kreativität brauche. Von der Entwicklung von Küchengeräten bei denen die Komponenten im Spritzgussverfahren gefertigt werden und es auf Entformungswinkel ankommt, bis zur Fertigung von Holzmöbeln, wo geschicktes Handwerk gefragt ist. Es sind verschiedene Welten in denen ich mich wohl fühle. Ich habe eine Leidenschaft für das Design, aber auch für die Technik und versuche möglichst den besten Mix zu finden. Ein Beispiel ist das Konzept des höhenverstellbaren Tisches, den ich entworfen habe: Es ging mir darum eine neue technische Art zu finden, wie man diesen anheben kann. Ausgangspunkt war ein befreundeter Architekt, der Interesse an einem eleganten höhenverstellbaren Tisch ohne Teleskopzylinder bekundete. Das war für mich der Startpunkt einen Tisch zu entwickeln, der sich mit seinem Mechanismus vom gewohnten Bild des Schreibtisches abzuheben vermag und so auch eine gestalterische Qualität erhält.

Sprich deine Herangehensweise ist jeweils unterschiedlich?

Marc Gerber: Alle Projekte beginnen mit einer Recherche, aber viel hängt von den Vorgaben ab, die ich jeweils habe. Aufgaben mit sehr viel Freiheit sind mir natürlich die liebsten. Die Recherche ist essenziell, um einen Weg zu finden das Produkt zu entwickeln, was sowohl meinen Vorstellungen entspricht wie die Vorstellungen der Gesellschaft und der KundInnen trifft, nachhaltig wie wirtschaftlich ist. Das Gedanken Ping-Pong mit meinen Kunden schätze ich sehr und so lerne ich jeden Tag dazu.

Du hast im Jahr 2020 dein Studio gegründet, mitten in der Covid19-Pandemie, was ein mutiger Schritt war. Wie nimmst du die Möglichkeiten für junge GestalterInnen aktuell wahr?

Marc Gerber: Es war schon ein Wagnis sich in dieser Zeit selbstständig zu machen, ich habe zudem während der Pandemie meine Diplomarbeit fertiggestellt, obwohl wir nicht in den Werkstätten der Schulen arbeiten konnten, um die Prototypen zu bauen. Der Gedanke mich selbstständig zu machen, kam während meiner Zeit in Berlin auf, wo ich vor meinem Diplomjahr bei Konstantin Grcic arbeiten durfte. Die Zusammenarbeit mit Konstantin war für mich sehr prägend und hat mir ein gewisses Selbstvertrauen gegeben. Es hat mir sehr gefallen mit ihm an den unterschiedlichsten Projekten zu arbeiten. Ich habe unter seiner Führung gut funktioniert und es wurde mir klar, dass ich nach dem Diplom auch eigene Projekte verwirklichen möchte. Ich hatte auch Glück, da ich bereits zu Beginn Aufträge hatte. Man braucht Ausdauer und Geduld, auch für die Akquise und den Aufbau eines Netzwerks. Ich habe mir sagen lassen, dass im Durchschnitt etwa zehn Jahre vergehen, bis ein Designstudio etabliert ist. Der Austausch untereinander mit anderen GestalterInnen ist sehr wichtig, auch dass wir uns als Gemeinschaft gegenseitig helfen, anstatt nur die Konkurrenz zu sehen. Aus meiner Sicht sind aktuell auch die Unternehmen wieder mehr bereit mit jungen DesignerInnen zusammenzuarbeiten.

Gibt es eine Arbeitsweise oder ein Motto, dass du aus deiner Zeit im Studio Grcic beibehalten hast?

Marc Gerber: Ich mochte es sehr, wie wir die Ideen und Konzepte von Konstantin in einem stetigen Wechsel zwischen digitalen Werkzeugen und Papier-Modellbau überprüften und anpassten. Ich habe gelernt, dass dieser Ablauf bis zum fertigen Design sehr lange dauern kann, in anderen Fällen aber auch überraschend schnell. Wichtig ist, dass man auch Ideen überprüft die man im ersten Moment als zu speziell erachtet. Denn so können interessante Typologien entstehen, welche beispielsweise verschiedene Funktionen kombinieren und sich so einer sich verändernden Gesellschaft anpassen.

Was möchtest du mit deiner Gestaltung verändern?

Marc Gerber: Gute Frage. Ich arbeite beispielsweise aktuell mit einem Unternehmen an einem Office-Möbelsystem, das aus sehr wenigen Teilen besteht, modular und flexibel ist. Es reizt mich, die Dinge auf den Kopf zu stellen und neu zu denken, sie einfacher zu gestalten, angepasst an die heutige Zeit. Ein Beispiel ist die Outdoor-Kollektion "Nihoa" für Micasa, bei der man die Einzelteile der Lounge auch separat kaufen kann anstatt nur die Möbel als Ganzes. Ebenso können die Plattformen, die als Basis dienen, auch als Tisch genutzt werden. Die KundInnen können die Seitenteile abnehmen und das System nach Bedarf erweitern oder verändern. Die Zukunft eines Produkts mitzudenken, spielt in meinen Projekten eine große Rolle. Aber auch Produktionsabläufe zu vereinfachen und auf eine möglichst lokale Produktion zu setzen.

Woran arbeitest du gerade?

Marc Gerber: Aktuell arbeite ich parallel an einigen Projekten, sowohl in Kooperation mit Unternehmen wie frei. Zu den eigeninitiierten gehört neben einer Stuhlreihe aus Massivholz auch die Entwicklung einer Leuchte, die kompakt gelagert und verschickt werden kann, aber aufgefaltet ein sehr großes Volumen hat. Viele Projekte, an denen ich arbeite, drehen sich um das Büro und wie man für dieses neue Ideen entwickeln kann. Für einen Rohrsessel, den ich gerade in Kooperation einem deutschen Unternehmen entwickle, baue ich derzeit die Prototypen. Eventuell wird dieser im April 2025 in Mailand zu sehen sein.