NACHHALTIGKEIT
Drei Etagen für die Zukunft
Streifen aus Dämmwolle ragen aus Bauschuttsäcken, Platten aus dem gleichen Material stapeln sich unter der freigelegten Decke, an der die Unterzüge, die Technik in Form von roten, kupfernen und silbernen Rohren sichtbar ist. Der Ausblick ist spektakulär, hier, im Hamburger "Emporio"-Tower, dem ehemaligen Unileverhaus. Von 1961-1964 erbaut, ist er mit seiner sternförmigen Architektur ein Symbol der Nachkriegsmoderne und steht seit 2000 unter Denkmalschutz. "Ursprünglich wurden wir engagiert, um ein neues Entree zu entwerfen", erklärt Christina Goerling, die gemeinsam mit dem Innenarchitekten Steve Jende CEO des interdisziplinären Unternehmens "Elbstrand & Mannschaft" ist. Das war im Februar 2020. Doch das auf erneuerbare Energien und nachhaltige Infrastrukturprojekte spezialisierte Unternehmen "Aquila Capital", seit 2012 Mieter im Emporio, wollte auch seine Büros modernisieren und vergrößern. Und gleichzeitig die Unternehmensphilosophie dargestellt wissen. Jetzt zeichnen Jende und sein Team für 4.500 Quadratmeter, verteilt auf die 18., 19. und 20. Etage, in dem 24stöckigen Gebäude verantwortlich.
"Jede Etage wurde komplett entkernt, hier stand kein Stein auf dem anderen", berichtet Janna Störmer, Architektin bei Elbstrand & Mannschaft, während eines Rundgangs im 20. Stock. Und ergänzt: "Die Raster der Heizkühldecke müssen beispielsweise zwingend eingehalten werden, alle 1,90 Meter ein Sprinkler, der Brandschutz ist in einem Hochhaus wesentlich strenger." Der Denkmalschutz wiederum versagt eine innenliegende Treppe und fordert hohe Auflagen für die Beleuchtungssysteme. Diese sollen sich auf die Erbauungszeit beziehen und nächtens alle Etagen ähnlich aussehen lassen.
Ziel ist eine Platin-Zertifizierung des DGNB
Den eigenen und den Ansprüchen des DGNB mit dem Ziel einer Platin-Zertifizierung folgend, werden alte Teppiche recycelt, werden CW-Profile, wie auch die Dämmmaterialen aus den 60er Jahren wiederverwendet und "jede Schraube wieder genutzt", ergänzt Störmer. Vieles haben die hier tätigen HandwerkerInnen zum ersten Mal so ausgeführt, wie 25 Türzargen pro Etage mittels Klammern einzubauen, anstatt sie zu verkleben. Als Herausforderung entpuppte sich auch die Planung des Interiors. "Beinahe 80 Prozent der von uns angesprochenen Unternehmen können keine vollumfängliche Auskunft über eventuelle Schadstoffe, beziehungsweise Informationen über die Herkunft ihrer Produkte geben“, erfuhr Christina Goerling. Für das Projekt Aquila ist dies jedoch essenziell, da sämtliche Lacke und Farben, Bauhölzer, Schichtstoffe, Zementböden und Polsterstoffe von DGNB-Auditoren geprüft werden. In der Konsequenz erstellt "Elbstrand & Mannschaft" seit Jahren eine Datenbank für zertifizierfähige Materialien.
Dass deren Verwendung keine Kompromisse in Sachen Design-Ästhetik mit sich bringt, zeigt sich in den Stockwerken 18 und 19, in denen der Umbau bereits weitestgehend abgeschlossen ist. Teppiche, mal mit dem Muster einer Wasseroberfläche und vermutlich eine Reminiszenz an die nahe Außenalster, mal kunterbunt in dunklem Dschungellook oder in erdigen Tönen gliedern verschiedene Bereiche. Ebenso variieren Tapeten und Wand- wie Deckenfarben, Vorhänge und das Mobiliar.
Tatsächlich schwebte dem Auftraggeber eine Arbeitswelt angelehnt an den pompösen Londoner Nachtclub "Annabel’s" vor. Elbstrand & Mannschaft dachte eher an skandinavische Unaufgeregtheit. Eine kompromisslose Mischung ist es geworden, teils leise, teils laut, in ihrem Look immer homogen. So dominiert hier ein naturgegerbtes Ledersofa von de Sede einen Raum, dort ein kanarienvogel-gelber Konferenztisch oder einfach das tiefe Blau von Türen und Wandpanelen.
Die Strukturierung der drei Flügel pro Stockwerk – jeder von ihnen autark und aufgeteilt in zwei Arbeits- und einen sogenannten "Extra-Flügel" – spiegelt auch die veränderten Ansprüche an einen Arbeitsplatz der Gegenwart wider. Davon zeugen schon die biophilen, dunkelgrünen Wände im Entree, bzw. in allen Eingangsbereichen der drei Geschosse. Außerdem ergab eine interne Umfrage bei Aquila: Geringere Lärmpegel, mehr Raum für soziale Interaktionen, offene und Ruhe-Zonen werden gebraucht.
Durchdacht und mit viel Liebe zum Detail durchbrechen jetzt Meeting-Flächen in Form von terrakotta-farbenen Hochtischen eine gängige Großraumbüro-Atmosphäre, fungieren Ablageboxen mitunter als Blumenkübel, werden Flure dank raffinierter Bänke mit schwenk- und höhenverstellbaren Tischchen zur Lounge oder bieten Korridore mit gepolsterten Nischen die Möglichkeit zum Gespräch oder für eine kurze Pause. Offene Teeküchen schaffen Flächen für den spontanen Austausch an der Bar, während XS-Kabinen für absolut ungestörte Unterhaltungen aufwarten. Das Design der Waschräume und Garderoben erinnern eher an ein luxuriöses Hotel. Oder eben einen Club. Klar, dass die höhenverstellbaren Arbeitsplätze via App gebucht werden können. Das Budget wurde übrigens auch eingehalten.