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"Wir sind Sparring Partner, Projektpartner, Herausgeber, Kurator – und irgendwie sind wir auch fast selbst Designer.", erklärt Carlo Urbinati. Und so vielseitig wie die Rollen des Unternehmens sind, so überraschend und heterogen sind auch seine Produkte.

Freiheit ist unsere Triebfeder

Daniel von Bernstorff und Robert Volhard haben mit Carlo Urbinati, dem Gründer und Geschäftsführer der italienischen Leuchtenfirma Foscarini über Emotionen, Freiheit, Inspiration und das kreative Universum hinter den Produkten gesprochen.
08.09.2017

Carlo, Foscarini ist weit mehr als ein Produzent schöner Leuchten. Es gibt eine kulturelle DNA, Foscarini gibt das Magazin Inventario heraus, fördert Kunst und Architektur, kuratiert Ausstellungen. Warum ist das für Sie so wichtig und wie kam es dazu?

Carlo Urbinati: Das ist schwierig zu sagen, da es für uns so normal ist. Wir fühlen uns extrem privilegiert in der Designbranche zu arbeiten und dann noch mit dem Medium Licht, dem besten aller möglichen Ausdrucksmittel. Das fasziniert uns immer wieder. Es geht darum, einem Objekt einen Sinn zu geben und dadurch unmittelbar Emotionen und eine Verbindung vom Auge zum Herzen zu erzeugen. Das ist unser "Fare Luce"-Konzept, und das beinhaltet eben immer den Blick über den Tellerrand der Disziplin Design hinaus. Ohne diesen wären wir nicht ansatzweise da, wo wir heute sind.

So entstehen dann auch so ungewöhnliche Produkte wie "Filo"?

Carlo Urbinati: Absolut. Wir fühlen uns schon immer sehr hingezogen zu den bildenden Künsten. Daher arbeiten wir eben mit Andrea Anastasio, der die Leuchte "Filo" gestaltet hat, und der ja eher ein Künstler und Philosoph ist, aber auch mit anderen zusammen. Das ist die Art und Weise, wie wir arbeiten und es wundert mich, dass sich andere darüber wundern. (lacht)

Carlo Urbinati mit dem Designer Andrea Anastasio und Matteo Urbinati.

Als Herausgeber des Magazins Inventario und als Förderer von Architektur und Kunst investieren Sie viel Zeit, Energie und Geld in eine andere Disziplinen. Lohnt sich das?

Carlo Urbinati: Definitiv. Es geschehen so viele unerwartete Dinge. Schauen Sie hier (Carlo holt ein kleines Buch aus dem Regal). Dies ist ein herrliches Buch mit Fingerabdrücken von Andrea Anastasio. Es erzählt eine Geschichte, die dann letztlich zum Ausgangspunkt für "Filo" wurde. Ein ganz und gar philosophischer und künstlerischer Ansatz. Das Ergebnis bezaubert unmittelbar. Hier hat man alles, was man von einer guten Leuchte erwartet und dennoch komplett dekonstruiert und wieder zusammengesetzt. Ein ganz eigener, philosophischer und spezieller Zugang.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Andrea Anastasio?

Carlo Urbinati: Wir haben ihn über Beppe Finessi, den Chefredakteur von Inventario, kennengelernt, der ihn für eine Ausstellung eingeladen hatte. Wir kamen unmittelbar ins Gespräch, es entstand ein intensiver Dialog – und plötzlich traf es uns wie ein Blitz und wir sahen das Projekt vor uns. Schauen Sie hier, das Konzept ist in seinem Buch angelegt, wir mussten es nur befreien.

"Filo" von Andrea Anastasio wurde erstmalig auf der Euroluce 2017 präsentiert.

Wenn man sich die Vielfalt der Produkte von Foscarini anschaut, ist schwerlich von einer "roten Linie" zu sprechen. Sehe ich das richtig?

Carlo Urbinati: Absolut, die gibt es bei uns nicht – das ist ein essenzieller Teil unseres Ansatzes. Schauen Sie sich die Automobilbranche an: Ein BMW ist ein BMW, ein Audi ist ein Audi, das erkennt man sofort. Bei uns ist es das Gegenteil. Wir versuchen bei jedem Projekt zu erspüren, ob es eine starke Persönlichkeit, einen starken Kern gibt. Das ergründen wir im engen Dialog mit dem jeweiligen Designer. Es gibt kein starres Briefing. Stärke und Qualität des Produkts entstehen erst aus dem Dialog. 

Das ist nicht gerade der einfache Weg und in der Branche eher ungewöhnlich, oder?

Carlo Urbinati: Ganz ehrlich, wir haben uns schon einige Male gefragt, ob wir jetzt dieses oder jenes Produkt bräuchten für unser Portfolio, für den Markt, aber das hat nie funktioniert. Man verliert dabei das Gefühl für den Austausch. Alle unserer Leuchten – bis auf zwei – sind das Ergebnis eines intensiven Austausches von Ideen und Konzepten. Sehr oft weicht das Endergebnis in punkto Form und Materialität stark von der ersten Idee ab. Wir versuchen dann, für jedes Projekt das richtige Material und die passende Technologie zu finden, um unser Ziel zu erreichen. Wir wollen in Kontakt sein und Visionen austauschen. Das schafft natürlich auch Probleme. Wie erkenne ich die Marke Foscarini in den Produkten, wo ist eine allgemeine Handschrift zu erkennen? Schauen Sie, wir arbeiten mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Tom Dixon, Andrea Anastasio, Rodolfo Dordoni und vielen anderen. Gibt es da einen Zusammenhang? Das ist nicht immer leicht zu erkennen, aber für uns ist es die Freiheit, mit der wir die unterschiedlichen Charaktere der Designer und Projekte angehen und versuchen, sie in ihrer Eigenständigkeit so stark und konsequent wie möglich umzusetzen. Um damit starke und unmittelbare Emotionen beim Betrachter und Nutzer auszulösen. Dafür steht Foscarini.

Designer Rodolfo Dordoni mit seiner Leuchte "Lumiere".

Und was sind die beiden Ausnahmen?

Carlo Urbinati: Das sind "Filo" und "Lumiere", bei denen der erste Entwurf schon so war, wie die Leuchten dann tatsächlich umgesetzt wurden. Sonst gibt es eigentlich immer einen Vater und eine Mutter für jedes Projekt. Der Designer ist der Vater und Foscarini die Mutter – oder andersherum. Es ist eine intensive Verbindung, ein Sparring, ein aktiver Dialog. Bei jedem Projekt schauen wir als erstes gemeinsam, ob es einen starken Kern gibt, den wir herausarbeiten können. 

Und die Designer gehen diesen Weg mit?

Carlo Urbinati: Das ist in der Tat ein schwieriger Spagat, denn zumeist kommen sie mit einer Idee und sagen so etwas wie: Das wird Euer nächster Bestseller. Es dauert dann manchmal sehr lange, bis wir sie überzeugen können, dass es eine ganz andere Form von Dialog braucht. Sie fühlen sich dann oft nicht richtig ernst genommen, da sie uns eine Vielzahl von Ideen präsentieren und wir uns zunächst nur auf eine konzentrieren. Dann müssen wir ein Klima des Vertrauens aufbauen, in dem wir den Designer und seine Persönlichkeit respektieren, und dennoch erreichen, dass es eine echte Foscarini-Leuchte wird. Das kann lange dauern. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Unsere Zusammenarbeit mit Eugeni Quitllet währt nun schon viele Jahre und er hat wunderbare Entwürfe für uns realisiert. Am Anfang brachte er viele Ideen mit. Er hatte vorher im Leuchtenbereich nur mit Kartell gearbeitet und das konnte man sehen. Wir sagten ihm: Vergiss es, uns einfache Lösungen zu präsentieren. Wir brauchen eine neue Idee. Und er sagte: Worüber redet Ihr da? Das war wie ein Kulturschock. Eines Tages kam er dann mit den Skizzen für "Satellight", dieser besonderen Leuchte, bei der ein Lichtfragment zwischen transparentem Glas "eingefangen" ist. Das war die Idee, auf die wir gewartet hatten! Dann begann der Prozess, es ging hin und her, das Material wurde geändert, weil wir seinen Vorschlag, Kunststoff zu verwenden, nicht wertig genug fanden. Wir mussten viele Probleme lösen, um die beiden Glasschichten miteinander zu verbinden, ohne dass man es sieht, weshalb wir die Verbindungspunkte verstecken mussten. Am Ende war er überrascht und glücklich. Das ist unser Weg, das ist Foscarini!

Die Leuchte "Satellight" von Eugeni Quitllet ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Designer und Foscarini.

Foscarini ist also weit mehr als nur ein Auftraggeber des Designers?

Carlo Urbinati: Natürlich! Wir sind Sparring Partner, Projektpartner, Herausgeber, Kurator – und irgendwie sind wir auch fast selbst Designer. Ich habe selbst eine Firma gestaltet, das ist vom Prozess her gar nicht so weit entfernt. Wir brauchen eine starke Präsenz, müssen unseren Designprozess offenlegen und unseren Aussagen Glaubwürdigkeit und Relevanz verleihen. Wenn Sie heute über eine Messe wie die Euroluce gehen, finden sie alles, es erschlägt sie förmlich. Daher müssen wir einen anderen Weg finden. Jedes Projekt hat seinen eigenen Charakter – und dennoch müssen die Verbindungslinien sichtbar werden. Das ist auf einer Messe oder auch bei der Realisierung eines Katalogs nicht immer einfach. Wir sehen uns als eine Art von Kaleidoskop, in dem sich der Blick auf die Dinge immer wieder verändert. Ich könnte eine Woche lang ununterbrochen über "Twiggy" reden, darüber, wie wir sie entwickelt haben, welche Bedeutung dahintersteckt, mit welchen kleinen Tricks wir sie zu dem gemacht haben, was sie ist. Auf einer Messe wie der Euroluce brauchst du aber den verbindenden Rahmen, die Marke Foscarini muss sichtbar werden. Ähnlich verhält es sich in unserem Showroom, in dem die einzelnen Leuchten Teil einer Gesamtinszenierung sind. 

Kommen wir noch einmal auf das Magazin Inventario zurück, mit dem Sie ja unlängst den Compasso d’Oro gewonnen haben.

Carlo Urbinati: Inventario ist ein wahre Fundgrube an Ideen und Inspirationen. Als wir vor einigen Jahren mit Beppe Finessi gestartet sind, haben wir gleich gedacht, dass wir es von seiner Qualität so aufziehen, dass es einen Compasso d’Oro gewinnen könnte. Jetzt sind wir tatsächlich die erste Firma, die diesen Preis in zwei verschiedenen Kategorien – Industriedesign und Print-Produkt – gewonnen haben. The sky is the limit – das ist unser Kredo. 

Einer von sechs Räumen der "Fare Luce"-Installation während der Mailänder Designwoche.
Jede der sechs unterschiedlichen Installationen bot ein anderes Licht-Erleben.
Der Architekt Giovanni Maria Filindeu war für die Ausstellung verantwortlich.

Ein weiterer Meilenstein, an den ich mich gerne erinnere, war die Installation zum Jubiläum von "Lumiere" im letzten Jahr zum Mailänder Salone in der Triennale.

Carlo Urbinati: Ja, das ist ein gutes Beispiel für unseren Ansatz. Wir wollten das 25-jährige Jubiläum dieses Bestsellers feiern, ohne uns in Historismus zu ergehen. Ingo Maurer würde das auch nie tun! Wir wollten zeigen, was sich in diesen 25 Jahren auf der Welt getan hat und haben auf 25 Screens sehr emotionale Szenen aus jedem dieser Jahre gezeigt. Vom Fall der Berliner Mauer über den Tod von Ayrton Senna und die emotionalen Szenen in seinem Heimatland Brasilien bis zum Aufstieg des Internets, immer ging es uns um Dinge, die die Menschen berührt haben. In der Mitte der Installation stand die "Lumiere" quasi als zeitloser und eleganter Beobachter. Die Freiheit, solche Dinge zu tun, ist unsere Triebfeder. Die Freiheit, nicht Trends und Moden hinterherzulaufen, um ein bestimmtes Image auf dem Markt zu erreichen, sondern uns selbst immer wieder kreativ herauszufordern und an die Grenzen zu bringen. Das genießen wir sehr.

"Lumiere" von Rodolfo Dordoni auf der Euroluce 2017.
Daniel von Bernstorff und Robert Volhard haben mit Carlo Urbinati, dem Gründer und Geschäftsführer der italienischen Leuchtenfirma Foscarini. über Emotionen, Freiheit, Inspiration und das kreative Universum hinter den Produkten gesprochen.