Gendersensibel entwerfen
Warum kleiden sich Männer heute in jenen Blautönen, die Jahrhunderte lang auf bildlichen Darstellung allein der Jungfrau Maria vorbehalten waren? Weshalb werden Mädchen bereits kurz nach der Geburt (und dann möglichst ein Leben lang) mit Rosatönen in Verbindung gebracht, die früher als „kleines Rot“, ausschließlich Jungen zugedacht wurden?
Die Beispiele zeigen, dass Konventionen, erst recht, wenn sie sich aufs Geschlecht – Englisch „gender“ – beziehen, von Menschen gemacht und somit veränderbar sind. Es sind soziale Verabredungen, nicht mehr und nicht weniger. Ein Trost angesichts etwa der neuesten Barbie-Generation, die sich nicht darauf beschränkt, tradierte Codes in Sachen Farbe und Ästhetik an eine neue Generation weiterzugeben. Man muss so etwas nicht kaufen. Das Modell „Hello Barbie“ soll künftig intensiv mit seiner kindlichen Besitzerin kommunizieren. Da Papa und Mama oft keine Zeit haben, übernimmt das Plastikspielzeug Alltagspalaver mit den Töchtern der Zukunft. Die Antworten der Kinder werden, Edward Snowden lässt grüßen, per WLAN an das Internet-Unternehmen „Toytalk“ versandt, dort gespeichert und später – zu welchem Zweck auch immer – ausgewertet. Das Mädchen-Zimmer der Zukunft dürfte also nicht allein beherrscht sein von der Farbe Rosa, sondern überwacht von Marketingstrategen der Spielzeugindustrie.
Relevanz und Farbe
Die Ausstellung „Blue + Pink >>> Rethink!“, die kürzlich bei designxport in Hamburg eröffnet wurde, thematisiert „Klischees und Perspektiven von Gender im Design“. Und dies beileibe nicht nur anhand aufgezwungener Farben, die später als die eigenen erinnert und an künftige Generationen weitergeben werden. Wenn alles gestaltet ist, dann sind es erst recht unsere geschlechterspezifischen Zuschreibungen. „Niemand bestreitet heutzutage noch, dass Design substanziell unser Leben prägt“, sagt Uta Brandes, seit 1995 Professorin für Gender Design an der Köln International School of Design, „aber die Relevanz von Gender in der Gestaltung und im Gebrauch wird immer noch unterschätzt oder gar nicht wahrgenommen. Diese Ignoranz schadet allen Beteiligten, die mit Design zu tun haben.“
Für die Ausstellung hat das „international Gender Design Network“ (iGDN), das sich 2013 in New York gründete, bekannte Designerinnen und Designer ebenso wie Vermittlerinnen aus der Szene eingeladen, persönliche Gegenüberstellungen von Top oder Flop vorzunehmen. Alessandro Mendini und Britta Pukall beteiligten sich, Matali Crasset, Alexa Lixfeld, Anthony Dunne, Douglas Young, Doreen Toutikian, Mateo Kries und viele andere. Neben dem aufdringlichen Negativ-Beispiel sollten sie jeweils eines vorschlagen, das ihrer Auffassung nach gendersensibel gestaltet ist. Da vergleicht Mendini den transparenten Kunststoff-Stuhl „La Marie“, den er lobend hervorhebt, mit der „Gun Lamp“, die er ablehnt, beide entworfen von Philippe Starck. Virgile Thévoz aus London empfindet den Bürostuhl „Lei“, speziell für Frauen entworfen von der schwedischen Designerin Monika Förster, als Flop. Wer gendersensibles Entwerfen für den Versuch hält, langweilige Neutralität einzufordern, die alle gleichmacht, wird durch die Beispiele der Ausstellung eines besseren belehrt. Mag der Versuch, aus den spezifischen Knopfleisten von Männer- und Frauenhemden als Lösung das T-Shirt abzuleiten noch ein wenig ökonomistisch daherkommen, ist Britta Pukalls Entwurf einer attraktiven Crossover-Wäsche für Frauen, die im Alltag, bei Freizeit und Sport ebenso getragen werden kann wie während Schwangerschaft und Stillzeit, eine angenehme Alternative zu bestehender Umstandswäsche in neutralem blassbeige.
Jenseits blauer oder rosa Schleifchen
Dabei geht es längst nicht nur um Produkte, die am Körper getragen werden. Weshalb sind etwa auf amerikanischen Dollarscheinen bis heute
ausschließlich ehemalige Staatsmänner abgebildet? Ein Alternativ-Entwurf verewigt bekannte Amerikanerinnen auf Geldstücken und Banknoten.
Kunihiko Nakagawa sieht die japanischen „Woman Only“-Wagons der Tokioter U-Bahn als ambivalent an. Zwar bieten sie Schutz vor alltäglichen
Übergriffen von Grabschern im Gedränge der Rush Hour, führen zugleich aber zu einer merkwürdigen Segregation, die an vormoderne Zeiten
erinnert und Probleme nicht löst, sondern verdrängt. Der Designer Marco Piva kritisiert den italienischen Brauch, blaue oder rosa Schleifchen an
die Wohnungstür zu hängen, um die Geburt von Mädchen oder Jungen anzukündigen. Bewusst gendersensibel, für Frauen und Männer, sei seine
Glasschalterserie „VDA“ gestaltet.
Ja, hier werden gelegentlich Äpfel und Birnen verglichen. Trotzdem kann das Ergebnis sich sehen lassen. Mancher Entwurf bekommt vor dem
Gegenbild neues Gewicht. Etwa Puppen, von Schulkindern in Sri Lanka gezeichnet und von Frauen einer Stiftung dort zusammengenäht, hat die
Hamburger Designerin Alexa Lixfeld als Projekt entwickelt und begleitet. Im kleinen Geschenkartikel-Laden von designxport kann man die
Baumwoll-Puppen „Me and my doll“ kaufen. Vom Erlös geht die Hälfte an die Stiftung, der die Produzentinnen angehören. Dass die Kinder in Sri
Lanka keine Barbie-Püppchen zeichneten, sondern abwechslungsreiche, schräge Gestalten, gibt den Figuren einen besonderen Reiz.
Streit um Sensibilität
Höchst anregend war der nachmittägliche „Gendertalk“ zur Eröffnung, moderiert von Uta Brandes und der Gastgeberin, Babette Peters. Daran
nahmen teil: Tanja Godlewsky, Designerin aus Köln und Gestalterin der Ausstellung; die Hamburger Designer Christian Schüten und Björn Welzel,
der zugleich als Milieuforscher und Berater tätig ist; und die Kulturtheoretikerin Gesa Ziemer, Professorin an der HafenCity-Universität. „Wie wäre etwas geschlechtersensibel gestaltet, das keinen Klischees von männlich und weiblich folgt?“, formulierte Uta Brandes. Diese Frage wurde zum Leitthema der Diskussion, die dennoch das merkwürdige Verlangen nach eben solchen Klischees und Produkten, die sie bedienen, nicht aus dem Blick verlor. Dafür sorgten die Gestalter Godlewsky und Schüten, die auf Auftragskonstellationen und Arbeitsrealitäten verwiesen, nicht als Ausrede, sondern als Ansatzpunkt für Veränderungen. Zugleich verwiesen beide auf stringente Vorgehensweisen. „Warum machen Designer solche Dinge?“, fragte Gesa Ziemer. „Meinen sie, Menschen brauchen so etwas? Oder folgen sie der Vorstellung von einer Gesellschaft, die so längst nicht mehr existiert? Björn Welzel berichtete aus seinen Studien zum Milieu der Designer, das sich seit den 1990er Jahren stark verändert habe. Der Beruf des Designers sei zuvor sehr viel idealistischer geprägt und von anderen Leuten ausgeübt worden. Zuvor hätten Gestalter eher ein experimentelles Selbstverständnis gehabt, eine Agenda, die auf Verbesserung der gesamten sozialen Umwelt abzielte. Seit den 1980er Jahren habe sich Design zu
einem Trendwort entwickelt. Der Design- und Modebegriff habe einen Lifestyle-Charakter bekommen und sei für Leute interessant geworden, die
sich zuvor damit nicht befasst haben. „Das Kulturkapital der Designer ist in den letzten Jahren zurückgegangen“, konstatierte Welzel, „sie
sind nicht mehr die Speerspitze der Gesellschaft.“ Diskutiert wurde über die Rolle des Marketings; auch Gender-Marketing versucht bereits
Vermarktungsfelder abzustecken. Doch nicht um diese Marktdimension, sondern um eine neue, offene Zugangsweise des Designs ging es den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Diskussion, um ein Design, das auf Gender-Zuschreibung oder platte Vereinnahmung verzichtet. „Man kann
etwas über Materialien und Objekte verändern“, rief Gesa Ziemer aus. Und: „Design hat eine solche Macht“, was als optimistisches Schlusswort
zu verstehen war.
Ein wichtiger Ort der vertieften Debatte
Seit seiner Eröffnung im Juli 2014 hat Babette Peters bei designxport bereits 11 Ausstellungen in ihrem neuartigen Forum gezeigt, dem wohl
derzeit wichtigsten Ort der vertieften und kontroversen Debatte über Design in Deutschland. Grafik, Mode und Werbung haben hier ebenso Platz
wie Produkt- und Möbeldesign. Es fanden Klausurtagungen statt und es waren thematische und biografische Ausstellungen zu sehen. Besonders zur
Hochform läuft designxport immer dann auf, wenn es zur Spielstätte für Debatten im kammermusikalischen Format wird. Wechselnde Szenen finden
sich hier ein, was deutlich macht, wie sehr die gestalterischen Berufe bereits ausdifferenziert sind. In den Elbarkaden, mitten im neuen
Hamburger Stadtteil HafenCity gelegen, hat Peters einen „Umschlagort für Ideen und Projekte“ geschaffen. Jahrzehntelang hat sie dafür unter
wechselnden politischen Verhältnissen in Hamburg dafür Vorarbeiten geleistet, unterstützt von einem kleinen Verein von Mitstreiterinnen und
Mitstreitern, die ihre Vision teilen.
Die Räumlichkeiten von designxport sind in einem langestreckten Neubau untergebracht, der auch Greenpeace Deutschland und die deutsche
Ausstellung von iF Design beherbergt. Die Flächen wurden zu einer variablen Bühnenarchitektur ausgestaltet, die für Flachware – meist
selbsthaftende Plakate und Informationsposter – gleichermaßen geeignet ist wie für dreidimensionale Objekte und multimediale Präsentationen.
Zudem umfasst designexport jeweils eine kompakte Arbeits- und eine Materialbibliothek, ein Café und einen Shop mit Produkten und
Mitbringseln, die von Hamburger Designern gestaltet oder begleitet wurden. Die Architekten Stephen Williams Associates, die auch das
benachbarte Hamburger Hotel „25hours“ gestaltet haben, schufen hier mit nachhaltigen Materialien einen einzigartigen Raum. Das Parkett aus
schnell wachsendem Bambus etwa soll wie in einem Musikclub mit jedem Auftritt mehr Patina bekommen.