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Chancen in der Krise
Franziska von Schumann: Herr Tidd, was bedeutet für Sie "New Work"?
Philip Tidd: Die Idee des "New Work" ist im Grunde nicht neu. Die Strömung gibt es seit über 25 Jahren, begründet von Frithjof Bergmann. Der aktuelle Unterschied ist, dass wir nach der Pandemie nicht zu unserer früheren Arbeitsweise zurückkehren können. Wir brauchen eine neue Denkweise, quasi ein "New New Work". Vor der Pandemie waren Unternehmen, die Homeoffice und flexible Arbeitszeiten boten die Ausnahme, jetzt sind sie die Regel.
Woran lag es Ihrer Meinung nach, dass sich vor der Pandemie das Homeoffice in den Berufsfeldern, in denen es möglich gewesen wäre, nicht durchgesetzt hat?
Philip Tidd: An mangelndem Vertrauen seitens des Vorstands den Mitarbeitern gegenüber. Die Überzeugung, dass Arbeitnehmer im Homeoffice nicht produktiv sind, war aus den Köpfen vieler Vorstände nicht herauszubekommen. Mit der Pandemie wurde das Homeoffice für viele unumgänglich. Selbst in Ländern mit einer ausgeprägten Führungskultur wie China, in denen das Konzept der Heimarbeit bis dato undenkbar gewesen wäre. Diese Barriere ist gefallen. Der Videochat, auf den wir neben Email und Telefon für die Kommunikation viele Monate angewiesen waren und es teils noch sind, hat zudem die Arbeit humanisiert. Er hat die Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einer menschlichen Ebene verbunden, da sie gegenseitig einen Einblick bekommen haben in das persönliche Umfeld und mit ähnlichen Herausforderungen zurechtkommen mussten, wie Familie und Homeoffice parallel zu händeln.
Wo sehen Sie die Vorteile des Homeoffices? Was hat die Pandemie verändert?
Philip Tidd: Viele Menschen wollen nicht zurück in das reguläre Pre-Covid Büro, da sie die Vorteile des ortsunabhängigen Arbeitens kennengelernt haben. Gerade in Deutschland sind Büros sehr funktional und wurden meist nicht mit dem Anspruch gestaltet ein Ort der Freude zu sein. Unsere Forschungen haben ergeben, dass es für die Produktivität ideal wäre, im Schnitt 3,5 Tage pro Woche im Büro zu arbeiten. Den Rest der Arbeitszeit sollte man individuell gestalten können. Die meisten Beschwerden bezüglich des Open Plan Office beziehen sich auf Störungen durch Lärm und Unterbrechungen durch Ansprache von Kollegen. Manche Aufgaben brauchen mehr Konzentration als andere, da bietet sich die Arbeit im Homeoffice an. Es wäre gut, wenn man Arbeitnehmern die Wahl lassen würde. Flexibilität war vor der Pandemie an vielen Arbeitsplätzen ein Problem, jetzt ist es eine Chance. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert mit diesem Freiraum leichter. Unsere Studie "Die Deutsche Büroarbeitswelt – Untersuchung über das Arbeitsverhalten in Deutschland 2019" hat unter anderem ergeben, dass die Arbeitsumgebungen in Deutschland einen erheblichen Bedarf an Veränderung aufweisen. Der Wechsel aus offenen, arbeitsgemeinschaftlichen Bereichen mit Rückzugsmöglichkeiten ist gefragt. Die Arbeitnehmer möchten sich bei der Arbeit wohlfühlen, da spielt die Gestaltung des Büros eine tragende Rolle. Wer sich wohlfühlt, ist produktiver. Das sich die Qualität und Konfiguration des Arbeitsplatzes direkt auf die Leistung der Mitarbeiter und die Innovation im Unternehmen auswirkt, ist eine wichtige Erkenntnis der Studien zu Arbeitsumgebungen von Gensler.
Sehen Sie im Trend zum Homeoffice auch Gefahren?
Philip Tidd: Die Kehrseite ist, dass Menschen überproduktiv sind, wenn sie von zu Hause arbeiten, weil Ihnen die bisherige Struktur fehlt. Die Videomeetings und Anrufe können auch mal überhandnehmen. Das hat zur Folge, dass man gestresst ist, den ganzen Tag auf einen Screen starrt und zu seiner eigentlichen Arbeit erst abends kommt, wenn die reguläre Arbeitszeit bereits vorbei ist. Dazu besteht die Gefahr, dass das Wohlbefinden und die Gesundheit langfristig auf der Strecke bleibt, wenn man sich bei der Arbeit im Homeoffice kaum vom Fleck bewegt und nicht auf eine ausgewogene Ernährung achtet.
Braucht es also ein hybrides Model und hat das reguläre Büro ausgedient?
Philip Tidd: Nein. Wir brauchen nur eine neue Version des alten Modells. Wenn man sich die Geschichte der Bürogestaltung anschaut, hat sie diese in den Grundzügen nicht maßgeblich verändert. Auf das Büro ganz verzichten würde ich schon alleine deswegen nicht, da es eine soziale Funktion erfüllt. Sich untereinander persönlich auszutauschen ist bedeutend für das Vertrauen und für die Zusammenarbeit. Die Qualität von Diskussionen ist besser, wenn man sich persönlich kennt. Für Unternehmen ist das Büro zudem als physischer Raum wichtig, um eine Kultur zu schaffen. Wir sollten also Orte für die Zusammenarbeit, für Aktivitäten und Events schaffen. Diese werden aber wohl weniger Platz brauchen als bisher.
Das wird ja dann auch Einfluss auf den Immobilienmarkt haben. Werden wir in Zukunft in den Städten weniger Fläche für Büros benötigen?
Philip Tidd: Zu diesem Zeitpunkt ist das schwierig zu sagen. Der Bedarf nach traditionellen Büroräumen mag zwar zurückgehen, aber auf der anderen Seite kann die Nachfrage nach mehr Varianz von Büroräumen steigen, wie einem "Hub and Spoke"-Modell. Wenn wir vermehrt zu einem "verteilten Arbeitsmodell" übergehen, könnte dies dann interessante Möglichkeiten für regionale, lokale Arbeitsräume in unseren Dörfern schaffen, so dass die Mitarbeiter, die am Rande einer größeren Stadt leben, nicht mehr jeden Tag zum Büro pendeln müssen. Vor der Pandemie lag der Schwerpunkt auf den Großstädten. Wenn wir flexibler arbeiten können, werden wir vielleicht anfangen, uns nach attraktiveren Arbeitsorten umzusehen - näher an der Natur oder am Wohnort. Ich denke, es wird eine Kombination aus beidem sein, nicht das eine oder das andere. Die Welt nach der Pandemie wird mehr "vermischt" und weniger "binär" sein.
Wird es in Ihren Augen auch eine Auswirkung auf die Architektur von Bürogebäuden geben?
Philip Tidd: Nachhaltige Bürogebäude, die zudem niedriger als bisher sind und deren Fassade weit geöffnet werden können, fände ich interessant. Der Lockdown hat uns gezeigt, wie sehr wir die Verbindung zur Natur brauchen und wie stark sich die Situation der Umwelt verbessert, wenn wir unsere Gewohnheiten ändern, Technologien besser nutzen und weniger reisen.
Für Architekten und Designer sehen Sie also Chancen.
Philip Tidd: Ich denke, die Chancen liegen darin, den Büroraum neu zu erfinden, organischer, flexibler. Hybride Besprechungen alleine funktionieren nicht auf lange Sicht. Wenn man sich mit dem Unternehmen verbunden fühlen will, braucht man eine andere Art von Raum. Dazu kommen die neuen Anforderungen hinsichtlich Luftreinigung und Hygiene. Wir brauchen also auch neue Ansätze in der Technik und für das Interieur. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, um etwas Neues zu schaffen.