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Schnörkellos und neutral: Korrekturabzüge der Futura halbfett, datiert um 1927/1928, mit den überarbeiteten Majuskeln E, F, Q und S.

Vorwärts und nicht vergessen

1924 erhielt der Maler, Buchgestalter und Typograf Paul Renner den Auftrag, „die Schrift unserer Zeit“ zu entwerfen. Renner aber dachte voraus und erfand: die Futura. Das Gutenberg-Museum Mainz erzählt nun die Geschichte dieser serifenfreien Schrift.
von Annette Tietenberg | 07.02.2017

Metallisch glänzend verheißt der Schriftzug „Futura“ auf dem Cover des Katalogs und auf den Stellwänden der Ausstellung eine von Klarheit, Präzision und technischem Sachverstand geprägte Zukunft. So und nicht anders stellten sich einst die Protagonisten der Moderne das vor ihnen liegende 20. Jahrhundert vor. Jetzt, ein Säkulum später, wirft Annette Ludwig, Direktorin des Gutenberg-Museums in Mainz, einen Blick zurück auf jene serifenfreie Schrifttype, die noch immer so schnörkellos und neutral, so unpersönlich und unterkühlt wie irgend möglich daherkommt. Ihr zur Seite stehen dabei die Designhistorikerin Petra Eisele sowie die Gestalterin Isabel Naegele, die beide an der Hochschule Mainz lehren. Das Kuratorinnenteam rekonstruiert anhand von Entwürfen, Zeichnungen, Dokumenten, Schriftstücken und Anwendungsbeispielen die paradigmatische Entstehungsgeschichte, die internationale Verbreitung und die ungebrochene Anziehungskraft der Futura. Vieles, was in Mainz präsentiert wird, stammt aus Philipp Bertheaus Nachlass, der im Jahr 2000 im Gutenberg-Museum dauerhaft eine Bleibe fand. Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen komplettieren die Schau.

Die Futura war in den 1930er Jahren aus der Werbegrafik nicht mehr wegzudenken. Verlegt wurde sie durch die Bauersche Gießerei in Frankfurt am Main.

Der Maler, Buchgestalter und Typograf Paul Renner, der lange im Schatten von Jan Tschichold stand und nun endlich auch außerhalb von Fachkreisen die ihm zustehende Anerkennung erfährt, legte seine Programmatik bereits 1922 in der Publikation „Typografie als Kunst“ unmissverständlich dar: „An der Spitze der europäischen Schriften stehen die römischen Versalien, aufgebaut aus Kreis, Dreieck, Geviert, den denkbar einfachsten und denkbar gegensätzlichsten Formen. Seltsam leuchtet die edle Schlichtheit dieser Schrift in unserer Zeit, wie ein letzter Schimmer von der hellen Geistigkeit des alten Roms. Das Einfachste ist es, was der römischen Schrift ihren unvergleichlichen Elan gibt.“

Antik – klassisch – modern

Bemerkenswert ist, dass hier ein progressiver Gestalter, der sich enthusiastisch für republikanische Werte und Kleinschreibung einsetzte, nicht etwa, wie zu erwarten gewesen wäre, für einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit plädiert und in flammender Rede das Neue heraufbeschwört, sondern sich mit Bedacht auf die Antike bezieht, wenn auch auf die römische. Das Humanitätsideal, das Johann Joachim Winckelmann einst dem Studium der Fragmente der griechischen Antike verdankte, leitete Paul Renner offenbar aus der Betrachtung der Inschriften aus der Zeit des römischen Kaisers Trajan ab: edle Einfalt und stille Größe. Die kulturhistorisch interessante Frage, inwieweit sich diese auf die Antike wie die deutsche Klassik rekurrierende Ausprägung der „klassischen Moderne“ aus der Zeit der Weimarer Republik von jener „Neuen Typografie“ unterscheidet, die den Gestaltungsgrundsätzen der sowjetischen Konstruktivisten entsprechen, wird im Katalog zwar gestreift, wäre aber durchaus eine weitergehende Untersuchung wert.

Der Schöpfer der Futura: Paul Renner, um 1946.
Korrekturabzüge der Futura halbfett, datiert um 1927/1928.

Typografie als Kunst

Nicht zu bezweifeln ist hingegen, dass die Verleger Siegfried Buchenau und Jakob Hegner nach Lektüre des Buches „Typografie als Kunst“ auf die Idee kamen, Paul Renner 1924 in seinem Pasinger Atelier zu besuchen. Sie beauftragten ihn damit, eine Druckschrift zu entwerfen, die als „Schrift unserer Zeit“ gelten könne, allerdings nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, dass bereits zwei Maler – vermutlich Lyonel Feininger und Karl Schmidt-Rottluff – an dieser gigantischen Aufgabe gescheitert waren. Davon unbeeindruckt übersandte Renner den Verlegern kurz darauf erste Entwürfe, die sich an der Capitalis Monumentalis orientierten. Nachdem er mehrere Monate keine Antwort erhalten hatte, forderte er seine Zeichnungen zurück und legte sie seinem ehemaligen Schüler Heinrich Jost vor, der seit 1922 als künstlerischer Leiter in der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main tätig war.

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Im Winter 1924/25 lagen erste Versuchsschnitte vor; bis 1927 wurden die Schnitte mager und halbfett entwickelt. Anschließend machte sich Renner an die Futura fett und an die Sonderfiguren. Bis 1930 kamen die Futura kursiv sowie Ergänzungs-Garnituren hinzu. Bald schon war die Futura aus der Werbegrafik nicht mehr wegzudenken, und die Bauersche Gießerei wies in Anzeigen darauf hin, dass die Futura zu einem Welterfolg geworden sei. Das weit verzweigte Vertreternetz und Niederlassungen der Firma in Spanien sowie in den Vereinigten Staaten hatten der Schrift international die beste Markteinführung gesichert.

Am Kniffligsten war es für Renner, die Ober- und Unterlängen der Kleinbuchstaben festzulegen.
Vieles, was in der Ausstellung präsentiert wird, stammt aus dem Nachlass von Philipp Bertheau.

Die Schrift unserer Zeit

Eines stand für Renner von Anfang an unumstößlich fest: „Die Schrift unserer Zeit kann nicht aus der Schreibschrift kommen. (...) Unsere Druckschrift ist der maschinelle Abdruck maschinell hergestellter Metalllettern, die mehr Lesezeichen als Schriftzeichen sind. (...) Wir müssen die Konsequenzen aus der Erfindung des Lettergusses ziehen.“ Auf eine Dynamisierung der Buchstaben, die auf eine Schreibrichtung hinweisen, verzichtete er daher ebenso konsequent wir auf Auf- und Abstriche. Wie diverse Korrekturabzüge mit aufgeklebten Buchstaben der Probe-Schnitte zeigen, bedurfte es trotz dieses vehementen Bekenntnisses zur Automatisierung und Typisierung einer gehörigen Portion Augenmaß, Geduld und handwerklichen Fleiß eines erfahrenen Typografen, bis die Futura ihren Lesern „in gleichmäßig perlendem Grau“ vor Augen stand, wie von Renner beabsichtigt.

Optischer Ausgleich

Am Kniffligsten war es für Renner, die Ober- und Unterlängen der Kleinbuchstaben festzulegen, denn die Capitalis, an der er sich orientierte, umfasste nur Versalien. Das Problem lag also darin, die Minuskeln aus den von der römischen Antiqua abgeleiteten Formprinzipien heraus zu gestalten und sie in der Wahrnehmung den Majuskeln als ebenbürtig erscheinen zu lassen. Um das angestrebte ausgeglichene und harmonische Schriftbild zu erreichen, konstruierte Renner seine Schrift nicht aus reinen geometrischen Grundformen mit gleicher Strichstärke, sondern er richtete das gesamte Alphabet auf optischen Ausgleich aus. Mit anderen Worten: Jeder einzelne Buchstabe basiert auf der Kenntnis optischer Gesetze und resultiert aus einer Vielzahl von gestalterischen Entscheidungen hinsichtlich seiner relationalen Größe und Strichstärke.

Auf welch vielfältige Weise die Futura zum Einsatz kam, machen die kompakte Ausstellung und der gut lesbare Katalog deutlich, indem sie Besucher und Leser dazu einladen, einen topografisch strukturierten Parcours zu durchstreifen. Der Weg führt von Frankfurt am Main, dem Ort, an dem die Schrifttype in Blei gegossen wurde und von Fritz Wichert, dem Gründungsdirektor der Frankfurter Kunstschule, auf Lateinisch „die Werdende“ getauft wurde, über Hannover, wo Kurt Schwitters die Keksfabrik Bahlsen und das Bauamt von der Futura überzeugte, bis nach Berlin, wo ab 1930 immer mehr Zeitschriften in der Futura erschienen. Im „Roten Wien“ hieß Otto Neurath die ornamentlose Futura hoch willkommen. Mit Begeisterung integrierte er sie in seine Methode der Bildstatistik und verwendete sie ab 1928 zur Beschriftung der Mengenbilder von Gerd Arntz. Und in der neu gegründeten tschechoslowakischen Republik stellten Gestalter wie Ladislav Sutnar ihre Progressivität unter Beweis, indem sie zur Futura griffen.

Der schmutzige Ärmel der Nationalsozialisten

München hingegen wurde zur Bewährungsprobe für Paul Renner. Im Mai 1926 übernahm er dort die Leitung der Berufsschule für das Graphische Gewerbe. Angewidert von einem Vortrag von Paul Schultze-Naumburg kommentierte er 1932 die nationalsozialistischen Hetzkampagnen gegen die moderne Kunst in einem Pamphlet, das den Titel „Kulturbolschewismus?“ trug. Nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 warnte er in der Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“: „Die immer bösartiger und gewalttätiger werdende politische Dummheit kann eines Tages mit ihrem schmutzigen Aermel die ganze abendländische Kultur unter den Tisch fegen.“ Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Während Renner einen Stand auf der Triennale in Mailand aufbaute, wurden seine Wohnung und sein Büro in der Meisterschule durchsucht. Im April 1933 wurde er seines Amtes enthoben. Man warf ihm unter anderem vor, dass er für ein politisch nicht zu rechtfertigendes Ungleichgewicht verantwortlich sei: Die lateinischen Schriften hätten Vorrang vor den gotischen. Welch ein Skandal!

Hinter den Kulissen arrangierte sich das Regime allerdings mit der Futura: Die Schrift war bereits in der Verwaltung fest etabliert und wurde auch weiterhin auf offiziellen Dokumenten verwendet. Schließlich setzte sich 1941 vollends die Pragmatik durch: Als sich herausstellte, dass die Fraktur- und Schwabacher-Typen in den besetzten Gebieten kaum lesbar waren, verbot ein geheimer Erlass die gotische Schrift und führte die lateinische als „Normalschrift“ ein. Paul Renner hatte wenig davon: Ihm blieb nichts als die innere Emigration. Er fand Unterschlupf in der Schweiz und lebte bis zu seinem Tode im Jahr 1956 zurückgezogen als Maler in Hödingen.

Seine Futura aber reiste zusammen mit vielen europäischen Architekten, Künstlern, Regisseuren, Fotografen, Filmemachern und Designern, die in den 1930er und 1940er Jahren in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierten, als Hoffnungsträgerin in die Neue Welt. So griff Herbert Bayer auf sie zurück, als er 1938 den Katalog zur Ausstellung „Bauhaus 1919-1928“ gestaltete. Für Werbefachleute in den Vereinigten Staaten hatte schon allein der Klang des Namens Futura eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Bis zur Erfindung der Helvetica blieb sie die beliebteste Schrift für amerikanische Anzeigen, Plakate und Zeitschriften – darunter die einflussreiche „Vanity Fair“.

Otto Neurath setzte die Futura für die Beschriftung der Werke des von ihm mitgegründeten Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in Wien ein.

Auf dem Mond zu lesen

Wie zukunftsfähig Renners Schrift tatsächlich war, sollte sich 1969 erweisen: Die Edelstahlplakette, die an der Leiter des Landemoduls der Apollo 11 angebracht wurde, trägt die Inschrift: „HERE MEN FROM THE PLANET EARTH FIRST SET FOOT UPON THE MOON JULY 1969 A.D. WE CAME IN PEACE FOR ALL MANKIND“. Gesetzt war der Text in Futura. Die NASA-Mitarbeiter hatten diese Schrift wohl zuvor auf den Filmplakaten für Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ gesehen. Das Landemodul blieb auf dem Mond zurück – und mit ihm die Futura. Auf dass sie nicht nur den Erdbewohnern, sondern auch künftigen Mondbesuchern mit ihrem unvergleichlichen Elan und dem Schimmer von der hellen Geistigkeit des alten Roms eine glorreiche Zukunft verheiße.

Die Edelstahlplakette an der Leiter der Apollo 11 wurde mit der Futura beschriftet.

Ausstellung:

Futura. Die Schrift.
Gutenberg-Museum Mainz,
Liebfrauenplatz 5
55116 Mainz
bis 30. April 2017

www.gutenberg-museum.de

Katalog:

Futura. Die Schrift.
Petra Eisele, Annette Ludwig, Isabel Naegele (Hg.)
Gestaltung: Stephanie Kaplan, Isabel Naegele
520 S., geb., mit zahlr. Farbabb. u. Schriftproben,
Verlag Hermann Schmidt Mainz
ISBN 978-3-87439-893-0
50 Euro

In der Ausstellung untersuchen die Kuratorinnen die Entstehungsgeschichte, die Verbreitung und die Anziehungskraft der Futura.