Rendezvous mit der Automobilkultur
Unser Erleben besitzt eine eigene Zeitlichkeit. Anders als unsere Lebenszeit, kennt es nicht nur eine Richtung – die Zeiten mischen sich. Das zeigt sich etwa dann, wenn Dinge, die einmal mitten im Zentrum welthistorischer Entwicklungen gestanden haben, plötzlich an Spannkraft und Bedeutung verlieren – sei es durch Erfindungen, wissenschaftliche Erkenntnisse, das Versiegen von Ressourcen oder schlicht dadurch, dass sie gesellschaftlich plötzlich anders wahrgenommen und bewertet werden. Ein gängiges Beispiel dafür ist die bildende Kunst, der schon Georg Friedrich Hegel bescheinigt hat, sie sei nach „ihrer höchsten Bestimmung ein Vergangenes“. Die Pointe dabei ist: Ein solcher Wechsel der Perspektive bedeutet keineswegs das Ende dieser Dinge. Sie verschwinden nicht, ihr Status aber verändert sich radikal: Sie werden zu Objekten der Erinnerung. Womöglich steckt darin eine beunruhigende historische Gesetzmäßigkeit, deren Gültigkeit der Kunstmarkt, aber auch die Museen, jeden Tag von neuem beweisen. Das Automobil scheint einen solchen Status-Wechsel gerade durchzumachen. Vieles, nicht nur Klimawandel, Feinstaubwerte, Dieselskandal und intermodale Mobilität sprechen dafür. Das Kultische am Automobil verschwindet deshalb nicht sofort, es wird nur nostalgisch.
Basel, wo sonst?
Die Art Basel gilt als die wichtigste Kunstmesse der Welt und hat sich mit ihren Filiationen in Miami Beach und Hongkong erfolgreich globalisiert. Mit der Design Miami/Basel wurde, wenn auch bescheidener, auf den Boom im Bereich von Vintage-Möbeln reagiert. Auch bei der Baselworld stehen mit Uhren und Schmuck Luxusgüter im Zentrum.
Da lag es – historische Automobile sind längst zu begehrten Sammelobjekten und einer lukrativen Wertanlage geworden – gleichsam auf der Hand, die Aktivitäten auf dieses Marktsegment auszudehnen. „Grand Basel“ nennt sich das neue Format, das soeben von der MCH Group, einem in Basel ansässigen Live-Marketing-Unternehmen, zu dem die Messegesellschaften in Basel, Lausanne und Zürich gehören, vorgestellt wurde. Am 3. September 2018 soll es seine Premiere feiern. Weitere Grand Basel-Ableger in Miami und Hong Kong sind geplant.
Das neue Format tritt ambitioniert auf, das war bei seiner Präsentation nicht zu übersehen: Die „Grand Basel“ möchte etwas ganz Anderes als nur eine weitere Automobil- oder Sammlermesse sein. Weder Concour d’Élégance noch Goodwood, und schon gar keine zweite IAA. Entstehen soll nicht weniger als „der erste Salon für die bedeutendsten und wertvollsten Automobile der Welt – historisch, zeitgenössisch und zukunftsweisend“. Modelle aus der aktuellen Massenproduktion bleiben außen vor. Präsentiert werden sollen stattdessen „Automobile im kulturellen Kontext von Design, Architektur und Kunst“.
Rendezvous im Morgengrauen
Als wir die noch weitgehend in Dunkelheit gehüllte Basler Messehalle betreten, in der das Konzept der Gand Basel vorgestellt wird, zieht es unseren Blick sofort in die Tiefe des Raums: Auf einer Leinwand läuft Claude Lelouchs Kurzfilm „C’était un rendez-vous“ aus dem Jahr 1976. Sofort ist man gebannt. Ein Auto rast, von keiner roten Ampel aufzuhalten, in halsbrecherischem Tempo und begleitet vom (später hinzugefügten) röhrenden Sound eines Ferrari-Motors im Morgengrauen durch die Straßen von Paris – von der Porte Dauphine bis hinauf zu Sacré-Cœur, wo der Fahrer aussteigt, auf eine ihm entgegenkommende Frau zuläuft und beide sich umarmen. Weniger als acht Minuten dauert die atemberaubende Fahrt, die ohne Schnitt in einer einzigen Sequenz gedreht wurde.
Gibt Lelouchs Kurzfilm womöglich einen Vorgeschmack auf den kulturellen Kontext, in den die automobile Kultur bei der Gand Basel gestellt werden soll? Wird es mehr oder weniger ein Rendezvous mit (zum Teil verkäuflichen) Classic Cars und einigen ausgewählten Concept Cars werden, oder auch ein Stelldichein mit der Gefahr, dem Rausch der Geschwindigkeit und dem Begehren, wie es Lelouch als Akt der Überschreitung inszeniert hat?
Traumwagen bestaunen
Die Trennung zwischen Vergangenem und Zukünftigen in einer Gegenwart aufheben zu wollen, in der vieles sich ineinander verknotet, erscheint prinzipiell richtig. Die Grand Basel aber soll ein Marktplatz sein, und ihr bisheriges Konzept weist schon aus ökonomischem Verstand weniger in die Richtung einer Auseinandersetzung, die unser halbnomadisches Leben mitsamt seinen heroischen Maschinen grundsätzlich infrage stellen würde. Die Aficionados werden es zweifellos lieben, ihre unbezahlbaren Traumwagen bestaunen zu können, will die Grand Basel doch bewusst „internationale Kenner, Experten und Sammler mit höchsten Ansprüchen“ ansprechen, all jene, „die sich für automobile Ästhetik, technische Virtuosität, Kunst und Kultur interessieren“.
In Sachen Autodesign bot die Vorpremiere denn auch einen Vorgeschmack auf das Kommende, der das Herz eines jeden Auto- und Designliebhabers höherschlagen ließ. Nicht nur Automobilsammler und berühmte Designer waren zugegen, gezeigt wurden auch vier außergewöhnliche Automobile, die zum Teil noch nie öffentlich zu sehen waren.
Giorgetto Giugiaro hatte seinen legendären „Chevrolet Corvair Testudo“ von 1963 mitgebracht. Andrea Zagato sprach über eine Hommage an die legendäre Marke Iso Rivolta an und lüftete teilweise das Abdecktuch über seinem „Zagato Iso Rivolta Vision Gran Turismo Concept“, das ab Oktober erstmals virtuell mit der Sony Playstation erfahrbar sein wird und in fahrbarem Zustand zu einem der Highlights der Grand Basel 2018 werden soll. Der Modedesigner Rem D. Koolhaas zeigte das zweite, in einer limitierten Auflage hergestellte Exemplar seines „Lo Res Car“, bei dem er das polygonale Design eines Lamborghini Countach in bewusst „niedriger Auflösung“ auf ein Minimum reduziert hat.
Die Stadt und das Auto
Wie reizvoll, aber auch schwierig es sein wird, die komplexen Verbindungen zwischen Automobilkultur, Stadtplanung und Architektur im Rahmen einer Messe auszuloten, konnte man am Beispiel des „Avions Voisin C25 Aérodyne“ von 1935 beobachten, den René Rey von der Fondation Hervé mitgebracht hatte. Avions Voisin war nicht nur die Lieblingsmarke Le Corbusiers, sein radikaler „Plan Voisin“, der den Abriss großer Teile des alten Pariser Zentrums am rechten Ufer der Seine vorsah und in einer nach Funktionen organisierten Stadt die Bedeutung des Individualverkehrs hervorhob, wurde auch von Gabriel Voisin finanziert. Will man den zeitgenössischen Rahmen einer automobilen Kultur ausfüllen, wird es hinter dem „Aérodyne“ mit einer Fototapete, die Le Corbusiers „Plan Voisin“ zeigt, kaum getan sein. Hier ist etwa der angekündigte interaktive, iPad-gestützte Katalog der Exponate dringend erforderlich.
Der Rahmen selbst, besonders die vom Berliner Designbüro „Blue Scope“ entwickelte modulare Ausstellungsarchitektur, wirkt dagegen bereits stimmig. Ob auf den straßenartigen, gut ausgeleuchteten Podesten mehr als eine außergewöhnliche Messe zu luxuriösen Oldtimern und zum Automobildesign in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entstehen kann, wird man in einem Jahr wissen. Bis es soweit ist, wird Paolo Tumminelli – Kolumnist und Autor zahlreicher Bücher zum Autodesign, der an der Köln International School of Design lehrt – als Leiter des Kuratoriums bei der Entwicklung des kulturellen Konzepts also noch einiges zu tun haben. In Basel hat er davon gesprochen, das Automobil komme nicht ohne Kritik voran. Auf welche Weise sie bei der Grand Basel einen Ort finden kann, wird darüber entscheiden, ob der geplante Salon unabhängig von seinem ökonomischen Erfolg die Automobilkultur mehr als nur nostalgisch auffassen wird.