Experten für Neuanfänge
Wäre hier nicht alles aus wunderbar weichem Kork – man könnte ein wenig Platzangst bekommen in dem verchromten Überseecontainer, den das Architekturbüro Gonzalez Haase als mobilen Pop-Up Store für Birkenstock gestaltet hat. Je tiefer man sich in ihn hineinbewegt, umso weiter greift das Regal- und Präsentationsmöbel in den Raum aus. Zunächst ein flaches Bord an der Seite, wächst es an zu einem raumhohen Einbau, der nur noch einen schmalen Durchlass zum Hindurchgehen offen lässt.
Auf den wenigen Quadratmetern des Containers wird geradezu musterhaft die besondere Herangehensweise der Architektin Judith Haase und des Szenographen Pierre Jorge Gonzalez deutlich: Die beiden Spezialisten für avantgardistisches Retail-Design stellen nicht länger einzelne Kaufobjekte in den Mittelpunkt, sie konzipieren überraschende Raumerlebnisse – wie jenes im immer enger werdenden Parcours durch den Birkenstock-Container. "Wir glauben, dass der Käufer keine Bevormundung braucht", sagt Gonzalez und so gibt es im Container auch keine Licht-Spots mehr. "Wir versuchen vielmehr eine Gesamtlichtstimmung im Raum zu entwickeln", erklärt Judith Haase. Am Ende weitet sich der Gang im Birkenstock-Container noch einmal, bevor er den Besucher am hinteren Ausgang wieder in den Innenhof des Conceptstores von Andreas Murkudis in Berlin-Tiergarten entlässt. Dort gastiert der mobile Pop-up Store des Sandalenherstellers, bevor er die Reise nach Mailand zur nächsten Station antritt.
An jedem Standort gestaltet der als Gastgeber fungierende Store gemeinsam mit einem Designer das Innenleben des spiegelnden Containers neu. Murkudis entschied sich für Gonzalez Haase – schließlich hat das Büro bereits diverse Ladenlokale für den Berliner Design-Entrepreneur gestaltet. Murkudis war es, der Pierre Jorge Gonzalez und Judith Haase, die zuvor bereits bei der Gestaltung von Berliner Galerien erste Erfolge gefeiert hatten, überzeugte, für ihn ihre erste Ladeneinrichtung zu entwerfen. Mittlerweile sind die beiden über die Grenzen Deutschlands hinaus als Gestalter von Läden, Kaufhäusern und Restaurants gefragt und haben in diesem Bereich einige der ungewöhnlichsten Innenarchitekturen der letzten Jahre vorzuweisen: Neben den Murkudis-Shops den ersten Acne Studio-Store außerhalb Skandinaviens, Konzepte für die Luxuskaufhäuser KaDeWe und Oberpollinger und zuletzt den vielbeachteten Flagship Store von Balenciaga in Paris.
"Wir werden häufig gefragt, wenn bei einem Kunden sehr grundlegende Veränderungen anstehen oder gerade erfolgt sind", erklärt Judith Haase. Wohl deshalb, weil es das Team um die beiden Gestalter bisher sehr erfolgreich vermieden hat, sich zu wiederholen und jede neue Aufgabe mit bemerkenswerter Akribie angeht. Bei Balenciaga war es der Antritt von Demna Gvasalia als Kreativdirektor, der die Tür für Gonzalez Haase öffnete. Der Deutsch-Georgier kannte und schätzte die Arbeit der beiden so sehr, dass er sie mit der Gestaltung des Ladens in der Rue Saint-Honoré betraute. Gemeinsam entwickelten sie eine Einrichtung, die geradezu das Gegenteil ist von luxusverliebten Haute-Couture-Interieurs à la Peter Marino. Einerseits wollten sie die Materialsichtbarkeit umsetzen, die ihre Entwürfe kennzeichnet, zum anderen eine besondere Beziehung zum Produkt herstellen – zwei Aspekte, die sich auch beim Birkenstock-Container wiederfinden.
Bei Balenciaga dienten ihnen die Lager- und Fertigungsräume des Couturiers als Inspirationsquelle. So ist das Haken- und Hängesystem, das sich über die gesamte Deckenfläche des Ladens zieht, das gleiche, das in den Ateliers zum Transport der Stoffballen Verwendung findet – im Shop allerdings ohne Motorisierung. Auch das blanke Metall und die langen Tische verweisen auf die Werkstätten und ihre Zuschneideflächen. Wenn diese spiegelnden Oberflächen und die Nacktheit und Sterilität des Raumes beim Betrachter eine gewisse Ambivalenz und Beklemmung auslösen – Gedanken an ein Schlachthaus und die abgründigen Yuppie-Splatter-Phantasien von "American Psycho" drängen sich auf – dann sei das nicht beabsichtigt, sagt Pierre Jorge Gonzalez. Aber natürlich wolle der Raum beim Betrachter Emotionen auslösen. Einem vordergründigen Symbolismus und einer bewussten Bedeutungsaufladung könne er aber nichts abgewinnen.
Kurz vor der Fertigstellung steht im Berliner Stadtteil Wedding gerade das ambitionierte Restaurant "Ernst" des kanadischen Kochs Dylan Watson-Brawn, der ein Konzept radikaler Saisonalität und Regionalität verfolgt. Mit dem "Beets und Roots" haben Gonzalez Haase bereits im vergangenen Jahr ein Projekt im Gastronomiebereich umgesetzt, hier jedoch für ein Angebot im Budget- und Take-away-Bereich. Die Ladenfläche in einem Plattenbau in Berlin-Mitte wurde dabei radikal bis auf den nackten Beton entkernt und anschließend mit wenigen, sparsam eingesetzten Materialien partiell neu verkleidet. Den Eindruck bestimmen dabei die handgefertigten Boden- und Wandplatten aus Zement in vier verschiedenen Grautönen und einem Rosaton, die einzelne Raumzonen definieren. Hinzu kommen farbiges Spiegelglas, eine Deckenbeleuchtung aus schlauchartig geformten Neonleuchten und einfaches Mobiliar aus Schichtholz, das in einer beschützenden Werkstätte gefertigt wurde. Trotz der geringen Ladenfläche gelingt Gonzalez Haase durch diese Beschränkung in den Materialien eine höchst differenzierte Raumstruktur, ohne dass die Gesamtwirkung unruhig würde.
Bislang arbeiten Gonzalez Haase vielfach an der Schnittstelle zwischen Architektur und Design. Doch in beide Bereiche taucht man gegenwärtig auch unabhängig voneinander tiefer ein: Ein Mehrfamilienhaus in Berlin ist soeben fertiggestellt und wird in Kürze bezogen. Und auch das erste Möbelstück für die serielle Produktion, ein Paravent, ist in seiner Entwicklung weit fortgeschritten. Der Erfolg von Gonzalez Haase könnte also bald noch größere Kreise ziehen.