Dallas wird in der Popkultur gerne als Hauptstadt der Öl-Barone porträtiert. Ganz im Gegensatz zu diesem Klischee hat der ölbedingte Reichtum aus Dallas in den letzten Jahren zunehmend eine Kulturstadt gemacht. Nicht erst mit dem Meyerson Symphony Center von 1989, entworfen von I. M. Pei, dem Kimball Art Museum, Renzo Pianos Nasher Sculpture Center und dem neuen Kunstmuseum von Tadao Ando hat sich die Ölstadt Kulturbauten von Rang erkauft. Aber wie so oft, wenn hochrangige Architekten in Projekte dieser Art involviert sind, entstehen zwar interessante Gebäude, aber mit ihnen nicht unbedingt ein zusammenhängendes, lebendiges Kulturviertel.
Die beiden neuesten „Perlen in der Kette", das Wyly-Theater und die neue Oper, wollen das ändern. Mit ihnen soll die Stärke im Bereich der Museen soll nun auf den Bereich des Musik- und Sprechtheaters ausgedehnt werden. Sie liegen entlang der Flora Street einander gegenüber und bilden ein räumlich spannendes Tor. Architektonisch könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Während das Wyly-Theater von Rem Kohlhaas - ein schlanker, hoher Turm - betont cool und experimentell daherkommt, stellt Norman Fosters Winspear Opera House - eine Re-Interpretation der traditionellen Hufeisentheaters - einen traditionellen Typus in einer modernen Verpackung vor.
Das Wyly-Theater wurde von Rem Koolhaas entworfen, fertig gestellt aber vom amerikanischen Partner-Büro REX. Derlei gemischte Autorenschaften können Gift sein für den Erfolg eines Baus, aber in Dallas ist ein metallverkleideter Zauberkasten entstanden, der wie eine reibungsfreie „Kultur-Maschine" funktioniert. Jede Aufführung kann darin ihren ganz eigenen räumlichen Rahmen bekommen. Der hohe, in Aluminiumpaneele gekleidete Kubus zeigt sein Innenleben nur durch schmale Fensterschlitze. Die Bühne liegt im Erdgeschoss und ist auf drei Seiten von Fenstern umgeben. Wenn die schweren schwarzen Vorhänge den Raum nicht verdunkeln, können Passanten also einen Blick ins Innere erhaschen. Theatergänger mit Eintrittskarte hingegen schreiten eine breite Rampe hinab zum Sichtbeton-Foyer, das Neugierde auf den Theatersaal wecken soll, den man über schmale Treppen in den Ecken erreicht. Diese Inversion der klassischen Freitreppen, die in traditionelle Theatersäle führen, soll eine Entsagung von der täglichen Welt befördern und den Eintritt in die Welt der Kunst zelebrieren: Nach den schmalen dunklen Treppen ist die räumliche Dramaturgie des hohen Foyers umso beeindruckender.
Der Theatersaal selbst ist ein Verwandlungskünstler: alle Vorder- und Hinterbühnen können vollelektronisch gehoben und versenkt werden - und auch die Ränge lassen sich mechanisch in den verschiedensten Varianten arrangieren: Vom Hufeisen- zum Guckkasten-Theater und zurück in wenigen Stunden. Nicht der Architekt kontrolliert die Räume, sondern die Nutzer des Hauses. Das Wyly-Theater ist ein „Totaltheater", das ewig transformiert werden will. Statt einer lauten Architektur-Ikone haben die texanischen Bauherren eine große, abstrakte Box bekommen, die erst im Inneren ihre stete Wandelbarkeit beweist.
Norman Fosters Winspear Opera House auf der anderen Straßenseite mag räumlich weniger innovativ sein, seine knallrote Fassade aber ist eine willkommene Ergänzung zur matten Alu-Haut von Koolhaas‘ Theater nebenan. Im Grundriss folgt das Musiktheater der klassischen Hufeisenform, umgeben von einer riesigen Vitrine. Ein auf allen Seiten weit auskragendes Dach, getragen von eleganten dünnen Stahlstützen, überdacht eine „Plaza" rings um das Gebäude. Tausende schlanker Lamellen im Dach schützen im Sommer vor der sengenden texanischen Sonne und lassen dennoch Blicke, Luft und Licht hindurch. Das Vordach wurde so entworfen, dass die Elemente den Lauf der Sonne nachzeichnen, um das Foyer und die Umgebung der Oper zu verschatten. Als „informelles Foyer" soll dieser Außenraum symbolisch Oper und Stadt zusammenführen.
Eine Glasfassade umfasst drei Viertel des Gebäudes und erlaubt Blicke aus dem Foyer in den umliegenden Park und auf die Skyline von Downtown Dallas. In umgekehrter Richtung blickt man auf den Saal, der mit roten Glaspaneelen verkleidet als Blickfang dient. Ein dreißig Meter breites Segment der Fassade lässt sich öffnen, um Foyer, Café und Restaurant zum nahen Park hin erweitern zu können. Durch die großen Glasflächen fallen neugierige Blicke in das zwanzig Meter hohe Foyer und auf die riesige Treppe, die zu den vier Rängen führt. Der Konzertsaal selbst ist elegant, aber in keinster Weise spektakulär. Die Musik spielt hier die erste Geige. Lediglich die Balkone sind mit Blattgold verkleidet und auch der gigantische Kronleuchter in der Mitte verleiht dem Raum etwas Glamour.
Trotz aller Unterschiedlichkeit haben beide Gebäude das Zeug dazu, Dallas die langersehnte „kulturelle Präsenz" zu verleihen. Auch wenn die Wirtschaftslage in den USA derzeit mehr als trübe ist, den Initiatoren ist es gelungen, rechtzeitig vor dem Crash mehrere hundert Millionen Dollar an Spendengeldern einzusammeln. Unweit von Downtown gelegen, bringen beide Neubauten neues kulturelles Leben in die ambitionierte Geschäftsstadt. Dallas, eine schnell wachsende Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern, die sich selbstbewusst „Big D" nennt, hofft, bei Besuchern bald nicht nur als Technologiestandort und Heimat von J. R. Ewing in Erinnerung zu bleiben.