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"CapitaSpring" von BIG-Bjarke Ingels Group und CRA-Carlo Ratti Associati

Fünf gute Nachbarn

Wann hat ein Bau einen sozialen Wert, ist ganzheitlich nachhaltig gedacht und zukunftsfähig entworfen? Diesen Fragen hat sich die Jury des Internationalen Hochhaus Preises 2024/25 gestellt. Alle zwei Jahre wird der renommierte Architekturpreis von der Stadt Frankfurt am Main, dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) und der DekaBank ausgelobt. Wir stellen Ihnen die Finalisten vor.
von Anna Moldenhauer | 04.11.2024

Mindestens 100 Meter hoch sollten die Bauten sein und in den letzten zwei Jahren realisiert, so lautete die Anforderung zur Einreichung der Projekte für den Internationaler Hochhaus Preis, der in diesem Jahr bereits zum elften Mal verliehen wird. Eine zukunftsweisende Gestaltung war gesucht, funktional wie nachhaltig, wirtschaftlich wie einfallsreich. Nun stehen die Finalisten aus über 1000 fertiggestellten Bauten fest, die die Expertinnen und Experten der Architektur- und Ingenieurpraxis, der Lehre sowie die Partner des Preises für die finale Runde überzeugen konnten: "CapitaSpring" in Singapur von BIG-Bjarke Ingels Group und CRA-Carlo Ratti Associati, "IQON Residences" in Quito, Ecuador, ebenfalls von BIG-Bjarke Ingels Group, die Projekte "Shenzhen Women & Children's Center" in Shenzhen, China sowie "Valley" in Amsterdam, Niederlande von MVRDV und der "Bunker Tower" von Powerhouse Company in Eindhoven, Niederlande. Fünf Projekte von drei Büros, die aktuell mit außergewöhnlichen Ideen in der Architektur den Ton angeben.

"Es haben sich zwei Erkenntnisse durchgesetzt: Hochhäuser sollten eine Mischnutzung bieten und auch im Sockelbereich zugänglich sein für die Menschen in den Städten. Kultur kann eine dieser Nutzungen sein, wie auch der Einzelhandel oder die Gastronomie. Die andere Tendenz ist, dass man sich darüber im Klaren geworden ist, dass mit dem Material sparsam umgegangen werden muss. Die Frage, wie Hochhäuser ökologisch gebaut werden sollten, damit sie möglichst wenig Energie verbrauchen, beschäftigt die ArchitektInnen und nicht zuletzt auch die PolitikerInnen sehr. Und diese zeigt sich in den Entwürfen, über die wir beim Internationaler Hochhaus Preis diskutieren.", so Dr. Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt am Main und Mitglied der Jury.

"CapitaSpring", BIG-Bjarke Ingels Group und CRA-Carlo Ratti Associati

Im Detail

"CapitaSpring" von BIG-Bjarke Ingels Group und CRA-Carlo Ratti Associati ist ein eleganter Turm, der auf 280 Metern gleich mehrere Funktionen erfüllt: Er bietet Büroflächen und schafft gewerblichen, temporären Wohnraum – inklusive Freizeitmöglichkeiten, wie einer Joggingstrecke und einem Swimmingpool. Zudem bietet er Bereiche, die für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind. Dazu gehören die Freiluftgärten in 100 Meter Höhe, die sich 30 Meter entlang von mäanderförmigen Wegen erstrecken, wie sie aus den Öffnungen in der Fassade wachsen. Diese wirken, als hätte man die vertikalen Elemente wie einen Vorhang auseinandergezogen. Natur und Architektur gehen als Symbiose nahtlos ineinander über und tragen zur Stadtbegrünung wie zu einer Klimaverbesserung bei. "CapitaSpring zeigt mit großem Erfolg, was passiert, wenn eine strategisch ausgerichtete Stadtplanung, innovative ProjektentwicklerInnen und wagemutige ArchitektInnen zusammenarbeiten: Ein Stück Innenstadt wird ein Dritter Ort für Alle, nicht nur für die mehreren Tausenden, die dort arbeiten", so Peter Cachola Schmal.

Zur Mischnutzung auf 93.000 Quadratmetern gehört zudem der 1-Arden Food Forest auf dem Dach des Gebäudes, dessen über 150 Obst-, Gemüse-, Kräuter- und Blumenarten die Restaurants des Gebäudes zu versorgen – wie die zahlreichen Essenstände in der zweiten und dritten Etage. Ebenso steht der "City Room" am Fuße des Turms den BürgerInnen der Stadt zum Verweilen und Flanieren offen. Ganz nebenbei unterstützt das Team mit "CapitaSpring" die Vision eines nachhaltigen Verkehrs im Green Plan 2023 von Singapur, indem 165 Fahrradstellplätze ermöglicht und ein 600 Meter langer Radweg um das Gebäude herum realisiert wurde, der mit dem Radwegenetz von Singapur verbunden ist. "Als jemand mit singapurischem Erbe fühle ich mich geehrt und bin dankbar für die Möglichkeit, zur kontinuierlichen Weiterentwicklung der Architektur in Singapur beizutragen, die eine einzigartige Mischung aus zeitgenössischem und tropischem Stil darstellt. In unserem Entwurf manifestiert sich dies in einem nahtlosen Übergang zwischen Garten und Stadt, der sich in den Fassaden und einer Reihe üppiger spiralförmiger Gärten ausdrückt, die verschiedene Programme und Annehmlichkeiten miteinander verbinden", so Brian Yang, Partner BIG. Für die Jury ist somit nicht nur die Eleganz des Gebäudes bemerkenswert, sondern auch der Aspekt der Stadtbegrünung und die Einbindung der lokalen Kultur bei gleichzeitiger Anpassung an das Klima in Singapur.

"IQON Residences", BIG-Bjarke Ingels Group und Ulribe Schwarzkopf

Das zweite Projekt von BIG, das es in die finale Runde geschafft hat, wurde in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Ulribe Schwarzkopf in Ecuador errichtet, in der Hauptstadt Quito. Da die Stadtlandschaft traditionell von Flachbauten geprägt ist, ist der 130 Meter hohe Bau der "IQON Residences" bereits aufgrund seiner Größe ein Blickfang. Als vertikale Gemeinschaft gedacht, hat das namhafte dänische Architekturbüro 32 Stockwerke aus Beton übereinandergestapelt und wie in einem Pixelwirbel zur Seite gedreht. Dank der Rotation der Struktur haben die BewohnerInnen einen herrlichen Ausblick über den nahen Carolina Park, die Stadt und den Vulkan Pichincha. "Jede Etage verfügt über Durchgangseinheiten – Wohnungen mit Terrassen an der Nord- und Südfassade – die nicht nur einen Blick über die ganze Stadt ermöglichen, sondern auch die Möglichkeit zur Querlüftung und ein Gefühl von Offenheit bieten", so Thomas Christoffersen, Partner von BIG. Neben den 215 Wohnungen bietet die Mischnutzung auch Gewerbeflächen und Büroräume. Auf dem Dach des Gebäudes wird zudem ein Swimmingpool und Terrassen angeboten, wie zahlreiche weitere Aktivitäten im Gebäude: Vom Fitnessstudio über ein Spa, bis zur Bowlingbahn. Im Erdgeschoss befinden sich öffentliche Räume, die sowohl dem Einzelhandel Platz bieten, wie flexibel für Ausstellungen und Events genutzt werden können.

Ecuador gehört zu den artenreichsten Orten der Welt und das wird auch in der Begrünung sichtbar: Gefäße aus Beton wurden in die Terrassenflächen integriert und mit einheimischen Bäumen und Pflanzen versehen, die sich nun vor der rauen Betonfassade in die Höhe strecken. Auch der nahe Park profitiert: Sobald die Gefäße zu klein für die grünen Lebewesen werden, finden sie dort eine neue Bleibe, um weiter wachsen zu können. "Ein strukturalistischer Berg, der seinen BewohnerInnen großartige Wohnungen bietet und der Stadt eine faszinierende Skulptur", so Peter Cachola Schmal. Der Wohnturm hat die Jury somit in mehrfacher Hinsicht überzeugt: Die elegante, geschwungene Form verleiht dem Gebäude überraschende räumliche Qualitäten, so dass die Form die Funktion verstärkt. Durch eine Rundung sind die Wohnungen bestmöglich zur Außenwelt ausgerichtet: Jede Einheit an den beiden Hauptseiten des Gebäudes bietet optimale Ausblicke.

"Shenzhen Women & Children's Centre", MVRDV

Das niederländische Architekturbüro MVRDV zeigt indes im chinesischen Shenzhen beispielhaft auf, wie Bestand kreativ für eine heutige Nutzung gewandelt werden kann: Für das "Shenzhen Women & Children's Centre" wurde der Wolkenkratzer aus dem Jahr 1994 auf vielen Ebenen umgenutzt. Das Projekt ist Teil des Modellprogramms für Revitalisierung durch die National Development und Reform Commission und dient Chinas Bestreben, bis 2060 CO2 neutral zu sein. Die während der größten Wachstumsphase der Stadt einst in großer Eile auf 108 Meter hochgezogene Struktur wurde von MVRDV mit einigen räumlichen Anpassungen optimiert, ohne zu sehr in das Gesamtgefüge einzugreifen. 80 Prozent der Betonstruktur konnten erhalten werden. Das Ergebnis sind Hotelräume im oberen Teil des Turms sowie Flächen für Büros, Lehre und den Einzelhandel im unteren Bereich. Ebenso wurde eine "Childrens Discovery Hall" geschaffen, die zahlreiche Angebote zum Spielen und Lernen bietet, wie eine Bibliothek oder ein Kindertheater. Auch an die Verkehrsanbindung wurde gedacht: Der Eingang zur U-Bahn ist in das Gebäude verlegt worden. Der Innenhof, einst ein Parkplatz, bietet nun einen öffentlich zugänglichen Gastronomiebereich, die Turmkrone eine Terrasse mit Panoramablick über die Stadt.

Dass das Gebäude dem Wohl von Frauen und Kindern gewidmet ist, sollte zudem bereits von weitem sichtbar sein: Die auskragenden Fassadenelemente sind in Gelb, Orange, Rosa, Grün gestaltet, eine Farbgebung, die wie ein Raster jeweils harmonisch ineinanderübergeht, den Sockelbereich umhüllt und sich bis zur Mitte des Turms nach oben streckt. Die vorgelagerten Aluminiumrahmen sorgen zudem für Privatsphäre, reduzieren die Sonneneinstrahlung und die damit verbundene Aufheizung des Gebäudes. "Das Shenzhen Women and Children's Centre könnte ein Pionierprojekt für Shenzhen sein. Aufgrund des rasanten Wachstums der Stadt sind viele der bestehenden Gebäude nicht wirklich für eine lange Lebensdauer ausgelegt. Das ist entweder eine Garantie für eine Abrisswelle oder, im Idealfall, für eine große Bewegung zur Umnutzung. Wenn man zeigen kann, dass selbst die unzulänglichsten dieser Strukturen wiederverwendet werden können, ließe sich eine enorme Menge an Beton einsparen, der sonst auf Deponien landen würde – und Millionen Tonnen an Kohlenstoffemissionen, die durch die Ersetzung dieses Betons entstanden wären, könnten vermieden werden", so MVRDV-Gründungspartner Jacob van Rijs. Nach Ansicht der Jury ist das Projekt ein deutliches Zeichen dafür, dass die Volksrepublik China rasch vorankommt mit ihren Bemühungen, das Problem der in die Jahre gekommenen ersten Generation von Hochhäusern anzugehen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die graue Energie der bestehenden Bausubstanz erhalten bleibt.

"Valley", MVRDV

Ebenfalls aus der Feder von MVRDV stammt das Hochhausensemble "Valley" im neuen Geschäfts- und Wohnviertel Zuidas in Amsterdam: Aus drei Türmen, die einem gemeinsamen Sockel mit sieben Geschossen entwachsen, besteht der Komplex, dessen außergewöhnlicher Aufbau je nach Blickwinkel ein anderes Gesicht hat. Wie eine futuristische Felslandschaft wirken die gestapelten Volumen aus hellem Naturstein, die bis auf 100 Meter in unterschiedliche Richtungen vor- und zurückspringen sowie jeweils über Hochbeete und eine kleine, begrünte Terrasse verfügen. Jede dieser vieleckigen Wohneinheiten hat einen eigenen Grundriss. Die "Zerklüftung" des Inneren mit Hängen und Tälern dient als Basis für die optimale Ausrichtung der Einheiten: Für den Entwurf der Fassade entwickelte das Team von MVRDV in Zusammenarbeit mit Arup Amsterdam ein parametrisches Werkzeug, um den Sonnenlichteinfall sowie die Ein- und Ausblicke jeweils exakt zu berechnen. Auch die Größe der 40.000 Steinfliesen für die Fassade des Gebäudes wurde mittels eines eigens dafür entwickelten Programms ermittelt. Der Aufbau schafft so viel Raum für Grünflächen, für die der Landschaftsarchitekt Piet Oudolf ein individuelles Konzept mit gut 220 unterschiedlichen Pflanzen erdacht hat. Teil dessen sind zwei kleine Teiche, die im gleichen Zug als Oberlichter fungieren, denn unter ihnen befindet sich eine Lobby, die den BewohnerInnen von "The Valley" als gemeinschaftliche Fläche dient.

Während in den unteren Stockwerken Flächen für die Tiefgarage, für Büros und dem Einzelhandel geschaffen wurden, sind die oberen Bereiche für die insgesamt 200 Wohneinheiten gedacht. Parallel führen Zickzack-Wege in das Innere des Aufbaus. Den herrlichen Ausblick genießt man in der öffentliche Sky Bar im höchsten Turm des Baus mit einem Drink in der Hand. Im Kontrast zum turbulenten Inneren stehen die glatten Fassadenseiten aus Glas und Stahl, die wie eine flache Schale das Innere teils von außen einfassen. Für die Jury ist Valley ein Projekt, das "mit dem Kontrast zwischen der strengen Außenfassade und der eher zufälligen inneren Struktur spielt und so ein lebenswertes vertikales Dorf entstehen lässt. Ein Projekt, das ein ansonsten kaltes Geschäftsviertel belebt und menschlicher macht." Teile des Gebäudes wurden bewusst für die Öffentlichkeit geöffnet, um Besuchenden Einblicke in die Umgebung zu ermöglichen, die sonst nur den Bewohnerinnen und Bewohnern vorbehalten sind.

"De Bunker", Powerhouse Company

"De Bunker" ist seit 1969 eine Institution in Eindhoven: Das brutalistische Monument des Architekten Hugh Maaskant war einst – anders als der Titel vermuten lassen würde – mit einem Stahlskelett und leichten Fassaden als multifunktionales Universitätsgebäude gedacht. Im Laufe der Zeit überwog die Nutzung als kulturelles Zentrum für das studentische Leben in der jungen Stadt. Auch Nanne de Ru, Gründer von Powerhouse Company, besuchte als Architekturstudent an der Universität Eindhoven die Veranstaltungen im "De Bunker" regelmäßig. Mit der Idee einer Mehrzwecknutzung rettete das niederländische Architekturbüro nun den vom Abriss bedrohten Bestand. Ergänzt wurde dieser um einen Turm, der sich auf 100 Metern Höhe nach oben leicht verjüngt. In diesem haben auf 32 Stockwerken sowohl großzügige Eigentumswohnungen wie Büroflächen und ein Café Platz gefunden. Zudem ermöglichte der Bau des Wohnturms die Integrierung einer Tiefgarage und die Umwandlung des angrenzenden Parkplatzes in einen öffentlichen Park.

Die architektonische Formsprache mit geneigten Wänden und horizontalen Linien hat das Team im Zuge der Restaurierung bewahrt und als Inspiration auch für die Erweiterung aufgegriffen. Der verbaute Naturstein geht dabei optisch nahtlos in die Betonstruktur über und findet in den Flächen aus Glas und Holz einen spannenden Kontrast. Etwa 3000 Fassadenpaneele wurden für "De Bunker" verbaut. "Unsere Lösung war unorthodox, genau wie es Maaskants gewesen wäre. Wir haben dem hauptsächlich horizontalen Gebäude eine vertikale Komponente hinzugefügt. Ein neues Volumen, ein neues Programm und neue NutzerInnen hauchen dem alten, ungenutzten Gebäude neues Leben ein.", so Stijn Kemper. Ebenfalls ungewöhnlich: "De Bunker" wurde nach dem Umbau unter Denkmalschutz gestellt. Der Jury gefiel die Idee, das Projekt aus dem spezifischen Standort abzuleiten und gleichzeitig das lokale architektonische Erbe durch die geschickte Umgestaltung der alten Gebäudeform zu bewahren. Diese Sensibilität für das Erbe spiegelt sich auch in der Wahl der Materialien wider.

"IQON Residences", BIG-Bjarke Ingels Group und Ulribe Schwarzkopf

Die feierliche Preisverleihung in der Paulskirche am 12. November 2024 wird via Livestream auf der Webseite des Internationaler Hochhaus Preis sowie auf dem YouTube-Kanal des DAM übertragen. Die ArchitektInnen des Gewinnerprojekts erhalten eine Statuette des international bekannten Künstlers Thomas Demand und vergeben ein Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro an eine gemeinnützige Initiative vor Ort. Die anschließende Ausstellung im Museum Angewandte Kunst stellt vom 14. November 2024 bis zum 12. Januar 2025 den Preisträger, die Finalisten und alle nominierten Bauten in Form von Modellen, großformatigen Fotos, Zeichnungen, Texten und Filmen vor.

Zur Jury des Internationaler Hochhaus Preis 2024/25 gehören:

Kim Herforth Nielsen, Gründungspartner 3XN, Kopenhagen – Juryvorsitzender
Yasmin Al-Ani Spence, Direktorin WilkinsonEyre, London
Roland Bechmann, Partner Werner Sobek, Stuttgart
Jürgen Heinzel, Assoziierter Design Direktor UN Studio, Amsterdam
Christopher Lee, Geschäftsführender Gründungspartner Serie Architects, London
Mari Randsborg, CEO Cobe Architect, Kopenhagen
Dr. Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt am Main
Peter Cachola Schmal, Direktor Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt am Main
Victor Stoltenburg, Geschäftsführer Deka Immobilien Investment GmbH