Gut gefügt und schmuck
von Thomas Edelmann
23.06.2014 Im Rahmen der „Berlin Design Week“ fand kürzlich eine eintägige Konferenz zum Thema „Eleganz“ statt. Sie hat das Zeug, nicht nur dem Design neue Impulse zu geben. Wie leicht hätte eine solche Veranstaltung zu einer Runde von pikierten Ästheten geraten können, die sich gegenseitig bestätigen, wie viel Verfall und wie wenig Eleganz in der heutigen Welt zu finden sei. Jammern im Allgemeinen und speziell in Berlin? Nichts lag den Machern ferner. Und so gelang eine konzentrierte, abwechslungsreiche und inspirierende Präsentation, die vermutlich bald schon über die 150 Teilnehmer hinauswirken wird, die vor Ort dabei waren. „Eleganz ist verführerisch. Können wir ihr trauen? Schönheit hat etwas Statisches an sich, Eleganz ist in Bewegung. Darum entwischt sie so leicht“, sagte Hannes Böhringer in seiner klugen Einführung. Der Philosoph Hannes Böhringer, der Fotograf Hans Hansen und der Designer Axel Kufus hatten sich bereits 2009 zu einem gemeinsamen Ausstellungs- und Buchprojekt zusammengetan. „Einfach“ lautete damals der Titel einer Ausstellung, der von einem Essay- und Bildband bei Merve begleitet wurde. Nun wirkten die drei als Kuratoren für das Konferenz-Projekt. Und erfreulich „einfach“ machten sie es auch diesmal. Gleiten durch den Raum Ein Video zu Beginn macht klar, wovon hier die Rede sein würde: Mit bisweilen akrobatischen Bewegungen ziehen „Urban Idiots“ durch die Stadtlandschaft, Freerunner, die Hindernisse jeglicher Art spielerisch überwinden, allein durch Körperkraft und in direktem Kontakt mit Dächern, Baugruben, Absperrungen und Wänden. „Wir blicken neidisch auf die Eleganz“, erläutert Hannes Böhringer einführend, „sie erscheint uns als Ausnahme. Denn gemeinhin agieren wir schwerfällig und umständlich“. Der Philosoph schlug den Bogen von Ciceros Abhandlung über den vollkommenen Redner („Elegant ist, was zusätzlichen Zierrat nicht braucht, weil es in sich selbst schon stimmig, gut gefügt und schmuck ist“) zur „unverzichtbaren Zeichensprache der Angemessenheit“. In einer Massengesellschaft, die ihrer Konventionen unsicher oder beraubt sei, eigene sich Eleganz nur schlecht als Unterscheidung, stellte er fest. Die Massengesellschaft fordere „exzentrisches, extravagantes Verhalten heraus, kein elegantes.“ Auch der, nicht allein sprachlichen, Nähe von Eleganz und Lässigkeit widmete Böhringer sich. Bei Cicero werde das Wesen der Eleganz durch Sorgfalt (diligentia) und Nachlässigkeit (neglegentia) gekennzeichnet. So gelangte Böhringer zum Resümee, das mit Design gewisse Gemeinsamkeiten aufweist: „Eleganz ist also die komplexe, in sich gegenläufige Bewegung einer indifferent gleitenden und umsichtig auswählenden, einer streuenden und sammelnden Aufmerksamkeit.“ Von „eleganten Lösungen“, die in Naturwissenschaft und Technik geläufig sind, war in der Einleitung ebenfalls die Rede. Später wurden sie am Beispiel digitaler Forschungsprojekte in der Baukonstruktion und „eleganter Formeln“ in der Mathematik ausführlicher dargestellt. Zu einem Höhepunkt der Tagung gehörte zunächst die Frage nach der „Diplomatie als elegante Lösung im heiklen Umgang der Völker miteinander“. Thomas Bagger, Diplomat und Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt referierte über Klischees zur Diplomatie (etwa über das „diplomatische Parkett, das immer glatt“ und die Sprache, die stets „geschliffen“ sei.) Er zeigte die Bedeutung des diplomatischen Protokolls als einen unstrittigen Mindeststandard der Wertschätzung auf. Und er verdeutlichte, dass die Diplomatie, selbst äußerst pragmatisch, dennoch ohne theoretisches Rüstzeug nicht auskomme, indem er eine Übersicht zur jüngeren Theorie der internationalen Politik gab und den mühsamen Weg der Verrechtlichung von Macht und Interessen aufzeigte. Ganz praktisch erläuterte er am Beispiel der 1997 verabschiedeten „Deutsch-tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung“, an der er mitgewirkt hat, die „konstruktive Mehrdeutigkeit“, die es der Diplomatie ermöglicht, unvereinbare Positionen nicht zu negieren, sondern auf eine neue Basis zu stellen, in der sie ihre politische Sprengkraft einbüßen. Eine gänzlich andere Perspektive, als sie gegenwärtig in Fragen der EU aber auch der Beziehungen Deutschlands zur Ukraine und zu Russland jene mutwilligen Vereinfacher einnehmen, denen Verhandlungen, Kompromisse und Einigungen als „Geschacher“ oder gar Verschwörung erscheinen. Natur nachmachen Vom Verhältnis der Völker zum Verhältnis der Komponenten in der Baukonstruktion: Der Bauingenieur Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktion und Konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart, erläuterte, welche Bedeutung der Übergang vom analogen zum digitalen Gestalten für künftige Bauwerke habe. Während bislang Bauteile auf eine Funktion hin optimiert wurden, um anschließend in ein Gebäude eingebaut zu werden, lassen sich mit digitalen Entwurfsprozessen bislang unvereinbare Eigenschaften wie fest und beweglich in ein und derselben Struktur vereinen. Der Tiefseeschwamm „Euplectella asperillum“ beeindruckt Forscher seit einigen Jahren, als man seine Struktur aus unzerbrechlichen Fasern entdeckte, die höchsten Stabilitätsanforderungen genügen. Nach dem Vorbild der Strelitzie (auch Paradiesvogelblume genannt) entwickelte Knippers mit Biologen und Textiltechnikern einen gelenklosen Klappmechanismus, der zur Verschattung von Fassaden dient. Die verformbare Konstruktion basiert auf Materialversagen, dem Biegedrillknicken, das Ingenieure sonst tunlichst vermeiden, hier aber gezielt einsetzen. Weit abstrakter waren die „Eleganten Lösungen“, von denen die russische Mathematikerin Olga Holtz berichtete. Sie lehrt an der TU Berlin und an der University of Berkeley und rekapitulierte Arbeitsschwerpunkte und Erkenntnisse von Newton, Euler und Gauß, wobei sie das wechselhafte Verhältnis zwischen abstrakter und angewandter Mathematik thematisierte. Besonders interessant für Nichtmathematiker war ihre Darstellung des Streits zwischen Formalisten und Konstruktivisten. Während David Hilbert (1862 bis 1943) nach Widerspruchsfreiheit strebte und behauptete, jedes mathematische Axiom sei entweder richtig oder falsch, wies Kurt Gödel (1906 bis 1978) nach, dass es auch in widerspruchsfreien Axiomsystemen stets Aussagen gebe, die aus diesem weder bewiesen noch widerlegt werden könnten. Kleidung kontrastiert Armut Angewandte Mathematik präsentierte der Kognitions- und Sportspielforscher Daniel Mammert von der Deutschen Sporthochschule Köln. Er demonstrierte zeitgenössische Möglichkeiten der digitalen Auswertung von Fußballspielen. Sein Vortrag, garniert mit eindrucksvollen Filmbeispielen etwa von Dribblings des Lionel Messi oder einem Torwart mit Dreadlocks, der den Ball im Flug mit den Füßen vor der Torlinie stoppt, zeigte gegensätzliche Aspekte des eleganten Spielens, das durch Überraschungsmomente, Schnelligkeit, taktisches Geschick und die Bereitschaft zu neuen Lösungen gekennzeichnet ist. Ein Tag im Zeichen der Eleganz – wo aber bleibt die Mode? Zwei höchst unterschiedliche Ansätze von Charles Didier Gondola von der Indiana University und von Moritz Ege von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität beleuchteten sie gegen Ende der Tagung. Während Ege vom „prolligen“ Berliner Gangstar-Style einer „Bescheid wissenden Männlichkeit“ zwischen Kreuzberg und Marzahn berichtete und an historische Strategien der Abgrenzung gegenüber der Eintönigkeit des Mainstreams erinnerte, berichtete Gondola von den „Sapeurs“ aus Brazzaville im Kongo, deren farbenfrohe ausgesucht feine europäische Kleidung im Kontrast zur Armut steht, in der zu leben sie gezwungen sind. Mode begreifen die „Sapeurs“ als Widerstand gegenüber der kleptokratischen Diktatur aus dem Norden, ihr Auftreten ist ausgesucht höflich und zugleich widerständig. In der abschließenden Diskussion, strukturiert von der amerikanischen Journalisten Melinda Crane, wurden nochmals einige Diskussionsstränge zusammengeführt. Ermöglicht die Eleganz einen Perspektivenwechsel? „Eleganz gibt es nur in der Rezeption, sie findet im Kopf statt“, behauptete Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Eleganz ist keine Kategorie des Handelns, darüber herrschte Einigkeit. Oder doch? Gibt es womöglich, fragte Axel Kufus abschließend, über den fachspezifischen Blick hinaus eine verbindende Attraktivität, der unsere herkömmlichen Bewertungsmaßstäbe „höher, schneller, weiter“ ablösen könnte? Design ist spezialisiert aufs Verknüpfen, sagt Kufus. Könnten wir in Zukunft zu einem „gelungener“ kommen? Fast schon eine Utopie der Eleganz. Ausstellung „Who is Mari? – Enzo Mari und die Meisterwerkstatt der KPM“
Fortbewegung, nicht Ekstase: Der Journalist Niklas Maak, der Philosoph Martin Gessmann und der Architekt Max Schwitalla haben in Köln über des Menschen liebstes Fortbewegungsmittel diskutiert. |
„Wir blicken neidisch auf die Eleganz“: Konferenz-Kurator Axel Kufus (UdK Berlin) mit den Rednern Olga Holtz
(TU Berlin), Melinda Crane und Thomas Bagger (Auswärtiges Amt, BRD) sowie einem Publikumsgast. Foto © Jan Stoerkel Veranstaltungsort der „Eleganz“-Konferenz war die Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin, die im vergangenen Jahr ihr 250-jähriges Bestehen feierte. Foto © Jan Stoerkel
Konferenz-Initiator und Philosoph Hannes Böhringer machte den Auftakt – und zitierte Cicero. Foto © Jan Stoerkel
Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktion und Konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart, veranschaulichte den Übergang vom analogen zum digitalen Gestalten. Foto © Jan Stoerkel
Nach dem Vorbild der Strelitzie (Paradiesvogelblume) entwickelte Knippers einen gelenklosen Klappmechanismus, der zur Verschattung von Fassaden dient. Foto © Jan Knippers
Charles Didier Gondola (Indiana University, Indianapolis/USA) berichtete von den „Sapeurs“ aus Brazzaville im Kongo, deren farbenfrohe europäische Kleidung im Kontrast zur Armut steht. Foto © Charles Didier Gondola
Das Wesen der Eleganz ist nach Cicero durch Sorgfalt (diligentia) und Nachlässigkeit (neglegentia) gekennzeichnet: KPM-Ausstellung in der historischen Ofenhalle. Foto © Jan Stoerkel
Eleganter Rahmen: Die Königliche Porzellan-Manufaktur, die 2006 von dem Privatbankier Jörg Woltmann vor der Insolvenz gerettet wurde. Foto © Jan Stoerkel
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