HOTEL
Kunstgriff
Pariser Chic? New Yorker Coolness? Hat man im Château Royal nicht nötig. Stattdessen ist das Hotel in Berlin auf Heimatliebe eingestellt – vom Wetterhahn des lokalen Künstlers Cyprien Gaillard draußen auf dem Dach bis zum dunklen Gussasphalt drinnen in den Hausfluren. Den Grill-Royal-Größen Stephan Landwehr und Moritz Estermann gelang der Kunstgriff, ein weltläufiges Ausnahmehotel mit lokalen Wurzeln zu schaffen. Kirsten Landwehr hat mit den KünstlerInnen und in Abstimmung mit uns besprochen, welche Arbeit in welchem Zimmer am besten funktioniert. Für den Gaumenkitzel ist die isländische Köchin Victoria Eliasdóttir zuständig.
Detailverliebte Innenräume und individuelle Lösungen entwarf die Architektin Irina Kromayer, die im Team mit Etienne Descloux und Katariina Minits ihre Inspirationen in der Gründerzeit und den 1910er- und 20er-Jahren fand. Passend zum dreiteiligen Gebäude-Ensemble, das aus zwei denkmalgeschützten Häusern, 1850 und 1910 erbaut, und einem von David Chipperfield verantworteten Neubau besteht. Auch im Innern reflektiert jedes Details das Thema Berlin – glasierte Jugendstilfliesen erinnern an historische U-Bahnhöfe, der Kamin erstrahlt im berühmten "Schinkelblau", die farbstarken Gussglas-Elemente in Lobby und Bar könnten einer Charlottenburger Beletage entnommen sein. Tatsächlich fühlt man sich im Château oft mehr wie in einer Westberliner Altbauwohnung, als im Hotel. Genauso ist es gedacht, sagt Irina Kromayer und erzählt von geliebten Tapeten, unerwünschten Partys, schwierigen Fernsehern und gut versteckten Bädern.
Katharina Hesedenz: Im Lauf der letzten Jahre haben viele Hotels in Berlin eröffnet, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Château Royal geht mit einem Lokalvorteil an den Start, weil es der Stadt und ihrer Szene am nächsten ist.
Irina Kromayer: Der Name ist natürlich ein großes Plus, klar auch, dass es Spaß macht, sich mit der Geschichte einer so spannenden Stadt auseinanderzusetzen. Wir nutzten die Gründerzeit und die 1910er- und 20er-Jahre als Inspirationsquellen, weil das für Berlin eine prägende Zeit war. In den Jahrhunderten war hier tatsächlich Provinz, erst mit Gründung des Kaiserreichs 1871 machte Berlin als Reichshauptstadt einen gewaltigen Sprung nach vorn. Durch die Reparationszahlungen, die Frankreich in Form von 1450 Tonnen Gold lieferte, kam viel Geld an, und plötzlich begann ein unglaublicher Aufschwung. Die 1920er-Jahre waren die kreativste Zeit. Das Bauhaus blühte auf, die ersten Entwürfe von Mies van der Rohe für die Stadt entstanden, ebenso der Berlin-typische Stil, darüber hinaus gab es sehr viele tolle ArchitektInnen.
„Wir nutzten die Gründerzeit und die 1910er- und 20er-Jahre als Inspirationsquellen, weil das für Berlin eine prägende Zeit war.“
Wie macht den typischen Berliner Baustil aus?
Irina Kromayer: Er ist geprägt vom Übergang aus einer handwerklichen Zeit in eine, in der alles auch dekorativer sein durfte, darüber hinaus gibt es diese ureigene Berliner DNA. Ein gutes Beispiel sind etwa Badezimmer und Treppenhäuser, die in Paris oder in London ganz anders angelegt sind. Auch Farben funktionieren hier anders, handwerkliche Details fallen anders aus.
Bildet eine ureigene Berliner Identität die Klammer, die drei so unterschiedliche Gebäude zusammenhält?
Irina Kromayer: Darüber hinaus halten auch beste Materialien und individuelle Einbauten – auf ortstypische Art eingesetzt – die verschiedenen Gebäudeteile zusammen. Was ich meine ist die Art und Weise, wie man in ein bereits existierendes Zimmer eine Hotelfunktion presst. Uns lag zum Beispiel viel daran, zu verhindern, dass die Bäder am Ende wie klassische Rigips Boxen aussehen. Natürlich haben wir ein Musterzimmer gebaut (Nr. 210), doch dessen Einrichtung und Ausstattung konnten nur grob auf andere Zimmer übertragen werden. Im Château Royal gibt es schließlich 93 Zimmer mit 26 verschiedenen Grundrissen, derart verwinkelte Anlagen findet man sonst eher in Venedig. Wir haben also umfassend auf individuelle Lösungen gesetzt, was dem Hotel auch eine schöne Zeitlosigkeit gibt. Ich möchte, dass das Hotel in zehn Jahren noch genauso gut aussieht wie jetzt. Man soll nie das Gefühl haben: Meine Güte, das ist ja vorgestrig.
Die Chancen, dass es so schnell nicht dazu kommt, stehen gut. Egal ob heute, in fünf Jahren oder in zehn, ich selbst würde gerne nach einer anstrengenden Reise in eins der Zimmer einchecken, in einem topasfarbenen Sessel von Christian Haas sitzen und eine Tasse Tee trinken. Hier wirkt alles zeitlos wohnlich und einladend.
Irina Kromayer: Die Räume wirken warm, weil nur beste Materialien mit viel Liebe zum Detail verbaut wurden. Darüber hinaus gibt es eine architektonische Qualität, die man als Laie vielleicht nicht sieht, die man aber spürt. Es gibt keine Lüftungsgitter, keine Klappen. Bei uns ist alles integriert und hat eine gewisse Eleganz.
Oft kommt man in ein Hotelzimmer, das auf den ersten Blick gut aussieht, und schon setzt die Enttäuschung ein. Zwar gibt es die Details, die auf den Fotos gut aussehen, doch alles ist lieblos gemacht und fühlt sich billig an.
Irina Kromayer: Wir haben in den Bädern wertige Dornbracht-Armaturen verwendet. Im Erdgeschoss sind die Türgriffe aus massivem Messing, die Stoffe sind von Dedar und Kvadrat.
In welchen Farben wurden die Berliner Kacheln verbaut?
Irina Kromayer: In insgesamt vier: Dunkelgrün, Hellgrün, Blau und Braunbeige. Das Blau ist eine klassische Berliner Farbe, die Schinkel sehr viel benutzt hat, das Grün kennt man aus dem Pergamon Museum oder aus dem Neuen Museum. Helle Töne, wie man sie in Mailand oder Los Angeles nutzt, passen hier nicht ins Licht. Berlin ist sechs Monate im Jahr grau und dunkel, gedeckte Farben funktionieren hier einfach besser. Sie fallen umso dunkler aus, je weiter unten man sich im Gebäude befindet, und umso heller, je höher man aufsteigt.
In den Hotelfluren gibt es einen dunklen Gussasphalt, den sogenannten "Berliner Terrazzo".
Irina Kromayer: Er wird nach dem Gießen geschliffen und sieht eigentlich wie ein ganz dunkler Terrazzo aus, hat sehr gute Wärmewerte und ist weich, wenn man darauf geht, nicht so kalt wie ein Steinterrazzo. Er wurde hier viel in den 1910er- und 20ern benutzt, etwa in Gerichtsgebäuden oder der U-Bahn. Auf den Zimmern haben wir Fischgrätparkett in klassisch deutschem Muster verlegt. Franzosen und Engländer legen ihr Parkett ein wenig anders.
Die Formen der Sitzmöbel, die Christian Haas speziell für Château Royal entworfen hat, sind auffallend-diskret. Ursprünglich war geplant, sie in einem eigenen Hotelshop auch zum Verkauf anzubieten.
Irina Kromayer: Den Shop wird es nicht geben, doch man kann die Möbel über das Hotel bestellen. In den oberen Etagen stehen sie in Hellblau, in den unteren in dunkleren Tönen. Insgesamt haben wir vier, fünf Möbelfarben entwickelt – und anschließend damit "komponiert". Passend zu den Haas-Sesseln haben wir ein Konvolut alter Orient-Teppiche gekauft und oft hat die Kunst eine weitere Farbe mit ins Spiel gebracht. Außerdem gibt es überall Vintagemöbel, die es uns erlaubt haben, individuell auf die drei Gebäude zu reagieren. Bei so vielen unterschiedlichen Zimmergrößen und -grundrissen, konnten wir nicht mit einer einzigen Produktion durchmetern. In manche Räume passen nur kleine Schränke, für sie brauchten wir zusätzlich Kommoden, in einen anderen passte nur ein extrem schmaler, langer Sofatisch, der war überhaupt nicht einfach zu finden.
Ein großes Herausstellungsmerkmal ist außerdem, dass es auf jedem Zimmer Kunst gibt. Das Line-Up der Kunstschaffenden ist ziemlich beeindruckend. Alicja Kwade, Thomas Demand, Tino Sehgal, Danh Vo...
Irina Kromayer: Wenn das Motto lautete: 93 Rooms, 93 Artists, fällt die Namensliste lang aus. Einer meiner Bauherren, Stephan Landwehr, ist seit Jahrzehnten eng mit vielen Künstlern und Künstlerinnen verbunden. Sie waren wegen der Pandemie zu Hause und hatten Lust mitzumachen, zeitweise war die Baustelle wie ein Zuhause für sie. Die Arbeiten wurden eigens für das Château erstellt, kuratiert wurde die Auswahl von Kirsten Landwehr und Krist Gruijthuijsen, dem Leiter des KW Institute for Contemporary Art in der Auguststraße.
Was entstand zuerst, die Kunst oder die Räume?
Irina Kromayer: Das war von Fall zu Fall verschieden. Wir haben gemeinsam mit den Künstlern und Künstlerinnen besprochen, welche Arbeit auf welches Zimmer kommt. Thomas Demand hat zum Beispiel früh für zwei Zimmer Fototapeten entwickelt, auf die wurde anschließend alles abgestimmt, auch die Deckenfarbe. In anderen Fällen entstand die Kunst so spät, dass die Künstler und Künstlerinnen zuerst das fertige Zimmer sahen, dann darauf reagieren konnten.
Noch eine Vorgehensweise, die sich recht arbeitsaufwändig anhört. Konnte das Hotel am ursprünglich geplanten Datum eröffnet werden?
Irina Kromayer: Ursprünglich waren drei Jahre eingeplant, doch es gab eine zusätzliche Baustellenverzögerung durch Corona. Insgesamt haben wir vier Jahre geplant, was unter anderem auch an der komplexen Baustelle lag. Viele Sachen, die wir anfangs angedacht hatten, konnten wir nicht realisieren. Mal gab es keine Produkte, die uns gefallen haben, mal fanden wir welche, die viel zu teuer waren. Am Ende haben wir selbst produziert.
Die Deckenlampen in den Zimmern stammen von einer Kreuzberger Leuchtenmanufaktur, die Teetabletts vom Designbüro New Tendency in Mitte.
Irina Kromayer: Wir haben überwiegend mit lokalen Manufakturen, Schlossereien, Elektrobetrieben und Schreinereien gearbeitet. Das meinte ich, als ich anfangs erzählte, dass die Bäder ein Teil der Möblierung sind und alles ineinander übergeht. Weil die Regale und Holzeinbauten in die Bäder hinein mäandern, mussten sie von Hand auf Maß für jedes einzelne Zimmer geschreinert werden. Im Eingangsbereich der Gästezimmer sind zum Beispiel Schiebetüren in die Regale integriert. Wenn sie geschlossen sind, kann man nicht sehen, was dahinter liegt, wenn sie geöffnet sind, kann man das Bad betreten – und entdeckt, dass die Regale zum Teil ins Badezimmer hineinstechen. So wird die Architektur immer wieder zum Möbel oder umgekehrt.
Gibt es einen Teil im Gebäude, der Ihnen besonders gut gefällt, etwa ein Lieblingszimmer? Es muss nicht unbedingt das größte oder das teuerste sein.
Irina Kromayer: Eins meiner Lieblingszimmer ist eine Suite mit einer Thomas-Demand-Tapete und einem tollen Erker, von dem aus man Unter den Linden sehen kann. Allerdings sind auch sehr schöne Zimmer unter’m Dach entstanden. Anfänglich habe ich nicht recht an sie geglaubt, weil ich die Dachschrägen schwierig fand, doch so ein kleines Zimmer unter dem Dach, in dem man in den Himmel von Berlin schaut, ist wirklich wunderbar.
Grill Royal ist bekannt für seinen schräg-schillernden Gästemix, dort gehen viele Leute hin, um Stars zu begegnen. Ist das Hotel ebenfalls ein Platz zum sehen und gesehen werden?
Irina Kromayer: Eigentlich ist Grill Royal ein Ort für Leute, die in einem Club sein wollen, ohne in einen Club zu gehen. Man zieht sich schön an, da ist Action, es gibt eine coole Partystimmung. Im Hotel wird es voraussichtlich etwas ruhiger zugehen, ein gemütlicher Rückzugsort nach einem anstrengenden Tag in der Großstadt. Die Lobby geht direkt in die großzügige Bar über; dort treffen sich hoffentlich aber auch die BerlinerInnen. Viele Hotellobbys sehen aus wie riesige, überdimensionierte Hallen, man sitzt drin und fühlt sich klein und unbedeutend. Mir gefiel die Idee besser, den Raum wie eine Erweiterung des eigenen Zimmers zu behandeln, so dass er zu einer Art Wohnzimmer wird. Man soll sich dort nicht wie in einer Durchlaufstation, sondern wie zuhause fühlen. Das wird unter anderem durch die Architektur ermöglicht, da die drei unterschiedlichen Gebäudeteile dazu geführt haben, dass es nicht einen Riesenraum, sondern eine Folge von Zimmern gibt, die sich um den gemeinsamen Innenhof gruppiert. Man sucht sich einfach den aus, in dem man gerne sein möchte. Manche sind groß, manche klein, manche haben hohe Decken und andere niedrige. Es gibt ein kleines Kaminzimmer, einen Salon, Private Dining und alle Sichtachsen sind wunderbar. Gemütlich ist das falsche Wort dafür, cosy trifft es besser.
Haben Sie auch das Restaurant ausgestattet?
Irina Kromayer: Ja, Victoria Eliasdóttir wollte ihr berühmtes Restaurant Dóttir nach fünfjähriger Schließung im Château wieder auferstehen lassen und wir haben die Küche im Vorfeld zusammen geplant.
Was ist, wenn alles gesagt und getan ist, der wichtigste Aspekt an diesem Projekt?
Irina Kromayer: Absolute Individualität – und dass wir so viel selbst entworfen und produziert haben. Die Betten im Stil der Jahrhundertwende mit einem Kopfteil aus Wiener Geflecht, die Nachttische, die Lampen, das haben wir alles selbst gemacht. Sogar die Zimmernummern haben wir selbst produziert. Wir haben die Château-Royal-Schrift per Laser cutten und von Hand verschweißen und bronzieren lassen. So entstanden Zimmernummern, die vor der Tür leuchten wie kleine Lampen.
Wie wurde die Zimmertechnik ins Design integriert?
Irina Kromayer: Eigens entworfene Lüftungsgitter wurden per Laser aus Holz gecuttet und so natürlich eingefügt, dass man sie einfach nicht sieht. Die Lichtschalter sind aus Bakelit aus einer klassischen Serie von Berker und die Fernseher sind speziell entwickelte Fußbänke integriert, was technisch komplizierter ist, als man meinen sollte. In einigen Zimmern sind sie auch hinter den Vorhängen versteckt. Kunst und Fernseher passen einfach nicht zusammen. Für uns hat in jedem Fall die Kunst Vorrang.
Haben Sie schon zur Probe gewohnt?
Irina Kromayer: Das habe ich noch nicht geschafft, was total absurd ist, weil mein ganzes Team es schon getan hat. Ich bin nach wie vor mit Finetuning und ein paar Details beschäftigt, die noch nicht ganz stimmen. Erst wenn wirklich alles fertig ist, dann komme ich her und übernachte.
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