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Gute Designer,
gelungene Produkte
Mailand-Marathon Teil 3
von Thomas Wagner | 23.04.2013
Trotz LC2-Anklängen trotzdem kein Re-Design: Die Serie „Traffic“ von Konstantin Grcic für Magis. Foto © Thomas Wagner, Stylepark

Auch wenn die Verlockung noch so groß erscheinen mag, Ökonomie und Ästhetik wie Schinken und Käse zwischen zwei Brotscheiben zu einem Designer-Sandwich zu vereinen, der nicht zu übersehenden wirtschaftlichen Mattigkeit korrespondiert keineswegs eine gestalterische. Das liegt allein schon daran, dass es heutzutage vielfältige Ansätze und Richtungen, aber keine verbindliche Ästhetik gibt. Jedes Ding muss sich darum bemühen, die Aufmerksamkeit möglichst vieler zu erregen. Doch selbst was still und bescheiden daherkommt, hat im Kontrast zum Plakativen und Marktschreierischen seine Chancen. Käme es in naher Zukunft tatsächlich dazu, dass wir in eine Situation schlitterten, in der alle lebendigen Differenzen abgeschafft wären, wir würden uns nicht nur verwundert die Augen reiben, sondern die bunte Vielfalt der Gegenwart zu preisen beginnen.

Eine Revolte bleibt aus

So irren auch all jene, die glauben, man müsse, seit sich die Zona Tortona mit dem Superstudio Più in medialen Spielerein ergeht und die Umgebung auszutrocknen beginnt, nur nach Ventura Lambrate pilgern, um einen Blick auf das Design der Zukunft zu erhaschen. Selbst bei den mehr oder weniger Jungen, die dort ihr Publikum und einen Hersteller suchen, ist von Aufbruch oder gar Revolte nichts zu merken. Im Gegenteil. Gezeigt werden zaghafte Revisionen und halbherzige Kopien ebenso wie Dinge voller vergnügter Schlamperei. Zu wenig Experiment und Freiheit von Marktdiktat und Karriereplanung war hier zu besichtigen. Wobei man den Hochschulen und Jungdesignern zugute halten muss, dass sich in sämtlichen Bereichen der Kulturindustrie die Intervalle enorm verkürzt haben, in denen Ideen und Prozesse aus dem Newcomer- und Nachwuchsbereich angeeignet werden. Hinzu kommt: Auch kleine Labels müssen sich am Markt behaupten, was nicht eben leichter wird, wenn der Kuchen kleiner wird. Es wäre deshalb eine Aufgabe für die kommenden Jahre, hier unterstützend einen Rahmen zu schaffen, in dem sich tatsächlich Alternativen formulieren lassen, sprich, eine Experimentierbühne auf die Beine zu stellen, auf der nicht nur dargestellt wird, was es so alles gibt und angeboten wird.

Konstantin Grcic und die Konstruktion

Wie man den Herausforderungen des Gegenwartsdesigns begegnet, dabei aber weder die Maßstäbe der Designgeschichte noch die Frische des eigenen Zugriffs vergisst, demonstriert wieder einmal Konstantin Grcic. Es wird einem fast schon unheimlich, mit welcher Freiheit und Präzision er seinen eigenen Weg geht und Hersteller wie Publikum Saison für Saison mit eigenständigen Entwürfen zu überraschen weiß. Zu Beginn des Jahres hat er in Köln bei BD Barcelona gerade erst eine Neuinterpretation von Mies van der Rohes „Barcelona Chair“ vorgestellt, nun ist es ein weiterer Klassiker, den er buchstäblich zerlegt.

Nein, was er mit der Sitzmöbelserie „Traffic“ für Magis geschaffen hat, jenem Hersteller, für den er 2004 seinen längst zur Legende gewordenen „Chair One“ entworfen hat, hat mit Re-Design nichts zu tun. Zwar wehen aus der Geschichte Anklänge an den Sessel LC2 von Le Corbusier, Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret herüber, doch macht sich Grcics Entwurf völlig frei von allzu direkten Bezügen. Indem er das Grundprinzip des LC2 freilegt und es, ohne den historischen Ballast mitzuschleppen, unter den Konditionen der Gegenwart neu denkt, demonstriert er, wie zeitgenössisches Design eigenständig auftreten kann, ohne geschichtsvergessen zu sein. Wie nebenbei wird klar, was Design von heute von Design von gestern unterscheidet und weshalb der bloße Rückgriff auf bestimmte Klassiker nichts als Nostalgie bedeutet.

Traffic, der etwas andere Corbusier

„Traffic“ ist ein typischer Grcic-Entwurf, weder sofort eingängig noch gefällig. Dass die kleine Familie, die aus einem Sessel, einem Zweisitzer, einem Ruhesessel, einer Bank und einer Art Hocker samt flacher Lehne besteht, auf den ersten Blick, wie vieles von Grcic, eher sperrig und ungewöhnlich wirkt, belegt nicht nur die Eigenständigkeit seiner Entwürfe, es ist auch Teil seines Erfolgsgeheimnisses. Erst wenn man sich mit ihnen angefreundet hat, erkennt man ihr Raffinement. Bei „Traffic“ besteht es hauptsächlich darin, dass Grcic sämtliche Teile aufs Wesentliche reduziert und ihre Funktion ebenso offenlegt wie die Konstruktion, der diese sich verdankt. Ein farbig lackiertes Drahtgestell, in das Polster eingeschoben werden, mehr braucht es nicht, damit Sessel oder Sofa leicht und doch voluminös wirken – und sogar Abstellflächen eingehängt werden können.

Parrish und der Knoten

Dass Konstantin Grcic noch vieles mehr kann, als Klassiker zu entstauben, zeigt er auch am Messestand von Emeco. Der Hersteller, der mit dem Navy Chair 1006 von 1940 einen Aluminium-Klassiker im Programm hat, der aufgrund seiner Robustheit sogar auf US-Kriegsschiffen zum Einsatz kommt, ist dafür bekannt, Aluminium nicht nur perfekt verarbeiten, sondern dem Material auch ein besonderes Oberflächenfinish verleihen zu können. Entwickelt hat Grcic „Parrish“ für das neue „Parrish Art Museum“ in Water Mill auf Long Island, das im November des vergangenen Jahres nach Plänen von Herzog &de Meuron eröffnet wurde. Herausgekommen ist ein Stuhl (den es auch als kleinen Sessel gibt), der durch seine einfache Konstruktion besticht. Auch hier gilt die Formel „reduce to the max“, oder, wie Mies es ausgedrückt hat: „Less is more“. „Parrish“ basiert auf einem Kunststoffknoten, in dem die Enden der vier Füße und die zwei des gebogenen Rohrs, das die Lehne samt Armauflagen bildet, zusammenlaufen. Der Sitz aus verschiedenen Materialien – Kunststoff ebenso wie stoff- oder lederbezogen – ist mittels auf die Rohre geschobener Ringe befestigt. Ergänzt wird das Ensemble durch zwei Tischvarianten. Auch hier muss man feststellen: Kein anderer Designer gibt derzeit so klar das Maß der Gegenwartsgestaltung vor wie Konstantin Grcic.

Stefan Diez und die Zauberei

Stefan Diez, einst Assistent von Konstantin Grcic und inzwischen selbst ein erfolgreicher Designer, geht einen anderen Weg. Ihm ist, man muss es noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, mit seiner im Wortsinn zauberhaften Kollektion rund um den Stuhl „Houdini“ für e15 im Jahr 2009 Außergewöhnliches gelungen. Mit „This, That and Other“ hat er das Konstruktionsprinzip nun konsequent weiterentwickelt. Wo „Houdini“, aber auch die Sessel „Bessy“, „Eugene“ und „Leo“, gleichsam das bürgerliche Wohnen renoviert haben, setzen der Stuhl „This“, der kleine Sessel „That“ und der Hocker „Other“ nun jugendlichere Akzente. Die drei aus der Welt der Kartentricks treten, nicht nur in der Farbgebung, betont frisch und durchaus etwas frech auf, sind aber zugleich ebenso bequem wie preiswert und lassen sich nahezu überall dazustellen. Besonders „Other“ wirkt, von der Seite betrachtet, als trage der Barhocker nun eine Baseballmütze. Die sind aber ja auch längst salonfähig.

Sicher, es gab noch vieles mehr zu entdecken. Von Jaime Hayon, der sich immer mehr zu einem Designer eigenen Formats entwickelt, bei Moroso, wo man nach wie vor eine Fülle zumeist extravaganter Ideen von Ron Arad, Nendo, Werner Aisslinger und Patricia Urquiola in Szene setzt, oder bei Tecno, wo man in den Torhäusern der Porta Garibaldi unter anderem einen „President’s Room“ eingerichtet hatte. Ob der dazugehörige präsidiale Tisch auch in Rom dazu betragen könnte, die zerstrittenen Parteien Italiens an einem solchen zu vereinen, ist freilich keine Frage des Designs und wird so oder so nicht beim Salone del Mobile entschieden. Womit mein Ziel erreicht und der Marathon absolviert wäre. Ciao, bis zum nächsten Jahr!

Erneut unter Beweis gestellt: Konstantin Grcics Entwürfe gehören zu den gelungensten des Salone. Hier bei Magis. Foto © Robert Volhard, Stylepark
Der Parrish Chair von Grcic für Emeco – einfach zusammengesteckt. Foto © Thomwas Wagner, Stylepark
Kartentrick zum Draufsetzen: „ Other“ aus der Serie „This, That and Other“ für e15. Foto © Tatjana Prenzel, Stylepark
Die Sofainseln sind zurück! „Bikini Island“ für Moroso von Werner Aisslinger. Foto © Tatjana Prenzel, Stylepark
Farbspiele: „Mathilda" Stuhl von Patricia Urquiola für Moroso. Foto © Tatjana Prenzel, Stylepark
Weiße Wolken auf dem Moroso Messestand: „Cloud table" von Nendo. Foto © Tatjana Prenzel, Stylepark
Der Japanische Designer Oki Sato von Nendo. Foto © Tatjana Prenzel, Stylepark
Der spanische Designer Jaime Hayon präsentiert Aluminium und Terrakotta Oudoor Möbel, die er für BD Barcelona entworfen hat. Photo © Leyla Basaran, Stylepark
Bei Tecno wurde in den Torhäusern der Porta Garibaldi ein „President’s Room" eingerichtet. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Tropfendes Licht: Die Installation von Melogranoblu auf der Fuorisalone. Foto © Leyla Basaran, Stylepark