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NACHHALTIGKEIT
Mut zur Veränderung

Die Internationale Bauausstellung in der Region Stuttgart sucht Antworten auf die Frage, wie wir zukünftig Wohnen und Arbeiten wollen. Dabei spielt auch das zirkuläre Planen und Bauen eine Rolle. Wir sprachen mit Tobias Schiller und Stefanie Weavers von der IBA’27 über den prozesshaften Ansatz der Projekte und wie sich das Denken in Kreisläufen umsetzen lässt.
17.08.2023

Während der Internationalen Bauausstellung, die 2027 ihr Ausstellungsjahr haben soll, setzt sich die StadtRegion Stuttgart mit einer Vielzahl an Themen auseinander. Seit 2018 bewerben sich Kommunen, Initiativen, Unternehmen und private Träger mit ihren Vorhaben um eine Teilnahme. Die einzelnen Projekte in Form von Gewerbe- und Wohnvierteln, Infrastrukturen und einzelnen Gebäuden behandeln unter anderem Aspekte wie soziale und funktionale Durchmischung, neue Mobilitätskonzepte oder den wertschätzenden Umgang mit Materialien. Dabei ist es ein Ziel der IBA’27, gemeinsam mit den einzelnen Projektträgern Szenarien zu entwickeln, die auf andere Kontexte übertragbar sind. So sollen zukunftsfähige Lösungen entstehen, die zu einem ökologischen, technologischen und gesellschaftlichen Wandel beitragen.

Alexander Russ: Was ist das Konzept für die IBA’27 in Stuttgart?

Tobias Schiller: 1927 wurde die Weißenhofsiedlung in Stuttgart fertiggestellt. Damals haben sich die Vertreter des neuen Bauens gefragt, wie der moderne Großstadtmensch leben soll. Diese Frage haben wir für die IBA’27 erweitert, indem wir Antworten auf die Frage suchen, wie das Wohnen und Arbeiten der Zukunft aussehen kann und wie sich beides am besten verbinden lässt. Kurz: Wie kann man wirklich zukunftsfähig bauen? Wir verfolgen dabei ganz praktische Ansätze, vor allem in Form von Bauprojekten, die von ProjektträgerInnen aus der Region Stuttgart im Austausch mit der IBA’27 umgesetzt werden.

Welche konkreten Themen behandeln Sie?

Stefanie Weavers: Als zentrales Thema hat sich die produktive Stadt herauskristallisiert. Dabei geht es um Nutzungsmischung, also zum Beispiel Wohnen, Arbeiten und eben auch das Produzieren zusammenzubringen. Damit verknüpft sind Themen wie neue Wohnformen, Dauerhaftigkeit und das zirkuläre Planen und Bauen. Besonders wichtig ist uns: Wir wollen keine einmaligen Leuchtturmprojekte schaffen, sondern stattdessen eine Art Werkzeugkasten entwickeln, der nach der IBA’27 weiter angewendet werden kann. Es geht also darum, Denkweisen zu verändern und Kommunen von neuen Prozessen zu überzeugen.

Die Weißenhofsiedlung als Prototyp des modernen Städtebaus und Wohnens war damals der Inbegriff eines Leuchtturmprojekts. Damit verknüpft war eine klare ideologische Haltung, wie etwa die Trennung von Funktionen, die später in der Charta von Athen beschlossen wurde. Widerspricht das nicht Ihrem Ansatz?

Tobias Schiller: Die Weißenhofsiedlung ist für uns der Ausgangspunkt, Dinge neu zu denken. Es wurden damals Fragen gestellt, die uns heute noch beschäftigen – zum Beispiel wie bezahlbares, qualitätsvolles und gesundes Wohnen aussehen kann. Dabei wurden auch neue Konstruktionstechniken und Bauweisen erprobt. Aber viele Antworten sind heute andere, besonders bei der Frage nach der Funktionstrennung. Was uns besonders als Vorbild dient, ist der Mut, den die Stadt Stuttgart, der Deutsche Werkbund und die beteiligten ArchitektInnen damals aufgebracht haben. Und man muss sich vor Augen führen: Dieses radikal neuartige Projekt wurde innerhalb eines Jahres umgesetzt, inklusive Genehmigung. Dinge so grundlegend neu zu denken und umzusetzen, ist eine große Inspiration für die IBA’27.

IBA-Tag "Bauen" zum IBA’27-Festival #1 am 07.07.23 in Backnang

Einige Ihrer Projekte wie "Der neue Stöckach" in Stuttgart oder das "Produktive Stadtquartier Winnenden", pausieren gerade. Wie beeinflussen die gestiegenen Baukosten und Zinsen die Planungen für die IBA’27?

Tobias Schiller: Die dramatischen Krisen der letzten Jahre, jüngst auch die der Bauwirtschaft, sind Teil der Geschichte dieser IBA. In vielen Projekten stecken aber auch Antworten auf die Krisen. Wir wissen natürlich nicht, wie sich die Situation entwickelt, aber die Planungen in den Projekten laufen weiter – auch wenn 2027 nicht alles fertig sein wird.

Ein Ziel der IBA’27 ist es, einen Werkzeugkasten für zirkuläres Planen und Bauen zu erstellen. Wie funktioniert das genau?

Stefanie Weavers: Achtzig Prozent unserer Projekte haben mit Bestand zu tun, weshalb wir uns vorab die Frage gestellt haben, wie wir am besten damit umgehen – zum Beispiel was man mit den vorhandenen Materialien macht, wenn ein Gebäude tatsächlich abgerissen wird. Insofern spielt das zirkuläre Bauen bei fast jedem IBA’27-Projekt eine Rolle. Um am Beispiel der IBA-Projekte herauszufinden, wie die Wiederverwendung und -verwertung von Bauteilen und Materialien breit in die Praxis kommen kann, haben wir zusammen mit Concular aus Deutschland sowie Block Materials und Fibree aus den Niederlanden ein Projekt zur Kreislaufschließung aufgesetzt, das durch das Landesumweltministerium gefördert wird. Alle drei Unternehmen sitzen an unterschiedlichen Schnittstellen und ergänzen sich optimal.

Postareal Böblingen

Dazu sind drei Fallstudien geplant: Eine für das Postareal in Böblingen und zwei für das Quartier Hangweide in Kernen. Was passiert dort genau?

Stefanie Weavers: Die Bauten, die dort abgerissen werden, stehen repräsentativ für einen Gebäudebestand, wie man ihn überall in Deutschland findet. Beim Postareal in Böblingen ist das eine große Beton-Monostruktur aus den 1970er-Jahren. Beim Quartier Hangweide handelt es sich um ein dreigeschossiges Wohnhaus aus den 1960er-Jahren, das mit verschiedenen Schadstoffen belastet ist. Hinzu kommt ein gerade mal 20 Jahre altes kleineres Gebäude, das aktuell als Therapiezentrum für Menschen mit Behinderungen genutzt wird und aufgrund der aktuellen städtebaulichen Planungen rückgebaut werden muss. Dafür haben wir einen mehrphasigen Prozess entwickelt. In der ersten Phase werden die Materialien des Bestandsgebäudes erfasst, digitalisiert und Materialpässe erstellt.

Wie bringen sich Concular, Block Materials und Fibree in diesen Prozess ein?

Stefanie Weavers: Concular und Block Materials bearbeiten jeweils ein Gebäude und das dritte bearbeiten sie zusammen. Concular kümmert sich um die Innenbereiche und Block Materials vor allem um das Material aus der Gebäudekonstruktion. Damit verknüpft sind technische Fragen, etwa weil beide Firmen unterschiedliche Software benutzen. Deshalb muss man entsprechende Schnittstellen erzeugen. Ein Beispiel wäre die Berechnung des CO2-Einsparpotenzials, bei der wir uns sich auf eine Methode einigen mussten. Fibree übernimmt bei den Projekten die übergeordnete Projektsteuerung und Aufgabendefinition. Zudem hilft die Firma, ein Netzwerk für zirkuläres Planen und Bauen zu entwickeln, um so die verschiedenen, vor allem regionalen Initiativen und Unternehmen zu bündeln.

Was war das Ergebnis der ersten Phase?

Stefanie Weavers: Das tatsächliche direkte Wiederverwendungspotenzial von ganzen Bauteilen und Materialien war deutlich geringer als gedacht. Das hat zum einen mit dem Thema Gewährleistung zu tun, weil man für bestimmte Bauteile, wenn man sie wieder neu verbaut, Einzelfallgenehmigungen braucht, was meist zu aufwendig ist. Zum anderen spielt die Schadstoffbelastung eine große Rolle. Und oft sind die Bauteile so stark miteinander verklebt, dass sie sich nicht mehr trennen lassen. Wir stehen im Austausch mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Firmen, um herauszufinden, welche Lösungen es dazu gibt. Aber auch über dieses Projekt hinaus befassen wir uns mit neuen nachhaltigen, biobasierten Materialien. Beispiele aus der Industrie wären etwa TRIQBRIQ, ein patentiertes Holzbausystem, bei dem Schad- und Restholz verwendet wird, oder das belgische Startup IsoHemp, das Steine aus Hanf produziert.

Tobias Schiller: Beim Bau der IBA-Projekte sollen auch neue Bauweisen und Materialien getestet werden. Ein Beispiel ist das genossenschaftliche Wohnbauprojekt "Leben in der Vorstadt" in Schorndorf, das von Kaiser Shen Architekten entworfen wurde und in Strohballenbauweise ausgeführt werden soll. Dafür gibt es ein regionales Förderprogramm, um Mehrkosten bestimmter technologischer Innovationen zu finanzieren.

Quartier Hangweide in Kernen, Gelände

Wie geht es beim Projekt zur Kreislaufwirtschaft weiter?

Stefanie Weavers: In der zweiten Phase geht es um den Austausch mit verschiedenen Fachleuten. Mittlerweile haben wir ein großes internationales Netzwerk aufgebaut. Das ist sehr wichtig, da Institutionen und Initiativen oft gar nichts voneinander wissen. Allein schon durch unser Projekt sind neue Kooperationen entstanden, auch zwischen den beteiligten Firmen. Hinzu kommt, dass es keine zentrale Stelle gibt, wo man sich zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen informieren kann. So gehen Synergien verloren. Deshalb dokumentieren wir demnächst auf unserer Website die Wiederverwendung gebrauchter Baustoffe in den IBA-Projekten – gekoppelt mit einer Informationsplattform. Letztere beinhaltet sowohl Infos zum zirkulären Planen und Bauen als auch Adressen mit Anlaufstellen. Ein Beispiel ist das Innovationszentrum zirkuläres Bauen (InZiBau) der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), das 2022 in Karlsruhe gegründet wurde, und Kommunen in Baden-Württemberg beraten wird.

Durch das zirkuläre Bauen können neue Ideen für Geschäftsmodelle entstehen. Was für Erfahrungen haben sie diesbezüglich gemacht?

Stefanie Weavers: Es kommen viele Firmen aus der Bauindustrie auf uns zu, die sich kreislauffähig aufstellen wollen, aber nicht wissen, wie sich das konkret umsetzen lässt. Dabei spielt natürlich auch das Thema Gewährleistung eine große Rolle. In diesem Bereich gibt es noch viele ungeklärte Fragen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass immer mehr Firmen ihre Produkte zurücknehmen und rezertifizieren. Zudem gibt es mittlerweile Versicherer und Banken, die sich mit dem Thema beschäftigen. Eine andere Idee ist es, ein Leasingmodell für Produkte zu entwickeln, die bei einem Neubau zum Einsatz kommen. Das heißt, ich kaufe die Produkte nicht mehr, sondern miete sie, bis das Gebäude rückgebaut wird. Dafür muss man entsprechend ganzheitliche Konzepte entwickeln, die regional umsetzbar sind. Das Gebäude wird so zur Ressource.

Wie kann man Anreize schaffen, damit BauherrInnen solche Konzepte tatsächlich umsetzen?

Stefanie Weavers: Wir sind dazu mit verschiedenen Ministerien im Austausch und diskutieren das Thema. Es braucht auf jeden Fall flexiblere Förderinstrumente. Ein Beispiel ist die Städtebauförderung, mit der man viele kommunale und private BauherrInnen erreichen kann – etwa, wenn man bei der Sanierung eines Quartiers beratend tätig ist. Wenn man dort finanzielle Anreize für eine kreislauffähige Sanierung schafft, ist das ein effektives Werkzeug. Grundsätzlich schafft zirkuläres Bauen einen Nährboden für neue Finanzierungs- und Geschäftsmodelle. Man sollte die Leute aber nicht nur mit Geld, sondern auch mit Argumenten und vor allem Projekten, die zeigen was möglich ist, überzeugen.

Wie werden Vorgaben und Verordnungen wie etwa der European Green Deal oder die EU-Taxonomie das Bauen verändern?

Stefanie Weavers: Zirkuläres Planen und Bauen wird das neue Normal werden. Dazu bedarf es aber einer EU-weiten einheitlichen digitalen Infrastruktur, an die alle Beteiligten andocken können. Das wäre die Grundlage, um regionalspezifisch nach Partnern, Know How und Informationen zu suchen und das jeweilige Projekt dann umzusetzen. Es ist aber wie gesagt auch wichtig, nicht nur auf Vorgaben zu warten, sondern das eigene Handeln zu überdenken und bereits jetzt schon vorhandene Spielräume zu nutzen. Grundlage dafür ist das Verständnis der Zusammenhänge und Prozesse beim zirkulären Planen und Bauen. Das versuchen wir mit unserem Pilotprojekt zur Kreislaufschließung zu vermitteln.

Stefanie Weavers
Tobias Schiller