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Jede Menge Bauten: Aus einem Stapel von Jahrbüchern lässt sich durchaus etwas über den Zustand der Architektur in verschiedenen Ländern Europas ablesen.

In Österreich riecht es nach Holz, in Belgien nach Backstein

Architekturjahrbücher versammeln Bauten und bündeln Themen. Ist eine nationale Leistungsschau des Bauens überhaupt noch zeitgemäß? Beispiele aus ganz Europa zeigen – das Format bleibt lebendig.
von Florian Heilmeyer | 27.02.2017

Viel geschrieben wird über Architekturjahrbücher nicht. Das Hauptproblem ist im Allgemeinen, dass sie etwas zu langsam eine etwas zu vorhersehbare Auswahl von Bauten eines Landes zeigen, die von einem Gremium oder einer Jury als „beispielhaft“ ausgewählt wurden und dadurch dann meist allzu zahnlos positiv vorgestellt werden. Kontroverse, radikale, widersprüchliche Diskussionen und Positionen zur gebauten Umwelt, zur Gestaltung und zum allgemeinen Befinden der Architektur? In Jahrbüchern meist: Fehlanzeige.

Manche Länder haben sie, andere überaschenderweise nicht

In Deutschland, Spanien, Österreich und den Niederlanden sind die Jahrbücher schon lange eine etablierte Tradition. Bei den Eidgenossen gibt es erst seit wenigen Jahren eine „Schweizer Baudokumentation“, die sich als höchst kommerziell ausgerichtetes Produkt mit einer wenig nachvollziehbaren Projektauswahl und viel Werbung entpuppt. In Norwegen ist gerade die zweite Ausgabe von „Made In Norway“ erschienen, satte sechs Jahre nach der ersten. Das erweist sich aber als durchaus positive Entschleunigung, die in einer gut gemachten Projektauswahl mit wenigen Essays einen erstaunlich schlanken Rahmen findet. In Finnland hingegen gibt es das vielleicht unbekannteste aller europäischen Jahrbücher, es wird vom finnischen Architekturmuseum im Selbstverlag herausgegeben und ist ausschließlich über den Museumsshop erhältlich. In England, Frankreich, Dänemark, Portugal oder Italien, wo man so eine Tradition vermuten könnte und wo die Qualität der Architektur eine solche Sammlung wohl auch rechtfertigen würde, sind hingegen überhaupt keine Jahrbücher zu finden.

Die Bücher weiten den Blick über die Architektur hinaus: Jahrbücher aus Hamburg, Spanien und Norwegen.

Legt man die Bücher nebeneinander, kommt einem der nationale Rahmen, der die Auswahl jeweils klammert, auf einmal seltsam altmodisch vor. Erwartungsgemäß lassen sich kaum spezifische Bau-Unterschiede in den europäischen Ländern feststellen, die spanische Architektur wirkt nicht weniger deutsch als die deutsche spanisch oder niederländisch, auch wenn es im flämischen Jahrbuch vielleicht etwas mehr nach Backstein und im österreichischen etwas mehr nach Holz riecht. Erstaunlich ist aber, dass die Fragen nach nationalen oder regionalen Eigenheiten der Architektur in den Büchern nur selten überhaupt reflektiert werden – dabei bilden die Ländergrenzen doch bei jeder Auswahl ein grundlegendes Kriterium und werden nur überschritten, wenn etwa über das Schaffen einheimischer Architekten im Ausland berichtet wird.

Sei schlau, mach keine Leistungsschau

Die Österreicher leisten sich mit „Best of Austria“ alle zwei Jahre ein besonders pralles Jahrbuch, das die Frage nach einer österreichischen Architektur gleich in Serie thematisiert: Für jede Ausgabe wird ein nicht-österreichischer Autor eingeladen, um sich mit einem Blick von außen mit der nationalen Jahresproduktion auseinanderzusetzen. Das hat zu einer Sammlung sehr lesenswerter Texte u.a. von Vera Grimmer, Hans Ibelings und Kaye Geipel geführt, die gesammelt zugänglich zu machen eines Tages ein eigenes, lohnendes Publikationsprojekt ergeben könnte. Ansonsten wird das Thema der „nationalen Leistungsschau“ in erstaunlich wenigen der vorliegenden Jahrbücher überhaupt angesprochen. Die meisten begnügen sich mit einer reinen Architekturschau, mit einem Überflug, in dem wenig oder gar nicht nach einem roten Faden gesucht wird, der in den versammelten Projekten Gemeinsamkeiten sichtbar machen könnte.

Eines für die Wallonie, eines für Flandern: Belgien leistet sich zwei getrennte Jahrbücher.

In Belgien wird das nationale Element schon allein durch die spezielle politische Struktur des Landes verhindert – hier ist die Sprachgrenze wichtiger als die staatliche Außengrenze. So gibt es zwei vollständig voneinander unabhängige Jahrbücher: Die „Inventories“ für die Wallonie und Brüssel, die „Flanders Architectural Review“ für den flämischsprachigen Norden des Landes. Die „Inventories“ wissen mit einem Extra auf sich aufmerksam zu machen. Sie haben neun Illustratoren jeweils fünf Seiten zur Verfügung gestellt, um eine Geschichte zu einem der Gebäude zu entwickeln. Hier wird die sonst allzu trockene, seriöse Architekturvermittlung der meisten Jahrbücher mit Witz und Esprit aufgebrochen, die Gebäude werden gleichzeitig anspruchsvoll und leicht verständlich vorgestellt. Die flämische Ausgabe hingegen macht sich die Mühe, aus den Bauten ein Jahresthema zu destillieren. Für 2016 war das „Tailored Architecture“, womit eine Baukunst gemeint ist, die aus den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen der Austerität den Auftrag an die Architektur ableitet, nicht nur sparsam, sondern auch robust und im Detail hochwertig zu sein und eine „Maßanfertigung“ für die jeweilige Aufgabe zu finden. Gerade in ihrer totalen Gegensätzlichkeit – in Format, Vermittlungsansatz, Auswahlverfahren und Erscheinungsrhythmus – erzählen diese beiden belgischen Jahrbücher viel über das Land und seine Architektur. Schade, dass es sie nicht im Paket zu kaufen gibt.

Ein Archiv, das zu bündeln lohnen würde

Der spanische Almanach lebt von den wuchtigen politischen Essays seines Herausgebers Luis Fernández-Galiano, mit denen die 20 ausgesuchten Projekte in die politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Wandelungen unserer Zeit eingebettet werden. Die politisch-sozialen Ansprüche an die Architektur, die sich aus Galianos Texten ableiten lassen, halten die Gebäude dabei höchstens teilweise aus, aber gerade dadurch ist dieses Jahrbuch eines der lesenswertesten. In diese Kategorie gehört auch das Buch der Hamburger Architektenkammer. In ausführlichen Essays werden 19 ausgewählte Gebäude – vom Penthouse bis zur Kindertagesstätte – weniger als gelungene Design-Objekte, sondern als Beispiele für bestimmte gesellschaftliche Verschiebungen vorgestellt. In neun Essays, die in der zweiten Hälfte des Buchs das „Hamburger Feuilleton“ bilden, geht es um übergeordnete Themen des Städtebaus und der Architektur, etwa um Hamburg als „Arrival City“ oder um einen Denkmalschutz für die Großbauten der Moderne. Mit diesen Texten liefert das Buch nachträglich jenes Architektur-Feuilleton, das man sich in dieser Qualität wieder das ganze Jahr vergeblich in den Tageszeitungen gewünscht hat. 

Aus eins mach zwei: Von diesem Jahr an erscheint zum Deutschen Architekturjahrbuch ein Architekturführer, in dem knapp 100 Gebäude des Jahres versammelt sind.

Überhaupt möchte man vielen Beiträgen in den Jahrbüchern eine größere Verbreitung und Verfügbarkeit wünschen. Da erstaunt es umso mehr, dass noch keines eine ernsthafte Online-Präsenz entwickelt hat – schon alleine, um die periodisch gesammelten Projekte als wachsendes Archiv dauerhaft und weithin verfügbar zu machen. Diesen Weg hat nun das Deutsche Architekturmuseum mit der neuesten Ausgabe seines Jahrbuchs beschritten und eine Webseite präsentiert, auf der nicht nur die 20 für die Ausstellung und das Buch ausgesuchten Projekte zu sehen sind, sondern alle knapp 100 Bauten, die vom Museum sowieso jedes Jahr für den DAM-Preis recherchiert werden. Bei guter Pflege und mit einer sinnvollen Navigation wird hier rasch ein stattliches Online-Archiv neuer Architektur in Deutschland wachsen, das noch lesenswerter werden könnte, wenn auch die Essays aus dem Jahrbuch – vielleicht nach einer bestimmten Frist – dort veröffentlicht würden. Vielleicht wäre es dann auch ein Ort, an dem sinnvoll über zusammenhängende Entwicklungen und Themen in der Architektur nachgedacht werden könnte, in Deutschland und darüber hinaus. Auf jeden Fall ist dieses Projekt ein Schritt zu einem eigentlich längst überfälligen Architekturjahrbuch 2.0.