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Anne Marie Commandeur, Direktorin des Stijlinstituut Amsterdam

STYLEPARK HEIMTEXTIL
Emotion und Individuum

Anne Marie Commandeur, Direktorin des Stijlinstituut Amsterdam, zeichnet für den Trend Space der Heimtextil 2020 verantwortlich. Warum "Identität" das Motto der Stunde ist, erklärt sie uns im Interview.
von Anna Moldenhauer | 22.11.2019

Anna Moldenhauer: Was ist die Philosophie des Stijlinstituuts?

Anne Marie Commandeur: Das Stijlinstituut ist eine Netzwerkagentur. Wir sind flexibel und können uns auf die ständig wechselnden, gesellschaftlichen Strömungen einstellen. Für mich ist es wichtig, dass ich Menschen um mich habe, die sehr stark mit ihren individuellen Themen verbunden sind. Wir sind in der Lage, die Strömungen einzuordnen, die Teile der Bevölkerung repräsentieren, und Details daraus zu selektieren. Bei der Arbeit für die Heimtextil stehen wir zudem mit Menschen in Kontakt, die aus den Feldern Architektur und Innenarchitektur kommen – das bringt einen weiteren, interessanten Aspekt hinein. Wir haben einen eigenen Stil und möchten immer echtes Fachwissen in die Themen einbringen, die wir bearbeiten. In der Kommunikation von Design und Produktentwicklungen ist es für uns wichtig, einen eigenen Blickwinkel zu finden, ein überraschendes, frisches Element. Für duplizierten Content ist der Markt übersättigt. Um die Nutzung von Ressourcen zu rechtfertigten, sollte das Ergebnis einen Mehrwert zu dem bieten, was bereits existiert.

Wie kann ich mir deine Arbeit als Trendforscherin vorstellen?

Anne Marie Commandeur: Ein Großteil der Recherche passiert digital. Zudem gehen wir natürlich zu allen relevanten Veranstaltungen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Viele unserer Kunden sind selbst aktiv in der Verbraucher- und Marktforschung, die Zusammenarbeit mit ihnen bringt uns ebenso neue Erkenntnisse. Die Informationen, die wir haben, müssen wir anschließend in Beziehung zueinander setzen. Um zu wissen, was in den kommenden Jahren wichtig sein könnte, sollte man zudem die Erfahrungen der Handelsunternehmen berücksichtigen, da diese bei der Entwicklung von Neuheiten stets vorne mit dabei sind. Die Trendforschung setzt sich aus vielen Elementen zusammen, die wir zusammenführen und analysieren.

Wie hat sich die Trendforschung aus deiner Sicht in den letzten Jahren verändert?

Anne Marie Commandeur: Um an die relevanten Informationen zu kommen, braucht es eine sehr systematische Forschungsmethodik. Es ist definitiv komplexer geworden, die wichtigsten Strömungen aus der Informationsflut herauszufiltern, die für die komplette Branche gelten, beziehungsweise für eine individuelle Beratung die Strömung zu identifizieren, die für ein sehr spezifisches Marktsegment Relevanz hat.

Das große Thema in diesem Jahr ist die Identität. Warum hast du dich dafür entschieden?

Anne Marie Commandeur: Die Vielfalt der Märkte und Verbraucher erfordert auch ein vielfältiges Angebot. Wir haben zudem den Wunsch, integrativ zu sein. Daher müssen wir uns bewusst werden, für wen wir arbeiten, woher die Produkte stammen. Die Frage nach Identität umgibt uns ständig. Die Herkunft der Produkte kann für den Verbraucher von großer Bedeutung sein, da er seine Identität in einem Produkt gespiegelt sehen will. Die Suche nach Identität richtet sich gegen die Uniformität und für individuelle Produktdiversifizierung. Es ist eine Gegenströmung zu der Endloskopie eine Ware oder eines Looks.

Wird das Bedürfnis, die eigenen Wurzeln mit Textilien oder mit Produkten zu zeigen, deiner Meinung nach in den nächsten Jahren noch stärker werden?

Anne Marie Commandeur: Ja. Ich denke, was wir brauchen ist die starke Erkenntnis, warum wir etwas entwickeln. Die Frage, ob es sich lohnt, Ressourcen für die jeweilige Produktentwicklung einzusetzen, wird zudem immer wichtiger werden.

Die Trends für die Heimtextil kontrastieren in diesem Jahr meiner Meinung nach noch stärker als sonst – ist der Mut zur Diversität gestiegen?

Anne Marie Commandeur: Ich denke es passt zu dem Thema der Identität, mutig zu sein und Ideen zu entwickeln. Aber wir wissen natürlich auch, dass es ein Problem wäre, wenn alle Verbraucher bereit wären, ins Extrem zu gehen. Die Masse ist nicht bereit für das Extreme. Uns geht es darum, die Oberfläche der Trends abzukratzen und zu schauen, wo die Kernthemen, die Wurzeln liegen.

Für jeden Trend hast du einen anderen Kreativen ausgewählt, der die Visualisierung im Trendbuch umgesetzt hat. Nach welchen Kriterien wurden diese ausgewählt?

Anne Marie Commandeur: Wir haben bevorzugt nach Kreativen in unserer Nähe gesucht, die bereit waren, in dem Zeitraum, den wir zur Verfügung hatten, etwas für uns zu entwickeln. Zudem mussten es Designer sein, die sich mit dem jeweiligen Trendthema wirklich wohlfühlen. Die Vermittlung von Emotionen und Erfahrungen war uns wichtig, auch über die neuen Medien oder mittels neuer Technologien. Wir sind für jedes Thema in eine intensive Diskussion gegangen, da wir die Tradition und die Besonderheiten des jeweiligen Materials respektieren möchten, aber trotzdem ein neues Erleben, eine neue Atmosphäre bieten wollten. Dafür haben wir unseren Blick auch stark gen Afrika und Asien gerichtet. Denn dort gibt es eine neue Generation von Designern, die daran arbeiten, ihre eigene Identität in die Entwicklung neuer Produkte einzubringen. Sie haben eine tiefe Bindung zu ihren Wurzeln und verbinden die Traditionen mit dem modernen Leben. Ihre Herangehensweise ist nachhaltig, denn sie ergänzen ihre Identität, die sie bereits haben, mit neuen Strömungen und Trends und entwickeln diese somit weiter.

Der Trend bekommt somit eine tiefere Bedeutung für das eigene Leben, eine emotionale Bindung zu den eigenen Wurzeln?

Anne Marie Commandeur: Ja, das ist es. Eine starke emotionale Bindung. Das beeinflusst auch das Konsumentenverhalten und die anschließende Wertschätzung der Produkte.

Der Trend Space auf der Heimtextil ist jedes Jahr der Raum, der am meisten diskutiert wird – wie hat sich dieser in den letzten Jahren aus deiner Sicht verändert?

Anne Marie Commandeur: Der Trend Space ist interaktiver geworden, die Atmosphäre und das Angebot reicher. Ich denke, dass eine gute Kombination aus Information und Unterhaltung wichtig ist. Die Besucher sollen den Trend Space mit einer Erfahrung verlassen, die in Erinnerung bleibt. Die Ausstellung soll eine Emotion in ihnen anstoßen und sie zum Nachdenken anregen. Wir möchten dem Trendspace eine Seele geben und unsere Botschaft auf emotionalere Weise vermitteln, als nur in Form einer statischen Ausstellung.

Du arbeitest als Dozentin an diversen Universitäten. Was möchtest du deinen Studenten vermitteln?

Anne Marie Commandeur: Ich denke es ist immer wichtig nah an seinen persönlichen Überzeugungen zu bleiben. Sobald man versucht, etwas zu sein, was man nicht ist, lebt man einem enormen Kompromiss und liefert Ergebnisse, die nicht überzeugen. Man muss mutig sein, auch wenn man mit einem eigenen Stil polarisiert. Das empfehle ich auch meinen Studenten: Sie sollen sich auf die kommerzielle Industrie vorbereiten, aber trotzdem das gewisse Extra nicht verlieren, ihre Individualität.

Heimtextil 2020 – Behind the Theme with Anne Marie Commandeur