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Über den Dingen: Désiré Feuerle auf dem Dach des Bunkers, den er zum Ausstellungsgebäude für seine Sammlung hat umbauen lassen.

Im Gespräch: Désiré Feuerle
Grobe Hülle, feine Kunst

Florian Heilmeyer hat den Sammler Désiré Feuerle in einem ehemaligen Bunker in der Nähe des Potsdamer Platzes getroffen. Hier residiert seit kurzem „The Feuerle Collection“, für die John Pawson die fensterlosen Betonburg zum Ausstellungsgebäude umgestaltet hat.

Es ist kalt, gefühlte 20 Grad kälter als draußen im Berliner Sommer. Wir sitzen in einem kargen Besprechungsraum im Bürotrakt, den John Pawson an diesen ehemaligen Telekommunikationsbunker angefügt hat. Es ist ein seltsamer, völlig geschlossener, zweigeschossiger Betonklotz am Halleschen Ufer, schräg gegenüber vom Deutschen Technikmuseum und vom Park am Gleisdreieck. Hier wollte die Reichsbahn einst ihre Stelltechnikzentrale einrichten, gut gesichert vor den Bomben des Zweiten Weltkrieges, aber der Krieg war zu Ende bevor das Gebäude fertig wurde. Für Menschen war der Klotz nie vorgesehen, und irgendwie scheint man das hinter diesen meterdicken Betonwänden und unter der mehr als drei Meter dicken Stahlbetondecke immer noch zu spüren. Nein, gastlich ist dieses Haus nicht. Das Erdgeschoss ist eine flache Halle mit wuchtigen, rechteckigen Betonpfeilern und erinnert an eine Tiefgarage. Auch wenn das Gebäude von außen zweigeschossig wirkt: über dieser niedrigen Halle liegt nur noch die Stahlbetondeckte. Die zweite, größere Etage liegt überraschenderweise darunter und der Ausstellungsrundgang führt gleich hinter der dicken Eingangsschleuse über eine neue Treppe hinab. Wie um das Gefühl der Höhle noch zu verstärken, sind die Einbauten der unteren Etage alle dunkel gestrichen worden. 

Als wir uns treffen, war die Feuerle Collection noch nicht offiziell eröffnet. Zwar war der Bau schon kurz zum Gallery Weekend im April zu besichtigen, und über den Sommer wurde er als Spielstätte der Berlin Biennale genutzt. Aber erst im Oktober eröffnet Désiré Feuerle seine erste eigene Ausstellung; daher sind Büro und Gebäude innen und außen noch immer im Umbau. Mit ansteckender Fröhlichkeit erzählt Feuerle inmitten des Unfertigen, wie er überhaupt auf dieses Gebäude gestoßen ist und warum John Pawson genau der richtige Architekt für diese Aufgabe war.

Florian Heilmeyer: Herr Feuerle, schon seit Jahren fahre ich mit dem Fahrrad an diesem Bunker vorbei, ohne ihn zu bemerken. Obwohl er mitten in Berlin steht, nur einen Steinwurf vom Potsdamer Platz entfernt, und obwohl er von der Hochbahn und der Straße aus deutlich sichtbar ist, wirkt das massive Gebäude seltsam unsichtbar. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?

Désiré Feuerle: Ja, das ist eine wesentliche Eigenschaft des Gebäudes. Seine Präsenz ist sehr diskret und zurückhaltend, es bleibt im Verborgenen als wäre es getarnt. Damals habe ich nach einem Standort für meine Sammlung gesucht – nicht nur in Berlin, sondern auch in Venedig, Istanbul, Spanien und China.

Sie hatten ihre ersten Auftritte als Kurator in den 1980er-Jahren in Köln. Haben Sie auch dort nach einem passenden Ort gesucht?

Désiré Feuerle: Nein, dass war für mich überhaupt keine Option. Ich meine, es war eine großartige, aufregende Zeit gewesen in Köln. Die Stadt war klein, aber sehr international. Alle kamen irgendwie dauernd in Köln vorbei. Ich hatte bei Michael Werner angefangen und dort auch schon eigene Ausstellungen kuratiert; bei Rafael Jablonka habe ich dann Beuys, Baselitz, Yves Klein und Brice Marden mit gotischen und barocken Madonnenfiguren und Pietas kombiniert und bei Monika Sprüht Skulpturen von Rosemarie Trockel mit Smaragd-Ohrringen und burmesischen Terrakotten aus dem 15. Jahrhundert in einen Dialog treten lassen. Später, in meinen eigenen Räumen, habe ich Trockels Arbeiten mit historischen wissenschaftlichen Instrumenten präsentiert und Kunstwerke von Gilbert & George mit antiken Uhren kombiniert.

Diese Gegenüberstellungen haben mich fasziniert, die historischen Objekte bekamen dadurch etwas Zeitgenössisches und die Zeitgenossen etwas Zeitloses. Für mich war es essenziell, dass diese Gegenüberstellungen von einem internationalen Publikum besucht wurden. Aber nach dem Mauerfall änderte sich Köln rasant. Auf einmal traf man dort nur noch Kölner. Also musste ich aufbrechen, das war eine Entscheidung von heute auf morgen, fast wie eine Flucht. Ich bin dann ein paar Jahre nur durch Asien gereist, habe Länder und Menschen kennengelernt und angefangen, Skulpturen und diese wunderbaren Steinmöbel zu sammeln. Jahrelang hatte ich gar keinen festen Ort und auch nicht das Gefühl, einen zu brauchen. Bis ich dachte, was mache ich denn mit all diesen Stücken, wo könnte ich die denn aufstellen? Darunter sind ja tonnenschwere Möbel, die man nicht mal eben woanders aufstellen kann. 

Sie brauchten für Ihre Sammlung also einen festen Platz?

Désiré Feuerle: Genau. Diese Idee hatte ich aber erstmal nur im Kopf und da hatte sie ganz unterschiedliche Ausprägungen. Zuerst dachte ich, es müsste ein verlassenes Kloster in Spanien sein, ein Ort im Sinne eines ganz unglaublichen Raumes an der Grenze zu einer Phantasiewelt.

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Wie wurde daraus dann ein Bunker in Berlin?

Désiré Feuerle: Meine Suche war vielleicht nicht allzu systematisch. Wie gesagt kamen viele Orte in Frage, letztlich fand ich Berlin einen guten Ort und kannte hier jemanden, der mir ein paar ganz besondere Gebäude zeigen sollte.

Wonach genau haben Sie suchen lassen?

Désiré Feuerle: Die Formulierung war vermutlich nicht allzu genau. Die Gebäude mussten sich vor allem als Ausstellungsort eignen und eine besondere Atmosphäre besitzen. Wahrscheinlich habe ich gesagt, dass ich gerne Gebäude sehen würde, bei denen Andere sagen: Das geht nicht, das ist zu verrückt. Wir haben uns zum Beispiel auch ein altes Krematorium und ein ehemaliges Gefängnis angeschaut. Berlin bietet wirklich eine erstaunliche große Auswahl in dieser Hinsicht.

Was hat am Ende den Ausschlag für diesen Bunker gegeben?

Désiré Feuerle: Das Bauchgefühl hat einfach sofort gestimmt. Auf dem Flachdach stehen diese dunklen, rechteckigen Betonkuben, die als bombensichere Abdeckung auf die Luftschächte gesetzt worden waren. Das Gebäude sollte ja die Technikzentrale für alle Fernmeldeanlagen der Reichsbahn werden, da musste es ein gut funktionierendes Lüftungssystem geben. Ähnlich wie heute bei Server-Farmen. Der Bunker hat also all diese wunderbaren Kuben aus Panzerbeton auf dem Dach, dunkel gestrichen, das hat mich gleich an Donald Judd erinnert. Manchmal führe ich Gäste zum Parkplatz hinter dem Gebäude, von dort sieht man diese Komposition der Kuben am Besten.

Sie haben erzählt, ihre Sammlung umfasse auch große, schwere Objekte. Derzeit zeigen Sie zum Beispiel einen massiven Marmortisch aus dem 17. Jahrhundert im Bunker. War das ein vergleichbares Gefühl: diesen Tisch zu entdecken und dieses Gebäude?

Désiré Feuerle: Einem Freund habe ich das Gebäude gezeigt: Wir standen beide im Inneren, es war voller Graffiti und stand noch teilweise unter Wasser, es tropfte, weil Wasser seinen Weg eben auch durch eine drei Meter dicke Stahlbetondecke findet, und der Freund sagte: „Du bist wahnsinnig. Wie willst Du das schaffen?“ Das hat mich noch mehr gereizt. Wie wenn einer im Schwimmbad sagt, vom Zehnmeterturm zu springen traust du dich doch nie. Und dann traut man sich eben doch. Manchmal darf man nicht zu lange zögern, sondern muss etwas riskieren, sonst ist die Gelegenheit verstrichen.

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Dann haben Sie sicher vor dem Kauf auch keine Machbarkeitsstudie oder so etwas in Auftrag gegeben?

Désiré Feuerle: (lacht) Nein. Was hätten wir untersuchen sollen? Dass es schwierig werden würde, war offensichtlich. Wir waren hier teilweise wie Archäologen unterwegs, haben an die Wände geklopft und sogar gegen Ende der Bauphase noch versteckte Leitungsschächte entdeckt.

Wie sind Sie auf John Pawson gekommen, kannten Sie ihn schon vorher?

Désiré Feuerle: Nein. Auf meinen Reisen hatte ich ein paar japanische Architekten kennengelernt. Diese Bauaufgabe und die japanische Art, Architektur zu denken, könnten gut zusammenpassen, dachte ich. Aber nach ein paar Gesprächen war ich von manch einem sehr enttäuscht. Einer, der ganz oben auf meiner Liste gestanden hatte, hat vor Ort gefragt, ob es eine Option wäre, alles abzureißen, denn das Gebäude sei doch sehr dominant. Ich habe ihn gefragt, was er damit meine, und als ich merkte, dass er es ernst meinte, haben wir uns gleich getrennt.

Wie kamen Sie also auf Pawson?

Désiré Feuerle: Er wurde mir empfohlen und ich hatte sofort ein gutes Gefühl. Er war ein guter Zuhörer. Ich besuchte ihn in London und nachdem ich ihm lange von meiner Sammlung erzählt hatte, fragte ich ihn, ob er überhaupt Interesse an so einer Aufgabe hätte. Daraufhin lächelte er und sagte: Würde ich denn sonst zweieinhalb Stunden hier sitzen?

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In einem Interview hat Pawson den Bunker atmosphärisch mit den Tempelanlagen von Angkor Wat verglichen. Ist das nicht ein bisschen hoch gegriffen?

Désiré Feuerle: Natürlich. Aber es zeigt, wie sensibel er sich dem Bestand genähert hat. Als ich mit ihm das Gebäude zum ersten Mal besichtigt habe, war er sehr still und hat sich alles genau angeschaut. Dann hat er gesagt: „Désiré, das ist kein Bunker, das ist ein Kloster. Wir müssen gut aufpassen, dass wir hier nichts kaputt machen.“ Seinen Entwurf begann er nicht damit, festzulegen was verändert werden muss, sondern er legte zuerst Dinge fest, die wir unbedingt so erhalten mussten, wie wir sie vorgefunden hatten.

Welche Rolle hat für Sie der Bunker von Christian Boros gespielt, der ja nicht weit entfernt liegt?

Désiré Feuerle: Natürlich kenne ich Christian Boros und seinen Bunker, aber ich sehe da wenig Zusammenhänge. Seine Sammlung hat einen ganz anderen Schwerpunkt und sein Gebäude hat viele Etagen und zahlreiche kleine Räume. Hier haben wir zwei große, weite Etagen mit kräftigen Betonsäulen. Auf der Suche nach einem Ort ging es mir darum, sowohl die richtigen Räume als auch die richtige Atmosphäre zu finden. Dass es ein Bunker wurde, war reiner Zufall.

Wäre ein Neubau für Sie überhaupt in Frage gekommen?

Désiré Feuerle: Nein, jedenfalls nicht in Berlin. Hier gibt es so viele interessante Gebäude, aus denen man etwas machen kann, da muss man nicht unbedingt etwas Neues bauen.

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In Basel wurde Anfang des Jahres das neue Kunstmuseum eröffnet, entworfen von den Schweizer Architekten Christ und Gantenbein, ein massiver, sehr präsenter Bau mit viel Sichtbeton. Emanuel Christ hat zur Eröffnung gesagt, es sei ihnen um eine „physisch verbindliche Architektur“ gegangen: „Sich an der Architektur zu reiben, ist für Künstler wie für Kuratoren interessant. Wir wollten Räume schaffen, die einen Widerstand leisten.“ Können Sie mit diesen Worten etwas anfangen? Haben Sie mit diesem Bunker auch nach Räumen gesucht, die „Widerstand leisten“?

Désiré Feuerle: Hm. (überlegt lange, dann entschieden) Eigentlich nicht, nein. Ich habe nicht nach einem Gebäude gesucht, an dem ich mich irgendwie reiben wollte. Das war hier so vorgegeben und wir mussten Wege finden, damit umzugehen. Die Herausforderungen des Bestands fand ich interessant. Selbst wenn ich etwas Neues bauen würde, würde ich die Architekten bitten, etwas Neutrales zu bauen, nicht etwas Widerständiges. Das Guggenheim Museum in Bilbao ist eine fantastische Skulptur, und sicher das schönste Gebäude von Frank Gehry, das ich gesehen habe. Aber es drängt sich innen in den Vordergrund, die Kunst muss immer gegen diese Räume arbeiten. Als wir mit der Arbeit an dem Bunker angefangen haben, hat John Pawson immer gesagt, dass wir uns total zurücknehmen müssen, um einen Platz für die Kunst zu schaffen. Es ging eher darum, das Gebäude aufzuräumen, neu zu fokussieren und gut umzuorganisieren. Deswegen haben wir im Erdgeschoss drei weiße Wände an den Seiten eingestellt, hinter denen die gesamte Technik verborgen bleibt. Alle Details waren wichtig: Von den Türen und dem Tresen bis zu den Steckdosen sollte sich alles ganz unauffällig zurücknehmen. 

Ein rohes, raues Gebäude mit viel Beton, in dem Sie jetzt ihre Sammlung zeigen. Ist der Kontrast zwischen der groben Hülle und der feinen Kunst nicht ziemlich groß?

Désiré Feuerle: Der eigentliche Kontrast ist der zwischen Berlin und meiner Sammlung. Die meisten Dinge, die ich sammle, sind sehr fein und elegant, während Berlin insgesamt sicher etwas gröber daherkommt. Sie lachen, aber ich meine das positiv. Das ist für mich ein konstruktiver Kontrast. Die Stücke werden hier noch lebendiger. Ich kombiniere meine historischen Stücke mit Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern. Mich interessiert ja gerade das Auflösen dieses Unterschieds: die historischen Objekte existieren doch genau wie die neuen im Jetzt unserer Gegenwart. Für mich als Betrachter und Sammler sind also beide „zeitgenössisch“ im Sinne von realen, nicht vergangenen Objekten. Diese Gleichzeitigkeit möchte ich in meinen Ausstellungen zeigen. Berlin scheint mir dafür – mit allen seinen gleichzeitigen Kontrasten – ein sehr guter Ort zu sein.

The Feuerle Collection
Hallesches Ufer 70
10963 Berlin

Wiedereröffnung: 15. Oktober 2016