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Autonomes Möbel

WissenschaftlerInnen der Universität Stuttgart nutzen für selbstformende Möbel und Bauteile die natürlichen Eigenschaften des Holzes während der Trocknung.
von Anna Moldenhauer | 24.02.2022

Ein Stuhl aus Holz, der flach verpackt geliefert wird, aber für die Erreichung seiner endgültigen Form nicht montiert werden muss – wie soll das gehen? Ein Team des ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart hat hierzu in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden und der ETH Zürich ein Verfahren der Natur erforscht: Die Verformung von Holz durch hygroskopisches Schwinden. Trocknen die Zellwände des Materials nach der Ernte, ziehen sich diese zusammen und die gleichmäßige Krümmung des Holzes entsteht. "HygroShape" ist somit das erste Konzept für selbstformende Möbel. Das Projekt baut auf den Erkenntnissen auf, die WissenschaftlerInnen der Stuttgarter Universitäten und der ETH Zürich im Zuge der Errichtung des "Urbach Turms" gewonnen haben, dem weltweit ersten gebauten Objekt aus selbstformendem Holz. 2019 entstand das 14 Meter hohe Versuchsgebäude, das heute der Stadt Urbach in Baden-Württemberg als Wahrzeichen und Aussichtspunkt dient. "Aus diesem Projekt ist die Idee für selbstformende Möbel entstanden", so Laura Kiesewetter vom ICD der Universität Stuttgart. Je nach Schichtdicke und mit Berücksichtigung der Faserorientierung im Material ließe sich die Bogenform dabei sehr gut steuern, so Kiesewetter weiter. Dem dynamischen Design zugrunde liegt eine Berechnung des Schwindverfahrens und eine Bestimmung des Feuchtigkeitsgehaltes der mehrschichtigen Holzbauteile. Über die Veränderungen der Parameter wäre auch ein personalisiertes Design möglich. Generell ist die Technologie nicht auf eine bestimmte Holzsorte angewiesen, für ihre Forschung verwendete das Team bisher Ahorn-, Buchen-, Eschen-, Fichten- und Kirschholz.

Die ersten Möbel sind "H1" und "H2", ein Loungesessel und eine Chaiselounge aus FSC-zertifiziertem Ahornholz, das in dünnen Doppellagen angeordnet ist. Sorge haben, dass sich die Formen bei einer leichten Veränderung der Innenraumtemperatur verändern, muss man indes nicht. Auch die Materialstärke gewährt eine gewisse Pufferwirkung. Um die schlanken Flächen und eleganten Kurven wieder in einen flachen Zustand zu bringen, wäre eine anhaltende Durchfeuchtung notwendig. Für den Sprung zur Marktreife und einer Weiterentwicklung der Technologie, auch mit Blick auf leichte, tragfähige Bauelemente, haben Laura Kiesewetter und Dr.-Ing. Dylan Wood nun "hylo tech" gegründet. Alle Produkte des Spin-off Unternehmens sind biobasiert, biologisch geformt und könnten somit zu mehr Ressourcen- und Fertigungseffizienz beitragen.

HygroShape – Self-shaping wood furniture
Urbach Tower – Remstal Gartenschau 2019