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Gewissheiten – geschüttelt, nicht gerührt
von Thomas Edelmann | 17.11.2013
Es geht um einen Prozess der Erkenntnis durch und mit Design - Cover von „Theorie des Designs" nebst Autor Michael Erlhoff. Foto © Wilhelm Fink Verlag/ Michael Erlhoff

Das Dilemma vieler Bücher über Design ist, dass sie im Moment ihres Erscheinens ganz aktuell aussehen, um schon bald ungeheuer alt zu wirken. Bücher über Design widmen sich oft aktuellsten Produkten, neuester Grafik und avancierten Unternehmens- oder Materialstrategien. Doch in einer immer stärker beschleunigten Welt, ist die aktuelle Form schnell von gestern; und zwischen Buchdeckeln präsentiert, bald nicht mal mehr ein historisches Zeugnis, sondern nur noch Altpapier. Die Machart der meisten Designbücher setzt auf Momentaufnahmen und Selbstbezüglichkeit, statt auf Einordnung, Erfahrung und verknüpfende Argumentation.

Ein Design, das sich bereitwillig als Vollstrecker von Vorgaben des Marketings versteht, ebenso wie eines, das sich in den Basteleien der „Maker“-Szene selbst genügt, bedarf keiner Theorie. Bestenfalls einer Handlungsanleitung. Die „Theorie des Designs“ von Michael Erlhoff bietet hingegen weder die Rechtfertigung noch die Belehrung einer Praxis, die meint, ohne theoretische Erörterungen auskommen zu können.

Gerüchten über Gestaltung ist zu misstrauen

Das Buch richtet sich nicht so sehr an Praktiker, Kenner oder Akteure der Designszene, sondern an die Öffentlichkeit. Alle, die dem Gerücht misstrauen, Design sei identisch mit Mode oder einer bestimmten Ausprägung von Kunst, die auf Sichtbarkeit und Gefälligkeit abziele, werden dieses Buch mit Gewinn lesen. Voraussetzung ist, dass sie sich auf eine Sprache einlassen, die auf Besonderheiten und Eigenheiten besteht. Die Leser werden weniger durch Fremdworte oder gar Fußnoten aus der Ruhe gebracht – der Text kommt ohne eine einzige Anmerkung aus –, sondern durch einen Gebrauch von Worten und Schreibweisen, die ein wenig von der heute verbreiteten Umgangs- und Schriftsprache abrücken. Wer also ein Bilderbuch oder zumindest ein illustriertes Buch erwartet, der wird enttäuscht. Auch wer sich einen Text, der auf Theorie Bezug nimmt und theoretische Fragestellungen des Designs ausbreitet, nicht ohne Anmerkungen, Fußnoten und einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat vorstellen kann, sollte sich anderen Orts umsehen.

Plädoyer für die Qualität der Oberfläche

Was Michael Erlhoff auf 214 Seiten vorstellt, ist eben keine Anleitung, um besseres Design oder um Design besser zu machen. Jedenfalls nicht in erster Linie. Es geht vielmehr um einen Prozess der Erkenntnis durch und mit Design, um einen veränderten Blick auf die Realitäten.

Michael Erlhoff, der mit einer Arbeit über Raoul Hausmann bei Hans Mayer in Hannover promovierte, war Mitglied des Beirats der Documenta 8, auf der er Design präsentierte. Er war 1987 maßgeblich an der Ausstellung „ulm … die Moral der Gegenstände“ beteiligt, die einen neuen Blick auf die Anfänge, Kontexte und politischen Absichten der Ulmer Hochschule für Gestaltung thematisierte. Von 1987 bis 1990 leitete er den „Rat für Formgebung“ und wurde 1991 Gründungsdekan der „Köln International School of Design“, des von ihm neu ausgerichteten Designstudiengangs an der Fachhochschule Köln. Kürzlich wurde er in Köln emeritiert. Unter nicht ganz freundlichen Umständen, bedenkt man die Tatsache seiner besonderen Verdienste um die Kölner Hochschule, die früh Kritik auf sich zog und zugleich ihren internationalen Ruf begründete.

Mit der „Theorie des Designs“ legt Erlhoff so etwas wie die Summe seines bisherigen Schaffens als Publizist, Organisator, Projektemacher, streitbarer Kopf und Lehrer vor. Viele der Sentenzen und Geschichten kennen Erlhoffs Wegbegleiter und Schüler seit langem. Etwa die vom Museumspublikum, bei dem es schlecht ankomme, „wenn man beispielsweise bei einer Führung durch die Ausstellungen lediglich über die Größe der ausgestellten Bilder oder allein über deren Rahmen redet.“ Was wohl auf eine tatsächliche Begebenheit zurückführt, als Erlhoff während seines Studiums im Museum jobbte und auf die Frage, was hinter den Bildern stecke antwortete: „Die Wand“. Nun ist die Geschichte eingebaut in ein „Plädoyer für die Qualität der Oberfläche“.

Verwirren, kritisieren und mit der Realität verknüpfen

Aber keine Angst: Hier ist kein Regalbieger entstanden, kein schwer zugängliches Opus magnum. Erlhoff entwickelt sehr entspannt eine Sicht auf die Welt, die eben kein in sich ruhendes Lehrgebäude errichten will und die trotz eines fraglos persönlichen Hintergrunds weit mehr ist als eine persönliche Sicht auf die Dinge. Dennoch benennt er die Hauptkapitel nach den Bezeichnungen der Etagen eines traditionellen städtischen Hauses: „Basement“, „Souterrain“, „Parterre“, „Hochparterre“, „Bel Étage“ – sowie unter Auslassung weiterer Stockwerke – der „Mansarde“. Es ist ein lesenswerter, gelassen argumentierender Text, der gleich eingangs daran erinnert, dass „sich Design immer erst im Gebrauch realisiert“, dass es darauf angewiesen sei, dass „Menschen mit den gestalteten Dingen, Zeichen oder auch Konzepten und Prozessen etwas anfangen“, sie mit ihrer „Realität verknüpfen“. Später erfährt man: „Ab und an zu verwirren oder, besser, genauer zu verstehen und demgemäß zu kritisieren, ist eine zentrale Aufgabe von Design und Designforschung.“

Widerständige Wegleitung

Erlhoff nimmt sich der Reihe nach vermeintliche Gewissheiten des Designs vor – seine Beziehung zur Kunst, zum Ingeniösen, zur Kreativität, zur Mode, zum Tod, zur Oberfläche und dem Entwerfen an sich. Er macht die Ursachen einer „infantilen Erotik“ der Touch-Pads plausibel, weist Möglichkeiten der Widerständigkeit von Design auf, das vermeintlich doch dazu dient, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Erlhoff schüttelt die Gewissheiten der Betriebsblinden und bürstet sie gegen den Strich. Er lehnt die neuerdings von Teilen der Szene propagierte „Disziplierung“ des Designs radikal ab. Seine Theorie will keine sicheren Planken einziehen, wo man sich tatsächlich auf schwankendem Untergrund bewegt. Vielmehr gelte es, „Unübersichtlichkeit als Qualität zu begreifen und diese und somit Design als nicht fassbares Element vorzustellen.“ Das führe notwendig zu „Widersprüchen, zu Ungefährem, Unschärfe und potenziellen Verwirrungen“, im „geglückten Fall aber zu Offenheit und Elastizität des Designs – auf keinen Fall jedoch zu einer Disziplin“, denn „Hoffnungsträger, Wegweiser und praktisches Exempel“ sei Design gerade wegen seiner potenziellen Transdisziplinarität.

Seine Designtheorie, lehrt uns Erlhoff und führt es plastisch vor, kann mitunter wie das Radio als „Kino im Kopf“ funktionieren. Seine Texte diktiert der Autor. So könnte man sie sich auch gut als Hörbuch vorstellen. Ebenso gut kann man sie im bequemen Sessel lesen, mit einer Zigarre und bei einem Glas Rotwein. Oder aber mit gesteigerter Aufmerksamkeit auf der Vorderkante eines Stuhls balancierend. So oder so, dieses Buch fordert mit seinen vielfältigen Bezügen zu Kunst, Architektur, Soziologie, Geschichte und vielen anderen Feldern der Erkenntnis zu einem breiteren Verständnis von Design heraus. Es ermutigt uns, ein Design einzufordern, das es so noch nicht gibt, das es aber unbedingt geben sollte.

Internetseite von Michael Erlhoff und Uta Brandes:
www.be-design.info

Michael Erlhoff
Theorie des Designs
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2013, 225 Seiten
34,90 Euro
www.fink.de