Mailand im April 2010: Nicht weniger als vier Modelle des Münchner Designerstudios Neuland feierten auf dem Salone del Mobile ihren internationalen Einstand. Einer der Entwürfe ist die Schrankwand „Reef", produziert von Interlübke, die das Thema Stauraum für das Wohnzimmer neu interpretiert. Während ihre räumlich versetzten Module von außen eine reliefartig gelockerte Vorderfront bilden, ergeben sich im Inneren geschlossene Einheiten mit individuellen Verwendungsmöglichkeiten. „Wir haben Reef von innen nach außen entwickelt, meist läuft es anders herum", erläutert Eva Paster, die zusammen mit Michael Geldmacher vor über zehn Jahren ihr Büro Neuland Industriedesign gegründet hat.
Einen anderen Ansatz fand das Designerduo für den Einbauschrank „K1" von Nils Holger Moormann. Aufbauend auf der Idee zum mehrfach prämierten, überraschend einfachen Wandpaneel „Insert Coin", eine frühere Zusammenarbeit mit dem oberbayerischen Möbelverleger Nils Holger Moormann, entwickelten Eva Paster und Michael Geldmacher einen ohne Werkzeuge montierbaren Schrank. Diesen verbinden Stecksysteme, welche den durch Schlitze destabilisierten Wänden Halt geben. „Technisch das komplexeste unserer Modelle", bemerkt Michael Geldmacher, was man dem Möbel durchaus nicht ansieht. Ebenso selbstverständlich kommen das Metallregal „Fin" für B-line als auch der Stahlrohrstuhl „Elephant" für Kristalia, daher. Seine abstrahierte Linienführung und die gespannte Lederhaut übersetzen wohldosiert die Silhouette des vierbeinigen Dickhäuters - wenn auch ungleich filigraner.
Wie das Konzept von Eva Paster und Michael Geldmacher lautet? Offenheit! „Bei jedem Entwurf fängst du wieder ganz von vorne an. Wie bei einer Tour auf einen Berg, den du noch nicht kennst. Du kriegst zwar mit der Zeit mehr Erfahrung, aber du weißt vorher nie, welche Schwierigkeiten dich auf dem Weg erwarten", sagt Eva Paster. In der schlichten Aussage der Designerin - und Bergsteigerin - schwingt auch die eigentliche Leistung der beiden Designer mit: Konsequent reinen Tisch machen und Dinge mit veränderter Perspektive betrachten und zu Ende denken, anstatt mit trendverblendetem Tunnelblick zu entwerfen. Eine manieristische Attitüde liegt den beiden nicht. Vielmehr begreift das Selbstverständnis des Duos den Designer als Problemlöser und Dienstleister im klassischen Sinne - und steht damit konträr zu den häufig vertretenen Selbstdarstellern oder Zukunftsvisionären der Branche.
Dementsprechend lassen sich die Neuland-Designer auch ungern zu Aussagen über gesellschaftspolitische Prognosen und die passenden Requisiten verführen. „Wir antworten auf die Gegenwart und überprüfen, ob der eine oder andere Alltagsgegenstand eventuell in der Vergangenheit stecken geblieben ist", lautet die Selbsteinschätzung. Trocken geht es dabei nicht zu, denn Entwürfe wie Buchregal „Random" oder Melody" für MDF Italia besitzen neben ihrem ästhetisch-architektonischen Wert auch emotionalen Gehalt, Rhythmik, Fantasie und eine Prise Humor. Was die Fachwelt mit diversen Preisen wie dem iF award sowie Nominierungen für den Compasso d'Oro oder den Designpreis Deutschland, die höchste offizielle deutsche Auszeichnung im Bereich Design, längst anerkannt hat.
Wie das Design, so auch das Auftreten der beiden Münchner: Unprätentiös, unverbraucht, locker und sehr reflektiert, ohne dabei verkopft zu sein. Diese Linie zieht sich seit Beginn durch das Schaffen der Designer, die ihr Büro bereits während ihres Studiums an der Fachhochschule München gegründet hatten. Anfangs entwarf man Produkte aus der Spiele-, Medizintechnik- sowie Outdoor-Branche, seit 2005 steht Möbeldesign im Blickpunkt. Doch nicht nur die anfängliche Durststrecke und die Höhen und Tiefen der Branche bewirken jene authentische Gelassenheit, mit der sie zum Beispiel die Geschichte von „Random" erzählen: „Im ersten Jahr hat das Regal kaum einen Wettbewerber interessiert, erst die sehr guten Verkaufszahlen machten es für die Möbelbranche sexy - leider aber auch imitationswürdig. Und heute wird es als „ästhetisch gelungener Klassiker" bezeichnet", resümieren die beiden Designer, die aktuell an sechs neuen Modellen arbeiten. Wobei Eva Paster sich um Akquise kümmert, Michael um Materialstudien, die Designarbeit ist Teamwork.
Wohin die Reise künftig geht? „Einfach weiter. Es gibt keinen abgesteckten Businessplan. Ganz allgemein sind Ängste und Träume der Gegenwart oft naheliegender als verdinglichte Szenarien der Zukunft", drückt Eva Paster es schlicht und treffend aus. In diesem Sinne arbeitet sie auch mit ihren Studenten - die 38-Jährige unterrichtet ebenso wie ihr Designpartner das Fach Verpackungsdesign an der Fachhochschule München. „Jeder Strich, den man tut, hat eine Aussage. Wir möchten sensibilisieren", sagt sie. Das Gespür für Gestaltung fördern und das Empfinden für Zielgruppen, das liegt dabei im Fokus ihrer Dozententätigkeit. Ebenso: „Weiterzufragen, keine schnellen Antworten akzeptieren", so beschreibt es Michael Geldmacher. Raus aus der Normierung und gewohnte Denkschemata verlassen, heißt das Credo. „Das Unterrichten macht deshalb so viel Spaß, weil es immer wieder Studenten gibt, denen man ansieht, dass man gerade eine Tür in eine andere Welt geöffnet hat". Neuland eben.