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"Where I Belong?" tönt es aus dem Kopf einer Gestalt mit Katzenohren über den Trend Space der Heimtextil 2020 in der Halle 3.0.

Heimtextil 2020
Showtime mit Tiefsinn

Identität und Nachhaltigkeit sind die Leitthemen des Trend Space der Heimtextil 2020. Das Stijlinstituut Amsterdam hat sie in eine imposante Inszenierung eingebettet.
von Anna Moldenhauer | 10.01.2020

"Where I Belong?" tönt es über den Trend Space der Heimtextil 2020 in der Halle 3.0. Die Stimme kommt aus dem Kopf einer großen, aufblasbaren Gestalt in Weiß mit Katzenohren, die aus einem japanischen Manga entsprungen sein könnte. In nachdenklicher Pose hat sie es sich auf dem Teppichboden gemütlich gemacht und empfängt die Besucher. Ein Farbwirbel dreht sich in ihrem Gesicht, in dessen Strudel ein suchendes Auge und ein Mund zu sehen sind. Dieser schließt und öffnet sich zögernd, um dann die Frage nach Identität und Zugehörigkeit zu stellen.

Anne Marie Commandeur, Direktorin des Stijlinstituut Amsterdam zeichnet in diesem Jahr für den Trend Space der Heimtextil verantwortlich und hat die Latte in der Umsetzung spürbar hochgelegt. Fünf Trends hat das Stijlinstituut gemeinsam mit dem Trend Council für die Saison 2020/21 herausgearbeitet: "Maximum Glam", "Pure Spiritual", "Active Urban", "Heritage Lux" und "Multi-Local". Für die Präsentation wählte Commandeur eine interaktive Fläche, auf der Gewölbe aus Stoff sich mit Freiflächen abwechseln. "Heritage Lux" und "Pure Spiritual" sind in luftgefüllte Pavillons eingebettet: "Heritage Lux" zelebriert die Faszination am geheimnisvollen, mystischen, an der Sehnsucht nach einer Renaissance des kulturellen Textilerbes. An den Innenwänden sind die Säulen eines antiken Pantheons aufgedruckt, in dessen Zentrum fleischfarbene Stoffhüllen an Haken fixiert von der Decke hängen. Wie ein lebendiger Kokon reichen diese bis zum Boden, umschließen ein Podest und zwei Stühle. Mit mysteriösen Auswölbungen und fließenden Bewegungen versehen, erinnern sie an menschliches Gewebe. Die Seiten des Gewölbes sind mit passenden Stoffproben versehen, die Opulenz, surreale Einflüsse und sinnliche Haptiken bieten. In der Kuppel nebenan befindet sich alles im Einklang: Pastellfarbene Stoffe reihen sich an den Wänden um eine große Schale aus Holz, in der eine Metallkugel Linie für Linie ein kunstvolles Mandala in den Zen-Sand zieht. Die Sehnsucht nach Ausgleich, Konzentration und Spiritualität wird eine Plattform geboten, die zur Rückbesinnung auf natürliche Stoffe und einer neuen Achtsamkeit einlädt. "Weniger und besser", bringt es Anne Marie Commandeur auf den Punkt.

Suche nach dem Selbst

Auf den Freiflächen um die luftgefüllte Architektur herum werden die drei dynamischen Trends "Multi-Local", "Maximum Glam" und "Active Urban" in jeweils abgetrennten Abschnitten präsentiert: Eine Stoffcollage aus ethnisch anmutenden Mustern ist zu meterhohen Skulpturen kombiniert, die wie Totems von der Fläche in die Höhe ragen. Fantasiefahnen, aus unterschiedlichen Stoffen zusammengestellt, verweisen auf die Suche nach Zugehörigkeit. Vor einer Wand mit internationalen Länderflaggen können die Besucher kurze Grußbotschaften aufnehmen, die auf einer Vielzahl an Monitoren im Loop gezeigt werden. Die Frage nach Identität findet in diesem Abschnitt ihren Höhepunkt, thematisiert sie doch inwieweit die Staatsbürgerschaft unser Selbst bestimmt.

Ein paar Schritte weiter wird es glamourös: Große, reflektierende Kugeln hängen im Bereich "Maximum Glam" von der Decke. Das Motto wird als Schriftzug zudem in geschwungenen Lettern auf den Boden projiziert. In der Mitte der Ebene befindet sich eine Tanzstange, an der zwei Akrobatinnen in glitzernden Kostümen dynamische Figuren vorführen. Die Stoffbeispiele sind entsprechend extravagant: Zebraprints in Pink, schillernde Pailletten und knalliges Neon türmen sich übereinander und nebeneinander. Zurückhaltung ist hier nicht gefragt, stattdessen finden schrille Muster und kräftige Farben zu einer rebellischen Einheit zusammen. Die aktuellen Möglichkeiten der Oberflächenmanipulation zeigt der niederländische Designer Bastiaan de Nennie vom Phygital Studio in der direkten Anwendung: Unter seiner Anleitung dürfen die Besucher selbst mit den feinen Kunststofffäden eines 3D Druck Stiftes experimentieren. Der Trendbereich "Active Urban" macht seinen Namen indes alle Ehre: Skateboarder fahren auf einer Halfpipe, virtuelle Stoffe kann man mittels VR-Brille erleben. Klare, monochrome Farben wie Senfgelb und Königsblau sind kombiniert mit Silber, Weiß, Grau- und Brauntönen.

Die "Heimtextil Future Materials Library" von der Designforschungsagentur Franklin Till thematisiert die Frage nach neuen, kreislauffähigen Ansätzen für Produktions- und Verbrauchssysteme.

Neue Ansätze

In der "Heimtextil Future Materials Library" von der Designforschungsagentur Franklin Till wird anschließend sehr anschaulich die Frage nach neuen, kreislauffähigen Ansätzen für Produktions- und Verbrauchssysteme thematisiert. In aufgereihten Kästen dürfen die Besucher jeweils eine Rohmaterialprobe, eine Prozessprobe und Endmaterialprobe von nachhaltigen Manufakturen begutachten. Die Bandbreite der gut 1000 Exponate zur umweltschonenden Textilproduktion reicht dabei von Wegen des Abfallrecyclings bis zu natürlichen Alternativen für eine ressourcenschonende Fasergewinnung, wie aus Ananas, Agaven oder Algen. Auch die Materialien, die für den Trend Space verbaut wurden, sind unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ausgewählt – das Stijlinstituut hält den ökologischen Fußabdruck mittels der wiederverwendbaren Architektur möglichst gering.

Anne Marie Commandeur möchte mit ihrem Trend Space nicht nur unterhalten. Neben der interaktiven Show sollen den Besuchern Anregungen für nachhaltige Alternativen zu den konventionellen Methoden der Textilherstellung geboten werden. Eine Erfahrung, die Emotionen weckt und in Erinnerung bleibt. Diesem Anspruch ist sie gerecht geworden: der Trend Space zeigt eine ausgewogene Mischung aus Event und Information zu globalen Strömungen, die funky ist, aber trotzdem Tiefgang hat. Auch für die Möglichkeit der Nachsinnung ist gesorgt, im Trend Cafe kann man in clubiger Atmosphäre die Eindrücke auf sich wirken lassen.

Anne Marie Commandeur, Direktorin des Stijlinstituut Amsterdam, zeichnet in 2020 für den Trend Space der Heimtextil verantwortlich.