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GINA und die interaktive Architektur
von Barkow Frank | 18.10.2009

In einer Welt der unmittelbaren Mediendarstellung sind uns Bilder schöner Autos vor ikonographischen Gebäuden sehr vertraut. In dieser Nebeneinanderstellung von Auto und Architektur sind die Objekte so gut positioniert, dass sie sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken. Obwohl sich Gebäude und Autos grundlegend voneinander unterscheiden, führt die übliche Fokussierung auf die Oberflächenwirkung, also auf die äußere Hülle eines Gebäudes bzw. eines Autos, zu einer disziplinären Überschneidung, die sowohl für Architekten als auch für Auto-Designer von zentraler Bedeutung ist.

Im Sommer 2008 stellte BMW der Öffentlichkeit sein Konzeptfahrzeug „GINA Light Vision Model" vor, das Chris Bangle, der damals die Designabteilung der BMW Group geleitet hat, und sein Team entworfen haben. GINA ist ein Akronym, das so viel heißt wie „Geometrie und Funktionen in n-facher Ausprägung". Auf der Basis noch nicht ausgereifter Technologien wird bei GINA die traditionelle Autokarosserie aus Metallblech durch ein elastisches, auf Lycra basierendes Spezialgewebe ersetzt, das über eine Aluminium-Unterkonstruktion in Leichtbauweise gespannt ist, die wiederum die Grundstruktur und Sicherheit bietet. Diese flexible Außenhaut ist beweglich und ermöglicht es, dass sich Türen, Scheinwerfer und die Motorhaube des Wagens auf organische Weise „auffalten" können, das heißt, sie reagiert auf Funktionsanforderungen oder verändert die Form des Fahrzeugs stilistisch. Überdies ist das Gewebe transluzent, so dass das Licht der Heckscheinwerfer auf äußerst subtile Weise durch das Material hindurch scheint oder auch entsprechend wieder verschwindet. Jeder Fahrer kann dieses Auto durch Knopfdruck seinen individuellen Wünschen anpassen. Obwohl es wahrscheinlich lange dauern wird, bis so ein Auto in die Serienproduktion geht, hat GINA ein enormes Interesse ausgelöst.

GINA zeichnet sich überdies durch den ökologisch bedeutsamen Aspekt aus, dass für die Produktion wesentlich weniger Material und Arbeitskraft investiert werden müssen. Ein Quadratmeter der Außenhaut von GINA wiegt nur ein Zehntel eines gleich großen Stückes aus lackiertem Metallblech, wodurch sich die Umweltbelastung und der Energieverbrauch drastisch reduzieren. Das Auto kann in nur zwei Stunden von zwei Personen vollständig verkleidet werden, was zusätzlich Zeit und Kosten einspart.

Design folgt Technologie. Alice Rawsthorn von der New York Times schrieb im Juli 2008 in Bezug auf GINA: „Wenn man sich die Geschichte des Designs vor Augen führt, sind die spannendsten Phasen die der größten Veränderung, wenn Designer wissenschaftliche bzw. technologische Errungenschaften oder einen Wechsel unseres Verhaltens oder der politischen Verhältnisse für uns interpretierten. Man denke nur an die Flut von Innovationen im „Maschinen-Zeitalter" in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts oder an das „Weltraum-Zeitalter" in den sechziger Jahren." Mit anderen Worten, Design ist am fortschrittlichsten, wenn neu aufkommende Technologien neue Möglichkeiten und Herausforderungen eröffnen, damit sich die Grenzen des Machbaren verschieben.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf saßen wir im Sommer letzten Jahres mit Chris Bangle in der Paris Bar in Berlin zusammen und sammelten, bei ein paar Drinks, Ideen für eine weitere Zusammenarbeit, die mit der Erstplatzierung des Wettbewerbs für BMWs neue Abteilung für Design und Konzeption in München begonnen hatte. Obwohl das Projekt aufgrund der Wirtschaftskrise zunächst ruhte, konnten wir unsere Zusammenarbeit im Herbst 2008 im Rahmen der Leitung eines Design-Workshops an der Harvard Graduate School of Design fortsetzen. Wir hatten uns in Berlin die Frage gestellt, wie GINA, als technologische Philosophie, die Grenzen zwischen den Disziplinen überschreiten und unsere Vorstellung von Architektur verändern könnte.

Das Modell, dem wir uns in Berlin erneut widmeten, war die amerikanische Vorortsiedlung. Und GINA wurde als Technologie eingeführt, die den Status quo verändern sollte. Die Vororte scheinen in einem dystopischen Dilemma zu stecken und geradezu nach neuen Ideen zu schreien. Der Ölpreis pro Barrel hatte sich 2008 der 150-Dollargrenze genähert und es gab Zweifel, ob die Lebensform des Pendlers, der im Vorort wohnt und in der Stadt arbeitet, auf lange Sicht noch existieren würde. Überdies wuchsen die Zweifel über die Autoindustrie und deren Vorstellung über den Ein-Auto-Pro-Person-Vertrieb.

Ein Modell, das den amerikanischen Vorort von heute inspiriert hat, ist Frank Lloyd Wrights „Broadacre City": Eine auf dem Auto basierende Utopie einer Gemeinde, in der jede Familie auf einem Stück Land von jeweils ungefähr 4000 Quadratmetern in einem von Wright entworfenen Usonia-Haus leben sollte. Die gesamte amerikanische Bevölkerung der dreißiger Jahre hätte leicht auf einem Territorium so groß wie Texas Platz gefunden. Während dieses auf Selbstversorgung beruhende Agrar-Modell den Weg für den Vorort der Gegenwart bereitet hat, fragten wir uns, welche anderen Modelle eine Neuinterpretation bieten würden im Hinblick auf unterschiedliche Formen der Landnutzung, Ökotope, Areale für Sport und Freizeit, Arbeitsplätze und die Art und Weise, wie wir leben. Was würde „Broadacre" heutzutage bedeuten und wie kann eine Technologie wie GINA einen Beitrag zur Entwicklung solcher neuen Visionen leisten? Wie passt das Auto in diesen Zusammenhang?

Wir organisierten mit vierzehn Harvard-Studenten den Workshop, so dass einzelne Studenten eigene Vorschläge einbringen konnten, die auf ihrem Verständnis ausgewählter Vororte in den USA und auf dem Prinzip GINA als einer in der Zukunft anwendbaren Technologie beruhten. Die Architektur schien eine besonders passende Disziplin für GINA zu sein, eine, die von den inhärenten kinetischen Möglichkeiten der Technologie profitierte. GINA barg echtes Potenzial für die Rückkehr zum Traum von der kinetischen Architektur, wobei sich Gebäude in Reaktion auf Anforderung, Plan, Ausrichtung, Sonne und Wetter bewegen und verändern. Im historischen Sinne ist es richtig, wenn der sich durch den Raum bewegende Körper die Architektur animiert, hier gab es hingegen die Möglichkeit für zwei Akteure, sich miteinander zu bewegen, nämlich der Bewohner und das Gebäude selbst. Denn GINA ist eine Technologie, die das statisch und ein für allemal fixierte Wesen der Architektur herausfordert. Die Erwartungen an das Erscheinungsbild des Hauses werden in ikonographischer Hinsicht in Frage gestellt. Form und Raum als unveränderliche Konstrukte sowie die Beziehung unseres Körpers zu ihnen sind Zustände, die simultan und unmittelbar verändert werden können. In diesem Sinne offenbarte sich uns eine Neuinterpretation der Möglichkeit des Strebens der Moderne nach Flexibilität, und zwar so, dass sie als immanentes Wesen der Architektur zum Tragen kommt.

Der Rücklauf an studentischen Arbeiten reichte von infrastrukturell utopischen Projekten und Megastrukturen bis zu Projekten, die von IKEA auf Bestellung kostengünstig gefertigt werden konnten. Ein Projekt, nämlich der „GINA Teleburb", ähnelte einem großen konstruktivistischen Arrangement aus teleskopartigen Gebilden, die sich vergrößern, drehen oder zusammenziehen können - je nachdem, ob sie eine Verbindung zu Häusern der Nachbarschaft für soziale Zwecke oder aus funktionalen Gründen bilden sollten. Die gleiche Konstruktion konnte sich wie eine mechanische Spinne über überfluteten Flächen erheben, so dass diese nach wie vor brauchbar und nutzbar waren.

Ein anderes Projekt bestand aus einer Ansammlung von turmartigen Häusern, so genannten „Coilhouses", die sich je nach Wetterlage spiralförmig aufdrehen bzw. zusammenziehen konnten. Diese Häuser konnten sich aufblähen, wenn man zu viele Dinge anhäufte oder sie wurden wieder dünn, wenn man sie entsorgte. „Gina Container", ein anderes Haus, nämlich jenes, welches gut zu IKEA passte, bestand aus einer leichten Kastenkonstruktion, die mit Stoffjalousien versehen waren, die sich durch Rotation verschoben und somit die Lichtverhältnisse veränderten.
„Playing with Architecture" bestand aus einer Reihe von polygonalen Clustern aus elastischen Außenhäuten, die über Metallrohrgerüste gespannt waren, die ihre Form und Ausrichtung zur Sonne wie Sonnenblumen änderten. Scheitelöffnungen im Dach ließen sich öffnen oder schließen, je nachdem wie viel Licht oder Luft gewünscht wird. Zusätzlicher Raum konnte auf einfache Weise hinzugefügt oder weggenommen werden, indem man mit seinen Nachbarn verhandelte.

Mit Projekten wie diesen haben die Studenten Programme vorgestellt, die auf einer radikalen Neubetrachtung der Möglichkeiten sozialer Interaktion beruhen: im Rahmen fast aller Projekte wurden soziale Netzwerke gebildet, die den Einzelnen in einer überzeugenden und sich hinsichtlich Eigentum, Privatsphäre, öffentlichem Raum, Auto und kultureller Schnittstelle ständig verändernden Dynamik positionieren. Die meisten Projekte setzten das Ende des Einfamilienhauses voraus, das auf einem undifferenzierten Stück Land steht. Die Studentenprojekte gaben einer kollektiven und inspirierten Nutzung von natürlichen und regenerierten Landschaften den Vorzug und haben mit ihrer Vorstellung eines Zusammenarbeitens und -lebens die Wrightsche Vorstellung von Selbstversorgung in einer Gemeinschaft aus Vielen aktuell wiederbelebt.

Es wurde deutlich, dass GINA eine Philosophie und nicht nur eine technische Anwendung in einer bestimmten Disziplin ist. In Anbetracht dessen fällt die Vorstellung leicht, dass GINA auf andere Designdisziplinen übertragbar ist, zum Beispiel auf Möbel-, Modedesign, Sport oder Konzeptkunst - alles Bereiche, die überzeugende und vielfältige Möglichkeiten bieten, um auf diese Form von Technologie zu reagieren. Wenn Technologie etwas ist, das unser Leben durcheinander bringt, so ist es genauso wahrscheinlich, dass mit ihrer Hilfe auch eine Verbesserung unseres Lebens erreicht werden kann, ob dies die Häuser oder auch die Städte betrifft, in denen wir leben.

In diesem Sinne müssen wir ein besseres Verständnis des Potenzials fortschrittlicher Technologien anstreben, um diese Welten auf ästhetische aber auch performative Weise in die neueste Wiederholung von Form und Funktion zu verwandeln. Was uns im Rahmen dieses Workshops als echte Erkenntnis blieb, war die Tatsache, dass der einzige Weg, die stilistischen Fallen zu umgehen, darin besteht, innovative Technologien als Motor des Designfortschritts einzusetzen. Das Experiment bewirkt Authentizität. Es kennzeichnet dynamische Überschneidungen, wo sich die Stoßrichtung von Technologie, Nachhaltigkeit, Imagination und Design trifft und wo wir selbst als Designer zu Experten werden, wenn es um die Bestimmung der Mittel geht, wie Ideen kommuniziert werden sollen.

www.barkowleibinger.com

GINA suburban housing - playing architecture by Ignazio Gonzalez Galan
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