Es läuft Musik, Getränke werden gereicht, die Haare der jungen Frauen sind hochgesteckt, die Fingernägel lackiert: Die Stockholm Furniture Fair wird eröffnet, einschließlich der Halle V, dem Greenhouse, dem Ort der Designschulen und Freelancer. Hier sind die Entwürfe noch gewagter, experimenteller und noch nicht so sehr auf Rentabilität bedacht. Die Prototypen der jungen Designer überzeugen nicht nur formal, sondern auch in ihrer hohen handwerklichen Qualität. Bei der Präsentation der schwedischen Linköping Universität beispielsweise werden alte Handwerkstechniken wie Intarsien aufgenommen. Überhaupt wird mit dem Werkstoff Holz spielerisch und dekorativ umgegangen. Hier finden sich auch historische Formen wie Kordeln und Produkttypologien wie Kommoden, Schminktische, kleine Schränke für kleine Dinge wie Schlüssel oder Knöpfe. Bei einer Arbeit klebt ein Stapel Holz an der Wand und gibt dem Besucher Rätsel auf. Ist es ein Objekt ohne Funktion oder ein Geheimversteck, was da hängt? Bewegt sich eines der Hölzer und gibt sein Inneres preis? Nach mehreren Versuchen schiebt sich ein Kantholzverbund nach vorn und eine Schublade öffnet sich.
Die herausragende Qualität der Stockholm Furniture Fair gründet darauf, dass sie sich auf nordisches Design konzentriert. Während viele ausländische Firmen ihre Neuheiten für Mailand aufsparen, stellen nahezu alle skandinavischen Designunternehmen auf der Messe aus, die mit ihrer aktuellen Ausgabe ihr sechzigjähriges Bestehen feierte und damit zu der ältesten Messe in Schweden gehört. Diese Konzentration auf lokale Entwürfe, Designs und Produkte interessiert die Leute - und macht einfach Spaß. Auch die Rede des Ehrengastes Arik Levy auf der Pressekonferenz zeugte von der gelösten Atmosphäre. Gleich zu Beginn stellte er sich als „fair cookie" vor. Während seiner One-Man-Show auf der Bühne - komödiantisches Talent kann man ihm nicht absprechen - spricht er kaum über seinen Lounge-Entwurf für die Messe, er spricht auch nicht über seine anderen Arbeiten. Er spricht über die Aufgaben eines Designers, darüber, dass Designer nur in beschränktem Maße spezialisiert sind, nicht aber hinsichtlich der Gestaltung von Produkten. Designer seien vor allem Beobachter von Aktionen. Und im besten Fall übertrügen sie ihre Beobachtungen auf gute Produktentwürfe.
Auch wenn Arik Levy berechtigterweise Trends nicht mag - denn Trends können nicht für Designer gelten, schließlich müssen sie, da die Produktentwicklung einige Zeit in Anspruch nimmt, in der Zukunft leben - so waren doch auf der Messe einige Gemeinsamkeiten unter den Produkten zu beobachten. Beispielsweise tauchten erstaunlich viele Pastellfarben auf, wie bei dem längst zum Klassiker avancierten Regalsystem „String", bei dem Beistelltisch „Morris" von Original Habitek Works, bei der Stehleuchte „Grasshopper" von Gubi und der Leuchte „Project Francis" des jungen Designerduos Dmoch. Außerdem wurden viele Entwürfe aus Holz vorgestellt, wie etwa Stuhl und Tisch „Österlen" von Inga Sempé für Gärnäs, der Beistelltisch „Bit" von Chris Martin für Massproductions oder die Möbelserie „Collect" von A2.
Ganz in hellgrau und ihre Materialität nicht verbergend, stellte &Tradition die Leuchte „Trash me" von Victor Wayne Vetterlein vor. Bei „Trash me" wurde Papiermasse über eine Form gespritzt und an der Luft getrocknet. Wird die Leuchte nicht mehr benutzt, kann sie leicht recycelt und zu einem neuen Produkt verarbeitet werden.
Eine andere Leuchte, die ihren papierenen Ursprung erst beim zweiten Blick preisgibt, wurde als Prototyp im vergangenen Jahr als in Mailand vorgestellt. In Stockholm wird sie nun als serienreifes Produkt präsentiert. Die Leuchte „W101" vom schwedischen Designertrio Claesson Koivisto Rune wurde in Zusammenarbeit mit Wästberg und Södra Cell über einen Zeitraum von zwei Jahren entwickelt und soll um die dreihundert Euro kosten. Das Material der Leuchte „Durapulp" besteht aus einem Faserstoff und PLA, einem biologisch abbaubaren Polylactid. Das sehr stabile Material Durapulp wurde erstmalig öffentlich auf der Mailänder Möbelmesse 2009 mit dem Kinderstuhl „Parupu" vorgestellt.
Die in Stockholm allgegenwärtigen Designer Claesson Koivisto Rune - sie brachten Produktentwürfe von elf verschiedenen Herstellern und Galerien heraus - entwarfen für Berga Form eine Outdoor-Serie, einen Tisch mit einer Platte aus Betonwerkstein und einem Holzstuhl mit dem Namen „Matilda". Laut Marten Claesson kam ihm die Idee zu der Möbelserie eines Sommertages in seinem Garten, in dem ein paar Plastikmöbel standen, die den idyllischen Anblick der Landschaft störten. Bei Muuto demonstriert das Sideboard „Reflect" von Soren Rose dessen spielerischen Umgang mit Holz, indem die Schranktüren eine lockere Holzbeplankung vortäuschen und Griffe überflüssig machen.
Im Ganzen betrachtet ist die Stockholm Furniture Fair eine richtig schöne Messe. „Schön" in jeglicher Hinsicht. Die Messestände sind unaufdringlich, durchdacht und wirkungsvoll gestaltet, die Produkte werden ansprechend präsentiert, der Empfang auf den Ständen ist herzlich, und in silberfarbenes Papier eingewickelte Schokobällchen stillen den Hunger. Überdies bleibt die Messe mit 40.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche in vier Hallen überschaubar. (Der Salone in Mailand ist fünfmal größer.) In Stockholm machen Messe und eine Stadt gutes Design eben mit skandinavischer Selbstverständlichkeit lebendig.
www.stockholmfurniturefair.se