Biennale Architettura 2023
Stetige Transformation
Nie erschien die Architekturbiennale Venedig derart vielfältig wie in diesem Jahr. Die von Generalkommissarin Lesley Lokko ausgerufenen Themen "Dekarbonisierung" und "Dekolonisierung" stießen nicht bei allen Länderpavillons auf Interesse. Der Schwerpunkt ihrer Auswahl an TeilnehmerInnen der zentralen Ausstellung mit afrikanischer Herkunft diversifizierte das Spektrum weiter. Waren frühere Biennalen Leistungsschauen von ArchitektInnen, die ihre Kreationen ins rechte Licht rückten, so wird das Publikum in diesem Jahr vielfach über die ökologische Misere der Welt, die Kolonialgeschichte(n) und über prekäre Lebensumstände in Ländern der "3. Welt" ins Bild gesetzt. Unausgesprochenes Generalthema ist offenbar die Rettung des Erdballs. Einerseits werden die Zustände beklagt, etwa Chinas Internierungslager in der westlichen Provinz Xinjiang oder die Vermüllung der Meere. Andererseits werden zahlreiche Lösungsvorschläge unterbreitet, ob Pilze als künftiger Baustoff (Belgien-Pavillon), ob CO2-Fischen in der Atmosphäre (SciFi-Video von Liam Young), oder eine Samenbank zur Rettung der Artenvielfalt (Chile-Pavillon). Immerhin, eine Reihe von AusstellerInnen hält auch die Architektur für ein geeignetes Tätigkeitsfeld, um die fatalen Werte der Emissionen das Baubereichs (41 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen durch Gebäude, 53 Prozent rechnet man alle Infrastrukturbauten hinzu) zu mindern. Holzbau ist angesagt (White Arkitekter), Recycling (Deutschland-Pavillon) und Wiederverwertung bestehender Bauten, Umbau also, wie es der BDA als zukünftigen Normalfall fordert.
Die eindrucksvolle Ausstellung "Umbau" hat das Architekturbüro von Gerkan Marg und Partner gmp beigesteuert. Es ist eine der Kollateralausstellungen, von denen es in der Stadt über 70 außerhalb der Biennalegelände Giardini und Arsenale gibt. Salone Verde nennt sich der etwas versteckt gelegene "art & social club" im Sestiere Santa Croce auf halbem Weg zwischen Rialto und Bahnhof, der schon für sich ein Exponat zum Thema "Umbau" ist. Der Ort gehörte ursprünglich zu einem Palazzo aus dem 13. Jahrhundert und besteht aus zwei langgestreckten, eingeschossigen Gebäuden mit einem Hof dazwischen. Seit der behutsamen Sanierung im vergangenen Jahr dient er als exquisiter Ausstellungs- und Veranstaltungsort.
Bislang war es die Wertschätzung dessen, was frühere Generationen und Baukünstler uns hinterlassen haben, die zur Erhaltung und zum Um- und Weiterbau motivierte. In jüngerer Zeit kam der Aspekt der "grauen Energie" und der Ressourcenknappheit hinzu. Wenn irgend möglich, sind wir gehalten, Bestandsbauten weiterzuverwenden, zu sanieren, zeitgemäßen Nutzungen zuzuführen. gmp, in deren Arbeit sich diese Tendenz zeigt, listen im Katalog der Ausstellung 64 Umbauprojekte auf. Sieben davon sind in Venedig präsent, in Form einer Schau, die gleichzeitig die Perfektion und Präzision vermittelt, mit der bei gmp gearbeitet wird. Wobei die Inspiration nicht zu kurz kommt. Wenn gmp den Dresdner Kulturpalast, einen DDR-Bau von Miesscher Moderne, sorgfältig sanieren und gleichzeitig dessen verschlissenen und unglücklich proportionierten Saal im Inneren völlig neu konzipieren, geht es nicht nur um materielle Reparatur und Rekonstruktion von Fassade und Raumhülle eines Kulturdenkmals, sondern um einen inspirierten, kongenialen Neuentwurf, der letztlich mit dem Außenbau besser harmoniert als der ursprüngliche Saal. Wenn dann die großartige Akustik, der "warme Dresdner Klang", von vielen BesucherInnen jener der Elbphilharmonie vorgezogen wird, kann der Umbau als geglückt bezeichnet werden.
Manche Projekte wachsen sich zu anspruchsvollsten technischen Herausforderungen aus, wie etwa die Sanierung und Erweiterung der Alsterhalle in Hamburg. Jörg Schlaich hatte 1973 das 8 Zentimeter dünne, bis zu 96 Meter spannende Schmetterlingsdach entwickelt. Heute nicht mehr genehmigungsfähig, genießt das spektakuläre Dachtragwerk Bestandsschutz und wurde mit neuer Wärmedämmung und allerlei technischen Finessen wie schwingungsdämpfenden Teleskop-Kolbenauflagern für sein weiteres Dasein ertüchtigt. Neue Angebote wie das 25 Meter Warmwasserbecken, ein neues Sprungbecken, Fitness- und Wellnessanlagen mussten technisch und architektonisch mit dem Bestand abgestimmt werden, um das hehre Ziel zu erreichen: das zeichenhafte, populäre Bauwerk (im Volksmund "Schwimmoper") für eine zeitgemäße und zukunftsträchtige Nutzung zu befähigen.
Noch delikater gestaltete sich die Sanierung eines auf den ersten Blick ähnlichen Bauwerks, einer eleganten Halle am Elbufer in Magdeburg. Schalenbaupionier Ulrich Müther hatte die "Hyparschale" das Dachtragwerk in Form von vier hyperbolischen Paraboloiden 1969 in zu gewagter Form realisiert, wie sich schon bald nach Eröffnung erwies. Die Oberlichtglasbänder mussten alsbald mit Teerpappe abgedichtet werden. Schäden an der dünnen Betonschale führten 1997 zu Sperrung des Gebäudes und zu Abrissbestrebungen. Mit einer neuen Methode – dünnen Carbonbetonschichten innen und außen aufgebracht – konnte die Schalen stabilisiert und die Lichtbänder wieder geöffnet werden. So wurde der Umbau sogar zur optimierten Version von Müthers damals zu optimistischem Entwurf. Nach dem Innenausbau soll die Halle 2024 wieder eröffnet werden. Avancierte Dachtragwerke sind im gmp-Portfolio zahlreich zu finden, für Schwimmhallen, Fußballstadien und Messehallen, entwickelt jeweils in Zusammenarbeit mit den namhaftesten Ingenieurbüros. Auch im Umbausektor zeigen sie in Venedig ein solches Projekt.
Das Berliner Olympiastadion, 1936 von Werner March erbaut und wegen der NS-Vergangenheit ein heikler Sanierungsfall, wurde von gmp für die Fußballweltmeisterschaft 2006 fit gemacht. Dabei sollte die Geschichtlichkeit bewahrt werden, zum Beispiel der axiale Blick aus dem Stadionrund zum Glockenturm. Die Arena erhielt ein leichtes, transparentes Dach, das wie eine Aura über den schweren Mauern schwebt und durch eine Lücke in der Ostkurve den axialen Ausblick freihält. Nicht die rigorose, aber selbstgerechte Überformung des ungeliebten Erbes war das Ziel dieses Umbaus, sondern der nonchalante, selbstbewusste Umgang damit, der BesucherInnen und NutzerInnen die eigenen Empfindungen und Urteile belässt.
Zwei Projekte weisen in die Zukunft: In Shanghai sind seit 2021 die Planung und der Bau der Kunstakademie im Gang. Der 860 Meter lange Hallenkomplex eines früheren Edelstahlwerks wird der neuen Nutzung zugeführt, wozu auch ein avanciertes Klimatisierungskonzept mit Transsolar Energietechnik vonnöten ist. Auf 220.000 Quadratmetern Grundfläche entstehen Hochschulinstitute und Werkstätten, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen, Museum und Bibliothek und Vieles mehr, ein Programm für eine Kunstakademie, das weltweit seinesgleichen sucht. Umbau heißt auch hier, den Geist und die Geschichte des Ortes mit seiner industriellen Vergangenheit nicht verstummen zu lassen. Wohl bis 2035 wird sich die Sanierung einer Berliner Ikone der jüngeren Baugeschichte hinziehen: Die von Hans Scharoun 1967-78 errichtete Staatsbibliothek am Kulturforum bedarf der Sanierung. Gleichzeitig soll sie im Inneren neu geordnet werden, mit neuem Eingang vom Potsdamer Platz her. Denkmalpflegerisch betrachtet eine ähnliche Aufgabe, wie sie David Chipperfield gegenüber an der Neuen Nationalgalerie mit Bravour gelöst hat. Seine Arbeit wird der Maßstab auch für die Stabi sein. Ansonsten setzen gmp Maßstäbe, diesmal eben beim Thema "Nonstop Transformation", wie sie den Umbau als Normalfall und nachhaltige Bauaufgabe der Zukunft sehen.
Bis 26. November 2023 im Salone Verde, Santa Croce 2258, Venedig