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Stoffberge und Informationszwerge: Im „Theme Park“ fiel die Orientierung ein wenig schwer.

Im Labyrinth der Stoffe

Die Heimtextil 2017 umwirbt mit viel TamTam den Blick in die textile Glaskugel – an der Vermittlung der Visionen hakt es noch.
von Anna Moldenhauer | 17.01.2017

Mit viel Stoff in das neue Jahr: Die internationale Fachmesse für Wohn- und Objekttextilien Heimtextil in Frankfurt am Main hat das Messekarussell des neuen Jahres angestoßen und befindet sich laut Detlef Braun, dem Geschäftsführer der Messe Frankfurt, „wieder auf Wachstumskurs“. Na dann, auf zum Aushängeschild der diesjährigen Ausgabe, in den „Theme Park“: Unter dem Motto „Explorations“ hat das französische Designbüro Carlin International zusammen mit internationalen Kreativen eine Vision der kommenden Interior-Trends für die Saison 2017/2018 entwickelt, die im Areal erkundet werden kann. Das Konzept erschließt sich für den Besucher leider schwer: Der Informationsstand ist nicht zentral positioniert, sondern an der Kopfseite versteckt. Wenn man den Zugang zur Fläche nicht zufällig bei der Durchquerung der Halle 6.0 im Untergeschoss findet, sondern vom Erdgeschoss aus gezielt den „Theme Park“ aufsucht, betritt man die offene Fläche von der falschen Seite und findet die Orientierungshilfen erst gegen Ende des Rundganges. 

Ein bisschen wie am Wühltisch: Die Präsentation der Stoffe in den Themenfeldern der „Explorations“ wirkte leider wenig reizvoll.

Die Stoffe zu den sogenannten Explorations „Virtual“, „Cultural“, „Planetary“ und „Natural“ liegen auf quadratischen Blöcken und Ständern aus Metall mit der minimalen Angabe, wo man den jeweiligen Hersteller auf der Messe finden kann – ohne weitere Information zum Material oder Design. Eine atmosphärische Präsentation, QR-Codes und eine klarere Abgrenzung zwischen den Themen wären wünschenswert gewesen. Die Vermittlungsangebote sind zu kurz gedacht und das interaktive Erleben und Erforschen beschränkt sich überwiegend auf die Haptik der Stoffe. Wie bei den Workshops auf der Fläche von DecoTeam, hätte man die Möglichkeit geben können, selbst Stoffe zu kombinieren und neue Ideen aktiv zu erforschen. So entsteht vom „Theme Park“ der Eindruck einer durchdesignten Spielwiese, die den Besucher ein wenig aus den Augen verloren hat. Wirklich spannend wird es erst bei der Textilinstallation „Tactile Refuge“ von Malin Bobeck: Berührt man das zentrale, tropfenförmige Element im Raum, reagieren die optischen Fasern und generieren über das Textil eine individuelle Veränderung der Licht- und Farbstimmung. 

Interaktivität, ganz analog: Im sogenannten „Theme Park“ konnte man die Stoffe anfassen, mehr aber auch nicht.

Handfester geht es nebenan in der „Digital Textile Micro Factory“ zu: In Partnerschaft mit den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung hat man dort eine Produktionsstraße inszeniert. Von der Entwicklung des Designs am PC über den Textildruck bis zum maschinellen Zuschnitt und der anschließenden Konfektionierung können alle Schritte einer digitalen, zeitsparenden Produktionskette mitverfolgt werden.

Die Produktionsstrasse der „Digital Textile Micro Factory“ zeigt anschaulich die digitale Textilproduktion.

Alte Bekannte und aufstrebender Nachwuchs

Beim anschließenden Gang durch die Hallen sieht man viel Vertrautes: Sanfte Nude-Töne von leichtem Rose bis frischem Mint, edles Grau, florale Prints, geometrische Muster, Samt und Dschungel-Motive. Dazu kommen vermehrt Boho-Chic, Modern-Ethno und tiefes Blau in Kombination mit Metallic-Tönen. Für die frischen Ideen muss man ein wenig suchen: In der Halle 4.2. zeigt die Heimtextil mit dem Areal „Design live“ die weltweit größte internationale Plattform für Textildesign. Rund 230 Aussteller aus 26 Ländern präsentieren ihre kreativen Entwürfe für Heim- und Haustextilien. Zudem können unter dem Titel „Campus“ die Abschlussarbeiten von Hochschulabsolventen besichtigt werden, wie von den Design-Studenten Bára Finnsdottir und Dominyka Sidabraite der Weißensee Kunsthochschule in Berlin. Bára Finnsdottir hat unter dem Namen „Merging Loops“ schallabsorbierende Raumteiler entworfen, die durch textile Schlaufen gebildet werden und sich flexibel erweitern lassen. Filz und darauf laminiertes Furnier lassen sich zu feinen Strukturen formen, die individuell im Raum aufgehängt werden können. Die Herstellung ist nachhaltig: Für die freistehende Version des Raumteilers aus Industriefilzmatten werden recyceltes Polyester und Polypropylen Fasern verwendet und die Module ohne Verschnitt aus dem Material gewonnen. 

Von wegen „The lion sleeps tonight“: Textilien mit Dschungelmotiven sind, wie hier bei Apelt, auch 2017 noch ein Thema.

Dominyka Sidabraite greift hingegen in ihrer Kollektion „Flora Skin“ die Natur als bionisches Vorbild für Textilien auf und verbindet natürliche Materialen mit künstlichen Fäden, wie speziellen Pemotex- und Recytex-Garnen. Das Ergebnis sind atmungsaktive Gestricke, die flusenfrei, schmutz- und wasserabweisend sowie wärmeisolierend sind. Die entstandenen Flächen mit ihren funktionellen Eigenschaften können sowohl im Interior-Bereich wie in der Mode eingesetzt werden. Auch Experimente mit neuen Technologien finden statt: Anna Hoffmann von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle untersucht im Projekt „Plastic Textiles/ Textile Plastics“ generative Herstellungsprozesse. Mittels 3-D Drucktechnik stellt sie Strukturen aus abbaubaren Kunststoffen her, die Eigenschaften von Textilien besitzen, aber auch in anderen funktionalen Kontexten verwendet werden können – etwa als flexible Verbindungselemente von Bauteilen oder als wasserunempfindliche Polsterung für Outdoor-Möbel. 

Das Angebot wird abgerundet durch die Präsentationen der 30 jungen Designer, die im Rahmen des Start-up-Programms „New & Next“ ihre Arbeiten zeigen. Dazu zählen beispielsweise Studio RIIS (Dänemark), Lösbrock Design (Deutschland), Naghsh Negaran Pendar (Iran), Shinrindo LLC (Japan), NuPrimary LLC (USA) und Connie Luisa's Home (Taiwan).

Design-Studenten wie Bára Finnsdottir (li.) und Dominyka Sidabraite (re.) von der Weißensee Kunsthochschule in Berlin sorgen für frischen Wind.
Flexible Schlaufen: Bára Finnsdottir formt aus Filz und Furnier die schallabsorbierenden Raumteiler „Merging Loops“.

Verstecktes Umweltbewusstsein

Nachhaltigkeit ist bei den Designstudenten und Start-ups ein großes Thema – nicht aber für die Heimtextil an sich? Zumindest hatte diesen Eindruck eine Journalistin aus Skandinavien, die ihre Verwunderung darüber während der Pressekonferenz Ausdruck verlieh. Tatsächlich kann dieser Eindruck schnell entstehen, da sich das große Angebot an nachhaltigen Textilien auf der Heimtextil erst auf den zweiten Blick zeigt. Im „Green Village“ in Halle 8, dem überraschend klein gehaltenen Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit, liegt der informative „Green Directory 2017“ aus, der alle Anbieter nachhaltiger Heim- und Haustextilien auf der Heimtextil 2017 listet. Der gut sortierte Leitfaden dokumentiert die bemerkenswerten Bemühungen der Hersteller für den Umweltschutz. Da kein Scheinwerfer auf das Thema gerichtet wurde, geht es in der Fülle der Messe leider etwas unter. Als durchaus hilfreich hat sich für die Orientierung beim Messerundgang die App „Heimtextil Navigator“ erwiesen, die die eigene Position in der Halle zwar nur grob angezeigt, aber bei der Aussteller- und Produktsuche Zeit spart und eine Übersicht zu den täglichen Events auf der Messe bietet. Bei dem diesjährigen Vermittlungsangebot ist allerdings noch viel Luft nach oben vorhanden.