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Filmstill aus "Office Baroque", 1977. Durch alle fünf Stockwerke eines zum Abriss vorgesehenen Bürogebäudes in Antwerpen schnitt Matta-Clark große Öffnungen.

Zersäge mich

Die Arbeiten des Künstlers und Architekten Gordon Matta-Clark wurden schon oft gezeigt, "Conical Intersect", "Food" oder "Cuttings" gelten als Kult. Eine Ausstellung in Berlin kombiniert diese Arbeiten nun mit Werken von Marjetica Potrc, Tomás Saraceno, Simon Faithfull sowie Fotografien aus Ost-Berlin – und gewinnt daraus überraschende, neue Perspektiven.
von Florian Heilmeyer | 30.05.2017

Berlin leidet schon länger nicht mehr an Schlossarmut. Im Gegenteil, in letzter Zeit kommen ja eher noch neue Schlösser hinzu und alle, die noch irgendwie erhalten sind, werden restauriert und modernisiert. So auch das Schloss Biesdorf, eines der gleichzeitig seltsamsten, originellsten und auch idyllischsten Schlösser der ganzen Stadt. Dabei liegt Schloss Biesdorf eigentlich genau zwischen den Ost-Berliner Stadtteilen Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg, die nicht unbedingt für Idylle in irgendeiner Form bekannt sind.

Dennoch gelingt es dem vier Hektar großen Park mit seinen alten Bäumen, den knirschenden Kieswegen und dem hölzernen Teehaus, die Besucher von der S-Bahn bis zur Schlosstür in einen Zustand weitgehender Entrücktheit zu versetzen. Zwischen den sattgrünen Bäumen schimmert das zarte Rosa der Schlossfassaden durch. Ein geradezu überromantischer Bau, der hier 1868 wahrscheinlich unter Beteiligung von Martin Gropius und nach italienischem Vorbild entstand mit säulenbestandenen Loggien und einem hohen, achteckigen Turm an der Südostecke. Aus dessen Belvedere sieht man immerhin in der Ferne die gelben Waggons der U-Bahnlinie 5, die hier als Hochbahn in weitem Bogen über die Stadt rumpelt, sonst würde man sich dort am Ende noch die Toskana hinhalluzinieren.

Schlösser zerschneiden

Was hätte wohl Gordon Matta-Clark (1943-1978) zu dieser verträumten Beschaulichkeit gesagt? Vielleicht hätte er das Schloss mit einer Kettensäge entzweigeschnitten, es langsam gehäutet oder zumindest einige großformatige Fotos der nächstgelegenen Müllkippe in den Park hängen lassen. Der New Yorker Künstler war ja nicht gerade als Freund der Idylle bekannt. Lieber spaltete er Wohnhäuser ("Splitting"), schlug große Löcher in Abbruchhäuser ("Conical Intersect") oder ließ einen hübschen, roten Lieferwagen auf eine riesige Mülldeponie fahren, um ihn dort von zwei Kettenfahrzeugen gründlich zerkleinern zu lassen ("Fresh Kills").  

Für "Splitting" (1974) zerschnitt Gordon Matta-Clark (unten im Bild) in tagelanger Handarbeit ein komplettes Einfamilienhaus.

Umso interessanter, dass gerade hier nun eine große Retrospektive seiner Arbeiten zu sehen ist. Denn seit 2016 ist das freundlich sanierte Schloss das "Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum" (ZKR), die aktuelle Ausstellung ist gerade mal die zweite Schau dieses brandneuen Kunstortes, der seinen Platz in der dicht besetzten Kunstlandschaft Berlins finden wird. Ein dauerhafter Konflikt zwischen den Inhalten und dem Schloss und seinem Park scheint vorprogrammiert. Wenn der aber dauerhaft so klug genutzt wird wie mit dieser konzentrierten Ausstellung, dann kann das ein sehr produktiver Konflikt sein.

Die Berliner Mauer sprengen

Dabei ist schon der grundsätzliche Arbeitsauftrag für die neue Schlossdirektorin Katja Aßmann nicht einfach. Danach sollen in den Ausstellungen im ZKR zeitgenössische internationale Positionen zur Kunst im öffentlichen Raum mit Künstlern aus der DDR kombiniert werden. Das erzeugt gewisse Zwänge, die man allerdings in Bezug auf Matta-Clark mit lässiger Bravour integriert: zum Glück war der New Yorker 1976 nach West-Berlin eingeladen worden, wo er einen Teil der Berliner Mauer mit Dynamit in die Luft sprengen wollte und wohl nur durch langes, gutes Zureden seiner Freunde von dieser Idee abgebracht werden konnte. Stattdessen klebte er Werbeplakate auf die Mauer und malte ein übergroßes "MADE IN AMERICA" dazu, was er ebenso auf Super-8 filmte wie die ausführliche Personenkontrolle durch die Westberliner Schutzpolizei.     

Die Berliner Mauer hat Matta-Clark 1976 dann doch nicht gesprengt, sondern ein paar Werbeplakate draufgeklebt. Ärger mit der Polizei gabs trotzdem: "The Wall", 1976.

Dieser Film ermöglicht den fünf Kuratoren eine äußerst gelungene Dramaturgie. Im Erdgeschoss bewegt man sich zunächst in einer Raumfolge durch künstlerische Arbeiten aus dem Ost-Berlin der späten 1970er- und 1980er-Jahre. Es sind einige beeindruckende Grafiken, Gemälde und Fotos von Sabine Peuckert, Sybille Bergemann oder Ursula Strozynski, die den seltsam eingefrorenen, leeren und halbfertigen (oder halbzerstörten) Zustand der zerschnittenen Innenstadt in Erinnerung rufen – was hier in Biesdorf 2017 umso stärker wirkt, während von draußen die grüne Parkidylle in die Räume der Ausstellung leuchtet.

Im letzten Raum im Erdgeschoss hängen die Schwarzweiß-Fotos von Sibylle Bergemann, die sie 1980 in Ost-Berlin und 1984 in New York aufgenommen und 1987 in einer Ausstellung in Ost-Berlin unbeschriftet nebeneinander gehängt hatte, sodass die Besucher selbst raten mussten, welches nun welche Stadt war und auf einmal sah das gar nicht mehr gegensätzlich aus, New York und Ost-Berlin. Von diesen Fotos ist es in der Ausstellung wirklich nur noch ein kleiner Sprung über die Mauer (in Gedanken) zu Matta-Clarks "The Wall", womit der Rundgang im Erdgeschoss endet.

Einige großformatige Fotos und Filmstills wurden auf die Wände gebracht, wie hier "Conical Intersect". Die meisten Arbeiten bleiben aber kleinformatig.
Ausstellungsspagat: In Biesdorf werden Matta-Clarks Arbeiten mit DDR-Künstlern und aktuellen Positionen gezeigt, im Atrium hängt eine große, zersplitterte Collage von Diana Sirianni.

Die Grundlagen sind damit gelegt und die Ausstellung agiert im Obergeschoss deutlich freier. Hier werden die Arbeiten von Matta-Clark in jedem Raum mit zeitgenössischen Werken von zum Beispiel Isa Melsheimer, Tomás Saraceno oder Marjetica Potrč kombiniert. Das klappt manchmal besser, manchmal bleiben die Zusammenhänge eher rätselhaft oder unpräzise. Immerhin hat Matta-Clark trotz seines extrem frühen Todes ein thematisch so breites Portfolio hinterlassen, dass man mit etwas Willen praktisch jedes Kunstwerk mit einer seiner Arbeiten in Verbindung bringen könnte - der Grat zwischen einer irritierenden, neue Perspektiven öffnenden Kombination und totaler Beliebigkeit ist manchmal äußerst schmal. Doch zweifellos gelingt es, in den überschaubaren Räumen mit ihrem herrlichen Ausblick immer wieder Spannungen zu erzeugen, zum Beispiel zwischen Andrea Pichls Plattenbau-Fotos und Matta-Clarks "Day’s End" oder wenn Simon Faithfull sich auf eine Nord-Süd-Reise entlang der gedachten Linie des Nullmeridians begibt und an der Wand gegenüber Matta-Clark ein nettes Holzhaus in New Jersey mit einer Kettensäge sehr langsam und sehr gründlich in zwei Hälften teilt.       

Sabine Peuckert hat das Ost-Berliner Stadtzentrum in den 1980ern in Fotos und Gouachen dokumentiert.
Ihre Alltagsaufnahmen zwischen Abriss und Leerstand wirken wie der perfekte Ort für eine Arbeit von Matta-Clark – der nie in Ost-Berlin war.

Die ruhige Ausstrahlung des Schlosses sowie die wenigen Besucher an einem Mittwoch Mittag helfen einer sehr konzentrierten und fokussierten Ausstellungsgestaltung. In anderen Schauen wirken die Arbeiten von Matta-Clark allzu oft wie verloren, wenn sie zwischen ausführlich dokumentierten Performances hängen. Von seinen Werken sind vor allem die Super-8-Filme geblieben und meist recht kleinformatige, grobkörnige Fotos. Hier wird diesen Werken der notwendige Raum und die Ruhe gegönnt, die sie brauchen, um ihre gesamte irritierende Brachialität entfalten zu können - die an einem idyllischen Ort wie diesem umso wuchtiger wirkt. Es gibt viele Anregungen, über die man auf dem Rückweg zur S-Bahn unter den dicken alten Bäumen, ein rosa Schloss ebenso im Rücken wie die Plattenbauten dahinter, noch nachdenken kann.


Ausstellung:
Zwischen Räumen
Bis 8. Oktober 2017

Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum ZKR
im Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55, 12683 Berlin

Gemeinsam mit einigen Freunden gründete Matta-Clark die Gruppe "Anarchitecture", die 1974 in New York eine kleine Ausstellung zeigte.
Die Ausstellung zeigte Fotografien von Löchern, Katastrophen oder umgestürzten Denkmälern und fragte, ob all das auch Architektur sei.
Auch Andrea Pichls Foto-Serie "Bau auf, Bau auf" von industriell gefertigten Plattenbauten ist Teil der Ausstellung.
Sie interessiert sich für die Verfalls- und Gebrauchsspuren an den einst begehrten Bauten.
Pichl fängt dabei auch die Stellen ein, wo mit industriellen Standardprodukten individuelle Gestaltung entsteht.
Unter die ostdeutschen Plattenbauten mischen sich auch solche aus London, Paris, New York oder Dublin.
Die Ostberliner Fotografin Sibylle Bergemann zeigte ihre Aufnahmen nur in Paaren: Berlin/New York, Berlin/Paris, Long Island/Wassenaar.
Dabei verriet sie aber nie, welches Bild aus welcher Stadt stammte. Auch der Titel ihres Katalogs "Immer derselbe Himmel" war in der DDR 1987 ein politisches Statement.
Grünes Idyll: Was hätte Gordon Matta-Clark wohl mit Schloss Biesdorf gemacht, wo bis Oktober 2017 eine große Werkschau seiner Arbeiten zu sehen ist?