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NACHHALTIGKEIT
Konstruieren neu gedacht

HPP Architekten realisieren für die Interboden Gruppe "The Cradle" – ein prägnanter Holzhybridbau in Elementbauweise, bei dem der ganzheitliche Ansatz im Vordergrund steht. Alle Baustoffe werden hinsichtlich ihrer Materialgesundheit, Sortenreinheit und Trennbarkeit ausgewählt. Das Konzept erklärt uns Antonino Vultaggio, projektverantwortlicher Senior Partner HPP Architekten, im Interview.
01.06.2022

Anna Moldenhauer: Herr Vultaggio, welche Herausforderungen gab es bei einem Bürogebäude in Holzhybrid-Bauweise zu beachten?

Antonino Vultaggio: Die größten Herausforderungen bei einem Bürogebäude in Holzhybrid-Bauweise sind vor allem die technischen Anforderungen an den Schnittstellen zur Holzkonstruktion und hierbei vor allem der Schall-, Brand und Witterungsschutz. Die Holzkonstruktion erfordert eine überwiegend finalisierte technische Planung. Auf Änderungen kann im fortlaufenden Prozess im Gegensatz zu einer Betonkonstruktion nur schwierig reagiert werden.

Warum haben Sie sich für einen Hybrid mit recyceltem Beton entschieden, statt ganz auf Beton zu verzichten?

Antonio Vultaggio: Der Projektstart geht auf das Jahr 2017 zurück. Damals waren in NRW nur 2-geschossige Holzgebäude erlaubt. Von daher ist das Gebäude in Bezug auf den Brandschutz konservativ ausgelegt worden. Das heißt wir haben bauliche Lösungen entwickelt, für die keine Kompensation notwendig gewesen ist. Daher sind sämtliche vertikale Erschließungen im Kern, das Erdgeschoss mit der Versammlungsstätte sowie die Untergeschosse in Beton ausgeführt.

Warum haben Sie sich für eine Integralfassade entschieden?

Antonino Vultaggio: Nachhaltig zu bauen, bedeutet bewusst zu planen und holistisch zu denken. Von Beginn an haben wir daher in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den TragwerksplanerInnen und den EnergieplanerInnen an der optimalen Gebäude-Lösung für die Gegebenheiten genau dieses Grundstücks gefeilt. Die parametrisch entworfene rautenförmige Fassadenstruktur hat sich aus Himmelsrichtung und urbanem Kontext sowie dem Anspruch, thermische Hülle und Tragwerk zugleich abzubilden, entwickelt. Das außen liegende Holz-Tragwerk bietet heute durch seine unterschiedliche Dimensionierung in der Tiefe und Geometrie zugleich die Verschattungsfunktion. Die Gestaltung der markanten Fassade macht diesen ganzheitlichen Ansatz architektonisch ablesbar. Im Kontext der prägnanten Gebäude im Düsseldorfer Medienhafen wird hier ein ganz neuer Zeitgeist transportiert.

Welche Vorteile hat Ihnen die überwiegende Holzbauweise bei der Realisierung des Projekts geboten?

Antonino Vultaggio: Konstruktiv eignet sich Holz optimal als C2C-Baustoff: Wir können "stecken & schrauben" statt "kleben", d.h. reversible Verbindungen umsetzen. Nach dem Prinzip 'Design für Demontage' wird das Konstruieren grundlegend neu gedacht, um größtmögliche Kreislauffähigkeit zu erreichen. Außerdem reduzieren wir wesentlich die CO2-Emmission der Konstruktion und kreieren eine schadstofffreie Wohlfühlatmosphäre für die BüronutzerInnen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Baustoffe ausgewählt?

Antonino Vultaggio: Neben den ästhetischen und qualitativen Aspekten werden sämtliche eingesetzten Baustoffe hinsichtlich ihrer Materialgesundheit, Sortenreinheit und Trennbarkeit geprüft und ausgewählt, sodass sie nach Gebrauch wiederverwendet oder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. Die Verwendung von Inhaltsstoffen, die auf der sogenannten 'Banned List of Chemicals' stehen ist, soweit technisch umsetzbar, ausgeschlossen. Stattdessen werden möglichst C2C-zertifizierte oder vergleichbar nachhaltige und recycelbare Materialien und Produkte verwendet.

"The Cradle" wurde mit Hilfe eines digitalen Zwillings geplant, der zudem den gesamten Lebenszyklus abbildet. Welche Vorteile hat das für Sie?

Antonino Vultaggio: Durch die Abbildung des gesamten Lebenszyklus – sprich von der Entstehung über die Bewirtschaftung bis hin zum Abriss ermöglicht die zirkuläre Bauweise eine ganz neue Ebene der Wirtschaftlichkeit. Nach Fertigstellung wird "The Cradle" als erstes Pilotprojekt in Deutschland auf der Madaster-Plattform registriert. Es ist das erste globale Online-Kataster für Materialien und Bauprodukte. Es lässt sich somit jederzeit ermitteln, welche Mengen und Arten an Materialien konkret auf unserem Grundstück im Düsseldorfer Medienhafen verbaut sind. Durch den Erhalt der Identität im digitalen Modell behalten die verbauten Produkte ihren Wert und "The Cradle" wird als werthaltiges Rohstoffdepot abgebildet: es kann eine nachvollziehbare Auskunft über die finanzielle Bewertung des Rohstoff-Restwertes bezogen werden. Nicht nur für unsere BauherrInnen und den Immobilieneigentümer ein enormer Mehrwert!

Welche Vorteile bietet die Bauweise von "The Cradle" den Menschen, die in dem Gebäude arbeiten werden?

Antonino Vultaggio: Das Holz ist überall im Gebäude sichtbar und schafft eine besondere Atmosphäre. Durch die besondere Fassadenkonstruktion, die auch gleichzeitig den Sonnenschutz bietet, bleibt der Hafenblick immer erlebbar – anders als in umgebenden Büros, bei denen der Sonnenschutz heruntergefahren wird. Den Themen Behaglichkeit und Luftqualität haben wir zudem besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Holz reguliert Raumklima und Luftfeuchtigkeit, ist gesundheitsfördernd und beruhigend. Für eine hohe Raumluftqualität sorgen eine ausgefeilte Technik, aber auch Lowtech-Lösungen wie begrünte Wände. Außerdem haben wir auf giftige Chemikalien wie Teppichklebstoffe und PVC verzichtet. Ich denke, "The Cradle" wird einen Ort schaffen, an dem die MitarbeiterInnen gerne zusammenkommen, denn es ist spürbar, dass der Mensch bei diesem Gebäude im Mittelpunkt steht.

Inwiefern kann "The Cradle" als Beispiel für nachhaltige Immobilienentwicklung dienen?

Antonino Vultaggio: Das Projekt war 2017 seiner Zeit voraus: Hier haben sich Bauherr, Architekt und weitere Planungsbeteiligte von Beginn an gemeinsam auf den Weg gemacht, um das visionäre Cradle-to-Cradle®-Prinzip ganzheitlich zu denken und in die Realität umzusetzen. Unter wirtschaftlichen Bedingungen wurde dieses Pilotprojekt sozusagen im "Reallabor" entworfen und als individueller "Prototyp" entwickelt - Planungsprozess, Design, Konstruktion und Lebenszyklus wurden grundlegend neu gedacht. Das Mindset des "Rethinking" ist für unser Büro seitdem immer mehr Grundlage bei neuen Projekten. Die Erfahrungen aus dem Projekt The Cradle kommen uns als HPP dabei zugute: Nachhaltige innovative Gebäude sind das Resultat permanenter Infragestellung etablierter Prozesse und der Vermeidung reflexartiger Lösungen. Für uns jedenfalls ist das The Cradle damit wegweisend.

Antonino Vultaggio