Es ist noch nicht lange her, da gehörte Outdoor-Kleidung plötzlich zum Alltag. Große Bevölkerungsgruppen, darunter einfache Spaziergänger, Fahrradfahrer und Büropendler, mutierten mit einem Mal zu hoch technisierten Outdoor-Freaks, zumindest was ihre Kleidung betraf. Von dieser Entwicklung, die nach wie vor anhält, profitieren neben den neu eingekleideten Kunden auch Hersteller wie Jack Wolfskin und The North Face, die sich dank ihrer hochpreisigen Textilwaren an prozentual zweistelligen Wachstumsraten erfreuen. Derartig tief greifende Veränderungen der Alltagskultur können Stilkritiker und Modeexperten nicht unberührt lassen, die in Zeitungen und Zeitschriften leidenschaftlich darüber diskutieren, ob solche Funktionskleidung salonfähig ist oder nicht. „Niemand klettert an seinem Schreibtisch" titelte etwa die „Süddeutsche Zeitung", und im Berliner „Tagesspiegel" war ein Artikel mit der Überschrift „Der edle Wilde in der Stadt" zu lesen. Wie jeder Design-Aficionado weiß, gelten Tendenzen im Modebereich als Hinweis darauf, welche Entwicklungen auch in anderen Produktbereichen – etwa dem Möbeldesign – anstehen. Und so stellt sich die Frage der Fragen: Leben wir schon bald in einem Outdoor-Wohnzimmer?
Den Innen- und den Außenbereich miteinander zu verbinden, gehört zu den wichtigen Themen der modernen Architektur. Seit Kurzem beschränken sich die Bemühungen jedoch nicht mehr nur darauf, das Wohnzimmer mit einer großen Fensterfront auszustatten, im Garten eine Terrasse anzulegen und das Haus mittels skulptural wirkender Steine zu dekorieren. Die verhalten „grünen" Aktivisten experimentieren dieser Tage mit dem Verhältnis von Inneneinrichtung, Urbanität und Natur auf scheinbar einfache und spielerische Weise, die gleichzeitig einen hohen Grad an Zeichenhaftigkeit mit sich bringt: In den großen Metropolen wird Brachland zu Farmen (Prinzessinnengärten in Berlin), Gebäudefassaden präsentieren sich als vertikale Gärten (Musée du Quai Branly in Paris), platzsparende Gewächshäuser kommen ins Haus (Omega Garden), auf Balkonen entstehen Imkereien (Berliner Imkerverband), Möbel werden aus Kartoffelstärke gebaut (Jerszy Seymour), in Frucht-Lollis befinden sich Kerne (Marti Guixé), Graffiti besteht aus Moos (Anna Garforth), Pflanzen erhalten den Status von Vintage-Objekten (Vintage Plant Shop).
Auch die Wildtiere treten – was für eine treffliche Koinzidenz – in unserem Leben wieder vermehrt in Erscheinung. „Seit einigen Jahren kommt es in Berlin mit seinem umfangreichen Waldbestand vermehrt zum Auftreten von Wildtieren in unserer unmittelbaren häuslichen Umgebung. Besonders Wildschweine und Füchse haben sich in den letzten Jahren ... offenbar stark vermehrt." heißt es auf der Internetseite der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Für den unbedarften Städter finden sich dort unter der Rubrik „Natur + Grün" umfassende Informationen für den Umgang mit Wildschwein, Fuchs, Steinmarder, Waschbär und Kaninchen. So wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass in „befriedeten Gebieten" wie Wohnsiedlungen das Jagen nur mit Ausnahmegenehmigung möglich sei, wobei eine „gefahrenlose Schussabgabe" gewährleistet sein muss. (Das klingt nach einem guten Stoff für einen „Tatort", zum Beispiel mit dem Titel „Wilderei im Großstadtrevier".)
All diese Entwicklungen gehen auch am Möbeldesign nicht spurlos vorbei. Natürlich durfte die Kategorie „Outdoor-Möbel" auf dem Mailänder Salone nicht fehlen. Vielen Herstellern ging es jedoch nicht nur um die Freiluft-Tauglichkeit ihrer Produkte, vielmehr sollten die Anforderungen des Innen- und Außenbereichs – also Wohnlichkeit und Witterungsbeständigkeit – gleichermaßen erfüllt sein. Die LC-Klassiker von Corbusier / Jeanneret / Perriand gibt es bei Cassina jetzt auch in einem wetterfesten Polyesterstoff; das Modulsystem „Mu" von Toan Nguyen für Dedon umfasst Sessel, Sofas, Hocker, Daybeds und Beistelltische; „Bob" von Hella Jongerius für Kettal soll eine zeitgemäße Interpretation des typischen Klubsessels für den Außenbereich sein; die Liege „Biknit" von Patricia Urquiola für Moroso bringt Großmutters Strickmasche in den Garten; den Sessel „Poltrona di Proust" von Alessandro Mendini bietet Magis nun in einer Kunststoffvariante samt Wasserablauflöchern an; und für die Entwicklung des Freischwingers „Waver" von Vitra studierte Konstantin Grcic Sportgeräte aus den Bereichen Windsurfing und Paragliding. Der Produkttext zum Sessel „Passio" und dem Sofa „Resille" von Philippe Nigro für Ligne Roset beschreibt den Status quo treffend: „Unter dem Einfluss der Bedeutung der ökologischen Fragen und dem Bedürfnis nach Natur spielen immer mehr Möbel die Grenzen zwischen innen und außen aus ... Zwischen Wintergarten und richtigem Wohnzimmer im Garten ist die Trennung nicht mehr so scharf: außen und innen vermischen sich. Neue Möbel ... von Designern entworfen und aus hochwertigen Materialien gefertigt, setzen sich in Szene ..."
Dabei kann „Outdoor" im Möbelbereich ziemlich viel heißen. Etablierte Standards zur Einrichtung von Balkonen, Terrassen, Gärten, Innenhöfen, Sommerküchen und Poolbereichen gibt es nicht. So bleibt es jedem Herstellers selbst überlassen, die Kriterien für die eigenen Produkte zu definieren. Wird das Möbel morgens raus und abends wieder reingetragen? Steht es von Frühling bis Herbst draußen – oder sogar das ganze Jahr über? Wie stabil muss es gebaut sein? Wieviel Sonne verträgt es? Was passiert bei Regen? Lassen sich die Oberflächen gut reinigen? Wie resistent sind die Materialien gegen Keime und Schädlinge? Kann es auch am Meer eingesetzt werden?
Nehmen wir nur die Polster: Lange mussten bei Stühlen und Liegen aus Holz, Metall oder Kunststoff die nicht wetterfesten Polster aufgelegt und später wieder weggeräumt werden. Mit der zunehmenden Vielfalt an Synthetikfasern bieten sich verbesserte Möglichkeiten für Polster und Bezüge, die Wind und Wetter standhalten und dennoch wohnlich wirken. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder die Bezüge bestehen aus wasserdicht beschichteten Textilien und haben versiegelte Nähte; das Wasser dringt also erst gar nicht ins Innere der Polster ein. Oder aber, der Aufbau von Bezügen und Polstern fördert die Wasser- und Luftzirkulation, so dass nass gewordene Polster schnell wieder trocknen. Das amerikanische Unternehmen Sunbrella etwa ist seit den sechziger Jahren auf Textilien spezialisiert, die sich für den Einsatz im Außenbereich ebenso eignen wie für den auf Schiffen. Und auch das indonesische Unternehmen „Quick Dry Foam" hat, unterstützt von deutschen Ingenieuren, vor einigen Jahren schnell trocknende Polster auf den Markt gebracht.
Der Frühsommer ist da, die Sonne lacht, die Blumen blühen, die Kinder spielen im Garten, Fruchteis und Bionade schmecken wieder besonders gut – und einige bedauernswerte Mitmenschen leiden an Heuschnupfen. Wir packen die Wintersachen in die Unterbettkommoden und die Sommergarderobe in den Kleiderschrank. In Gedanken sind wir schon mit der Einrichtung von Balkon, Terrasse und Garten beschäftigt. Wäre es da nicht schön, Möbel zu haben – die sich im Winter auch im Wohnzimmer verwenden lassen?
Outdoor-Möbel bei Stylepark