Die Belgier waren die ersten. 1907 wurde in den Giardini Pubblici ihr Länderpavillon eingeweiht und für eine national kuratierte Kunstausstellung als Erweiterung der bereits seit 1895 stattfindenden „Esposizione Internazionale d’Arte della Città di Venezia“ genutzt. Damit war der Weg und das Wachstum dieser Veranstaltung hin zur internationalen Kunst-Biennale von Venedig eröffnet, die heute alle zwei Jahre durch die Lagunenstadt tobt. Seit 1980 gibt es eine eigene Ausgabe für die Architektur, die sich jeweils mit der Kunstbiennale abwechselt, und die seit den 1990er-Jahren ebenfalls die Länderpavillons in den Giardini bespielt.
Unter den 28 Länderpavillons, die seit 1907 in den Giardini gebaut wurden, gehört der Deutsche Pavillon zu den historisch und architektonisch interessantesten. Bei keinem anderen Bauwerk in den Giardini sind die Wechselfälle des 20. Jahrhunderts so deutlich abgebildet wie bei dem 1909 zunächst als Bayerischer Pavillon fertig gestellten Haus. Für dessen Errichtung bestimmte die Stadt Venedig einen ortsansässigen beamteten Architekten, Daniele Donghi, „der ein neoklassizistisches Gebäude im Stil des späten 19. Jahrhunderts entwarf“, wie Robert Fleck in seinem Standardwerk „Die Biennale von Venedig“ schreibt. Schon 1912 erfolgte die Umbenennung des Bayrischen in den Deutschen Pavillon, den Padiglione della Germania, dessen wichtigstes neues Gestaltungselement ein seltsam antikisierender Dekorationsfries war. Deutlich stärker umgestaltet wurde das Gebäude 1938, als der Architekt Ernst Haiger im Auftrag Adolf Hitlers den Pavillon im neuklassizistischen Diktatoren-Stil in eine Dependance des ein Jahr zuvor eingeweihten „Hauses der Deutschen Kunst“ in München transformierte. Bis heute ist das Gebäude weitgehend so erhalten geblieben, die wenigen Umbauten seit dem Zweiten Weltkrieg beschränkten sich auf innenräumliche Veränderungen: So sind weder die weißen Tuchdecken noch die Zwischenwände vor der Apsis erhalten geblieben, die Außenputzfarbe wechselte chamäleonartig von gelb (1909) zu grau (1960er Jahre), zurück zu gelb und schließlich wieder zurück zu einem hellen Grau.
Foto © Gabriele Basilico
Der erste „Länderauftritt“ Deutschlands war 1991 bereits ein Auftritt des gerade erst wiedervereinigten Deutschlands. Die deutsche Botschaft in Rom hatte diesen gesamtdeutschen Auftritt eigentlich schon abgesagt, da erfuhr der Leiter des Deutschen Architekturmuseums, Vittorio Lampugnani, davon – und stellte in nur drei Monaten eine Doppelausstellung auf die Beine. Der eine Teil war eine direkt aus dem DAM nach Venedig gebrachte Tessenow-Ausstellung, während ein zweiter, vom BDA organisierter Teil mit dem Titel „Vielfalt der Ansätze: Deutsche Architektur der Gegenwart“, eine Übersicht über zeitgenössische Architektur in Deutschland geben sollte. Dem Spiegel war bei seiner kurzen Ausstellungsbesprechung unter dem Titel „Braves aus Deutschland“ eine gewisse Erleichterung deutlich anzumerken: „Entwarnung: Der deutsche Beitrag zur Architektur-Biennale, [...] ist nicht großdeutsch, sondern beruhigend harmlos geraten. Elf wenig bekannte Architektur-Büros zeigen Projekte von braver, aber kaum bravouröser Eleganz – darunter eine Frankfurter Kindertagesstätte, ein Mainzer ZDF-Büro und eine Kölner Druckerei. Lediglich ein Ost-Berliner Team kämpft für die neuen Bundesländer: mit ‚Potsdam-Konzepten’. Internationalen Rang hat allein das Gastspiel der vorher in Frankfurt präsentierten Ausstellung zum Werk des Gartenstadt-Gurus Heinrich Tessenow.“ Lampugnani selbst bezeichnete die eilige Auswahl als einen „Kompromiss“, aber es war die erste Architekturausstellung im deutschen Pavillon in Venedig – ein Gebäude, an dessen nationalsozialistischer Formensprache sich die deutsche Architektenschaft sowie die Kuratoren der Architektur- und der Kunstbiennale immer wieder stoßen sollten.
Aus politischen Gründen dauerte es fünf Jahre bis zur nächsten Architekturbiennale und damit auch zur nächsten Ausstellung im Deutschen Pavillon: Kunibert Wachten wurde 1996 Generalkommissar für „Wandel ohne Wachstum?“ – eine Ausstellung mit der die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet gezeigt wurde. Danach folgten erneut vier Jahre Pause, bis ein Team um Thomas Herzog und Hans Stimmann 2000 die „StadtWende“ zeigte, im Großen und Ganzen eine Präsentation des Gesamt-Berliner Planwerks Innenstadt und der Stimmanschen „Kritischen Rekonstruktion“ – und vielleicht auch rückblickend einer der, wenig verwunderlich, umstrittensten Beiträge, die in Venedig gezeigt wurden. Was 1991 so „beruhigend harmlos“ mit Tessenow und einer recht disparaten Auswahl architektonischer Einzelarbeiten begonnen hatte, wuchs seit 2000 zu einer Parade fast aller einflussreichen Strömungen des Architektur- und Urbanismusdiskurses in Deutschland: Dem „Steinernen Berlin“ folgte Hilde Léons „NEXTliegend“ und dann das Thema der „Zwischenstadt“ – in Francesca Fergusons Lesart mit ihrer „Deutschlandschaft“ (2004). „Updating Germany“ (von Friedrich von Borries und Matthias Böttger, 2008) verhandelte Zukunftsentwürfe aus vielen Disziplinen und stellte damit auch die Grenzen der Architektur in Frage. Muck Petzets „Reduce, Reuse, Recycle“ stellte hingegen den architektonischen, aber auch den politischen und ökonomischen Umgang mit vorhandener Bausubstanz in den Mittelpunkt. Auch ein einzelnes Gebäude wurde mal zum Thema auserkoren: Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis („Bungalow Germania“, 2014) suchten in der Konfrontation des Bonner Kanzlerbungalows mit dem Deutschen Pavillon in Venedig die politische Symbolik vor allem Westdeutschlands, wofür sie eine 1:1-Replik des Bonner Bungalows in den venezianischen Pavillon einbauten.
Ein vergleichender Blick auf die Abfolge der Pavillon-Themen lässt dabei vor allem eine Tendenz ins Auge springen: Seit 2002, beginnend mit Hilde Léons Beitrag „NEXTliegend“, haben die deutschen Beiträge immer deutlicheren Projekt- und Installationscharakter angenommen. Es handelt sich bei ihnen um Ausstellungen, die keine Übernahmen von anderen Ausstellungsorten darstellen, sondern um Maßfertigungen eigens für Venedig. Dieser Aspekt sollte in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. Denn damit gilt, dass im Rahmen der Architekturbiennalen der Deutsche Pavillon Hauptschauplatz seiner eigenen Wirklichkeit geworden ist. Fast scheint es, als hätte die Lagunenstadt mit ihrem Klima des Exterritorialen und Heterotopischen eine besondere Anziehungskraft für große Erzählungen, die sich in den Giardini noch einmal ausdrucksstark Raum verschaffen wollen.
Foto © Jan Bitter
Mit der Einbeziehung der Länderpavillons in die Architekturbiennale seit 1991 ist der Deutsche Pavillon zum einzig exterritorialen unter den zentralen Orten des Architektur- und Städtebaudiskurses in Deutschland geworden. Und zu einem der aufregendsten. Aufgrund seiner eigenen politischen Symbolik ist er immer wieder selbst zum Objekt einer mal mehr, mal weniger aufgeregten Debatte darüber geworden, ob denn dieser faschistische Pavillon überhaupt noch das heutige Deutschland repräsentieren könne – oder ob er nicht besser ganz abgerissen gehöre. Wenn man diese gelegentlich aufflackernde Debatte hinzurechnet, dann sind wirklich fast alle wichtigen Streitthemen der deutschen Architekturdebatte in den letzten zweieinhalb Jahrzehnte in diesem Pavillon repräsentiert worden. Gerade „Deutschlandschaft“ (2004), „Convertible City“ (2006), „Updating Germany“ (2008) und „Reduce, Reuse, Recycle“ (2012) haben in ihrem Anspruch, gleichzeitig eine große, thematische Auswahl aktueller Projekte zu zeigen und dabei aber auch ein in Deutschland gerade scharf diskutiertes Thema auf der internationalen Bühne Venedigs zu präsentieren, versucht, große gesellschaftliche Erzählungen in eine Architekturausstellung zu gießen: den gestalterischen Umgang mit unseren alltäglichen Vorort-Welten, die sich ständig verändernde Stadt als Architekturaufgabe, die Gestaltung der Zukunft oder unseren Umgang mit Bestehendem und Vorhandenem.
Dass die Existenz eines wiedervereinigten Deutschland ungefähr mit der Bespielung des Gebäudes im Rahmen der Architekturbiennalen zusammen fällt, macht das Haus und seine Nutzung zum perfekten Ort, um den Architektur- und Städtebaudiskurses in Deutschland seit der Wende zu rekapitulieren. Man darf gespannt sein, was im Deutschen Pavillon noch alles zu sehen sein wird – auch und gerade in besserer Kenntnis dessen, was war.
Germania, Venezia.
Die deutschen Beiträge zur Architekturbiennale Venedig seit 1991: Eine Oral History
hrsg. von Stephan Trüby und Verena Hartbaum
472 Seiten, ca. 150 Abbildungen
Wilhelm Fink Verlag, München 2016
68 Euro
Foto © Florian Braun