Quilts - vielschichtige, dekorativ gestaltete Steppdecken, hergestellt in Heimarbeit oder in professionellen Workshops - sind nicht nur Bettdecken, sondern eine Art persönliche Chronik, Schmelztiegel von Gedanken und Gefühlen. Es erfordert größte Disziplin, das Gesamtkunstwerk in die gewünschte Form zu bringen. Manche Quilts sind überbordend, bis zum Rand angefüllt mit Symbolik, andere sind einfarbig, unaufdringlich und die taktilen Sinne ansprechend. Das Victoria & Albert Museum in London präsentiert die erste große Einzelausstellung zu dieser besonderen Kunst - „Quilts 1700-2010" ist eine Sammlung der Erinnerungen.
Im achtzehnten Jahrhundert wurde für Quilts ornamentales Patchwork verwendet, modische Textilien wie bunter Chintz und Seidensamt kamen daher zum Einsatz. Oft wurden sie zur Geburt eines Kindes angefertigt und innerhalb der Familie weitergegeben. Die Historie der Quilts ist voller Geschichten, Erzählungen, die sich Flicken für Flicken zusammensetzen. Viele Beispiele gemeinschaftlicher Näharbeiten säumen die Geschichte der Quilts aus den Händen adliger Damen.
Billige, maschinell gefertigte, bedruckte Baumwolle drängte im neunzehnten Jahrhundert auf den Markt. In diesem Zusammenhang boten Schneider vorgefertigte Flicken für Quilts an. Im Zeitalter vor dem Fernseher war der Quilt ein lebendiges Medium und spielte eine wichtige Rolle für Macher und Betrachter. Themen wie militärische Siege und patriotische Veranstaltungen, etwa die Truppenparade von George III. im Jahr 1803, wurden gefeiert. Die Herstellung von Patchwork wurde zur beliebten und angesehenen Freizeitgestaltung, und im Zuge der Individualisierung von Herd und Heim grassierte das Patchworkfieber bei den Frauen der Mittelschicht ebenso wie bei den Frauen der Arbeiterklasse.
Es gibt viele ergreifende Geschichten, die sich mit der Herstellung von Quilts beschäftigen, wie jene von Gefängnisinsassen, aus deren einzelnen Flicken jeweils ein persönliches Schicksal spricht. Man stelle sich die Misere der Soldaten vor, die von ihren Offizieren gezwungen wurden, Quilts für die Truppen zu nähen, um sie von Alkohol und Glücksspiel fernzuhalten. Im Victoria & Albert Museum ist auch der Rajah-Quilt ausgestellt, eine Leihgabe der National Gallery of Australia, gefertigt im Jahr 1841 von weiblichen Häftlingen an Bord des Schiffes HMS Rajah, mit dem sie nach Tasmanien verschifft wurden. Auch der Quilt zur Erinnerung an die gefallenen Soldaten im Irakkrieg ist in der Ausstellung zu sehen.
Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Herstellung der Quilts von industriellen Fertigungstechniken überholt, blieb aber als aufwendige Handarbeit mit erfindungsreichen Techniken lebendig. In den Händen zeitgenössischer Textilkünstler repräsentieren Quilts heute noch immer persönliche und kollektive Träume, aber die Herausforderungen sind andere. Welche Geschichte soll erzählt werden? Wie geht man mit den symbolischen Bedeutungsebenen um? Wie können alte handwerkliche Techniken neu eingesetzt werden? Quilts wie „Right to Life" von Grayson Perry aus einem Muster vervielfachter Föten, der Flaggenersatz „ At the End of the Day" von Natasha Kerr oder die Installation „To Meet My Past" von Tracey Emin stehen für die enorme Vielfalt der zeitgenössischen Quilts. Viel leiser kommt das Projekt „Box" von Diana Harrison daher. Sie sammelte weggeworfene Pappkartons in den Straßen und überlegte sich, wie sie daraus einen Quilt herstellen könnte. Die auseinandergefaltete Grundgestalt der Box definierte die Form des Quilts. Die Wellenstruktur der Pappen wurde im Muster aufgenommen. Die Seidenoberfläche unterstreicht das Spiel von Licht und Schatten und erinnert subtil an abgenutzten Karton.
Viele der fünfundsechzig ausgestellten Quilts sind im Besitz des V&A Museums, andere sind Leihgaben der Künstler. Einige historische Quilts stammen aus anderen britischen Museen wie dem Geffrye Museum, dem Ulster Folk and Transport Museum und dem Glasgow Museum. Eindrucksvoll führt die Ausstellung vor Augen, dass Quilts sich seit dreihundert Jahren als Landkarten des menschlichen Lebens lesen lassen, als einzigartige Methode, die Welt zu betrachten durch ein „Prisma", das Ideale und Überzeugungen offenbart. Sie können auch im wörtlichen Sinne Stickmusterkarten sein, die die Leidenschaft für Stickerei und Kartografie nachzeichnen.
Ausstellung „Quilts 1700-2010"
Victoria & Albert Museum, London
20. März bis 4. Juli 2010
Symposium „Quilts 1700-2010: Hidden Histories, Untold Stories"
Lecture Theatre, London
11. bis 12. Juni 2010