„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!" sagte der Fußballer Andreas Möller einmal. Sein Spruch bleibt unvergesslich, auch weil er Italien ganz nebenbei zum eigentlichen Gewinner macht. So hat Madrid nach dem diesjährigen Aus für Inter Mailand zwar gute Chancen in der Champions League, doch die heimliche Siegerin bleibt Mailand. Weder die Fußballpleite noch der Ruby-Prozess gegen Berlusconi konnten den Eindruck der Stadt während des Salone trüben. Ihr Fashion Flair als Modemekka ist auch zur Möbelmesse allgegenwärtig. Die großen Flagship Stores der Modemarken im Zentrum überlassen ihre Schaufenster traditionellerweise Möbeldesignern, selbst Borsalino zeigte illusionistische Hutinstallationen von Piero Lissoni, und Label wie Missoni oder Diesel haben den Sprung vom Laufsteg auf das Messegelände oder in die Zona Tortona längst gemacht. Für eine spezielle Überraschung allerdings sorgte zum diesjährigen Salone das Modehaus Hermès: Die französische Marke launchte eine Maison-Linie mit Möbeln, die es erlauben – um Stoffe, Teppiche, Tapeten und Porzellan ergänzt –, ein komplettes Interieur auszustatten. Hermès Maison bietet sich als gediegener Luxusausstatter für alle Lebensbereiche an. Präsentiert wurde die Haute volée zum Wohnen in gebührendem Rahmen – in der Pelota-Halle und in einem Pavillon von Shigeru Ban.
Stilsicherer Luxus
Pappe und Schichtholz fügen sich in der temporären Architektur zu einem lang gestreckten Haus im Haus samt Satteldach, das seine inszenierte Wohnlichkeit von außen erahnen lässt. Im Inneren des Pavillons öffnet sich eine Raumfolge aus verschiedenen Zimmern, die durch fließende Übergänge zu einem komplexen Interieur werden. Sofas samt Beistelltischen richten das Wohnzimmer ein, Paravents trennen unterschiedliche Szenerien – und am Ende des Rundgangs öffnet sich ein Schlafzimmer mit schweren Stoffen in traditionsreichen Dessins. Die Haute Monde der Luxusmode ist in der Möbelwelt angekommen. Entwürfe des französischen Designers Jean-Michel Frank aus den dreißiger Jahren sind dabei um die Reisemöbel aus der „Pippa"-Kollektion ergänzt. Erweitert wurde dieses Spektrum um neu hinzugefügte aktuelle Entwürfe von Stühlen, Liegen, Tischen und Sofas, die von Enzo Mari, Antonio Citterio und dem Studio RDAI, Rena Dumas Architécture Interieure, stammen.
Handmade für Möbel
Alt und neu sind in diesem stilbewusst gestalteten Universum kaum zu unterschieden – statt einer eklektizistischen Stilmixtur verblüfft die Sorgfalt, mit der sich die zeitgenössischen Entwürfe am Know-how und an der Tradition von Hermès in der Lederverarbeitung ausrichten und dabei auch noch die Gestaltungssprache von Jean-Michel Frank aufgreifen. So ist die Oberfläche von Enzo Maris Beistelltisch „Storage Coffer" aus Caneletto Walnussmarqueterie gefertigt – sie zitiert die Strohmarqueterien der historischen Paravents und Beistelltische Jean-Michel Franks. Die Tischzarge entpuppt sich als ausklappbarer Koffer, dessen Außenhaut aus weichem Jungstierleder makellose Nähte zeigt, die wie wertvolle Gravuren im Leder aussehen. Auch der Stuhl von Enzo Mari greift einfache Formen wie das Oval für die Armlehne auf, fügt Sitzfläche und Rückenlehne zu bequemen Einheiten und zelebriert dabei einen Sitzkomfort, der seine Qualität auch im „fatto a mano" begründet.
Ähnlich sind auch Antonio Citterios Entwürfe als Reprise eines traditionsreichen Gestaltungspotenzials zu verstehen. Die Stoff- und Lederkissen seines Sofas thronen auf einem Eichengestell, dessen x-förmige Beine sich auch in der Chaise Longue und den dazu gehörenden Tischen wiederfinden und an ägyptische oder griechische Klappstühle sowie an die „Pippa"-Kollektion von Rena Dumas und Peter Coles von 1987 erinnern. Insbesondere die Schnittlinien, an denen Metall, Leder und Holz aufeinander treffen, zeigen perfekte Details, die sicherlich kaum zu übertreffen sind.
Hermès Maison breitet also ein Universum von komfortablen, stilbewussten Möbeln aus – die schweren Clubsessel von Jean-Michel Frank wirken dabei ebenso zeitlos wie die neuen Entwürfe. In der Gesamtheit wirkt dieser Wohnkosmos abgeklärt und konventionell. Was dabei allerdings überzeugt sind einzelne Glanzstücke wie die von Enzo Mari oder die lederbezogenen Beistelltische von Jean-Michel Frank.
Grace Kelly und die Handarbeit
Koffer und Ledertaschen haben das Familienunternehmen Hermès schon im 19. Jahrhundert berühmt gemacht – handbedruckte Seidentücher mit Motiven aus dem Reitsport kamen seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts hinzu. Heute kann das Unternehmen mit weit über tausend Motiven für die Carrés und mit Erfolgen wie der „Kelly Bag", einer Tasche aus den dreißiger Jahren, die Grace Kelly in den fünfziger Jahren auf einem Titelbild von „Life" trug, auf eine lange Tradition zurückblicken, die es nun auch bei Möbeln begründen möchte. Dabei ist es kein Zufall, dass Hermès die Lizenzen für die Möbel von Jean-Michel Frank erwarb: Charles-Émile Hermès war befreundet mit dem französischen Designer. Ungewöhnliche Möbeloberflächen aus hochwertigem Leder und Rochenhaut hatten das Unternehmen Frank & Chanaux samt der Boutique in der Rue du Faubourg Saint-Honoré in Paris berühmt gemacht. Mit seinen geradlinigen Entwürfen stattete Jean-Michel Frank Wohnungen wie die von Nelson Rockefeller aus, gestaltete die Studios von Modedesignern, gab von 1930 an dekorative Objekte bei Alberto und Diego Giacometti in Auftrag und machte durch die extravagante Möblierung von Hotels von sich reden. Nach seiner Flucht vor den Nationalsozialisten ließ sich der Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie in Argentinien und später in New York nieder. Im März 1941 stürzte er sich im Alter von 46 Jahren aus dem Fenster seiner Wohnung in Manhattan. Seine Möbel gelten heute als Sammlerraritäten, die bei Auktionen von Sotheby's und Christie's Höchstpreise erzielen – und nun von Hermès in großem Stil neu vermarktet werden.
Tradition und Kollektion
Jungstierleder, Stoffe mit illustrativen Indien-Dessins, Strohmarqueterien, Nussbaum und Messing zählen mit zu den hochwertigen Materialien, die Hermès Maison zum Wohnen zusammengestellt hat. Die Tradition der Handarbeit, der Verarbeitungstechniken von Leder und Stoff sowie die ungewöhnlichen Dessins machen das Image der Marke auch bei Möbeln aus. Die Teppiche sind handgeknüpft – mit Seide aus der Dandong-Region im Norden Chinas. Reise- und Reitermotive auf Tapeten, die bislang Hermès-Seidentücher oder Porzellan schmückten, zeigen das Selbstverständnis eines Hauses, das Komfort und Bequemlichkeit mit altbewährten dekorativen Motiven paart. Für Experimente ist in diesem Wohnkosmos kein Platz. „Erst wollen wir sitzen, dann berühren und das Objekt lebendig machen", beschreibt Antonio Citterio das emotionale Erlebnis seines Sofas, das gemeinsam mit den anderen neuen Möbelentwürfen zur „Matières"-Kollektion zählt. Hergestellt werden die Möbel von namhaften Unternehmen wie B&B Italia, die allerdings weder laut kommuniziert werden noch etwas mit dem Vertrieb zu tun haben. Denn Hermès Maison soll in Zukunft in den weltweiten Hermès-Läden verkauft werden. Dort werden die edlen Stücke ein Publikum finden, das von der Reisetasche zum Parfum und vom Brautkleid auf die Wohnzimmereinrichtung samt Tapete kommt.