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"Mar Tirreno", Mexico City, Mexico, 2019

Potenzial erkennen

Die mexikanische Architektin Frida Escobedo erreichte 2018 internationale Aufmerksamkeit mit dem Entwurf des Serpentine Pavillon in London. Fragestellungen von städtischen Räumen begegnet sie mit lebensnahen Antworten. Im Interview erklärt sie uns ihre Architektur.
von Anna Moldenhauer | 19.12.2019

Anna Moldenhauer: Zu Beginn deiner Ausbildung stand für dich noch nicht fest, in welche kreative Richtung du dich entwickeln möchtest. Warum hast du dich für das Fach der Architektur entschieden?

Frida Escobedo: Ich war noch sehr jung, als ich mich entscheiden musste, welche Karriere die passende für mich wäre. Ich hatte großes Glück, denn die Entscheidung auf eine Architekturschule zu gehen, hat sich bereits in der ersten Woche für mich als richtig herausgestellt. Der Unterricht an der Universidad Iberoamericana in Mexico City hat mir sofort sehr gut gefallen.

Du arbeitest viel mit einfachen, industriellen Materialien wie Beton oder Zementdachziegel. Warum ist das so?

Frida Escobedo: Anfangs war die Wahl erschwinglichen Materials auch ein wenig aus der Not heraus geboren, sich als selbstständige Architektin über Wasser halten zu müssen. Bei der Arbeit habe ich dann schnell gemerkt, wie groß das Potenzial dieser Materialien ist. Gerade wenn man ein Projektbudget von der öffentlichen Hand bekommt, muss man sehr verantwortungsbewusst damit umgehen. Einfache Materialien bieten eine gute Möglichkeit, das Beste herauszuholen. Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit spielt eine Rolle. Wir sollten über Materialien nachdenken, die gut altern und nicht zu oft ausgetauscht, überlackiert oder gewartet werden müssen. Statt Luxus und feinen Details sind im städtischen Raum praktische Lösungen gefragt, die funktionieren und trotzdem ästhetisch sind.

Gibt es eine besondere Herausforderung bei der Arbeit mit einfachen Materialien?

Frida Escobedo: Nein, ich denke jedes Material ist in der Verarbeitung eine Herausforderung. Es kommt eher darauf an zu verstehen, welche individuelle Lösung jeweils die Beste ist. Authentizität hilft da sehr. Ich mag keine Materialien, die vorgeben, etwas anderes zu sein, als sie sind – etwa Laminatböden, die wie Holzplanken aussehen sollen.

Ich habe den Eindruck, dass du in der Architektur immer das Äußere mit dem Inneren verbindest, zum Beispiel durch Öffnungen in der Fassade fließende Übergänge zur Natur schaffst. Luft, Licht und Schatten werden Teil des Werks. Würdest du das bestätigen?

Frida Escobedo: Stimmt, innen und außen sind für mich stets verbunden. In Mexiko habe ich dank der warmen Temperaturen auch viele Möglichkeiten fließende Übergänge zwischen dem Innen- und Außenraum zu schaffen. Es gibt immer eine Beziehung zur Umgebung.

Geometrische Muster als prägendes Element sind ein weiteres Merkmal in deinen Arbeiten. Kannst du sagen warum?

Frida Escobedo: Die Geometrie wohnt den Materialien bereits inne. Zudem mag ich den Kontrast und den visuellen Effekt, den es erzeugt. Er ist intuitiv verständlich.

Du setzt dich bevorzugt mit dem städtischen Kontext auseinander, suchst neue Lösungen für eine öffentliche Architektur, wie bei dem Entwurf von Gemeindezentren. Was ist hier dein Ansatz?

Frida Escobedo: Der Ansatz ist der gleiche wie bei der Wahl des Materials, es geht darum mit wenig möglichst viel zu erreichen. Wir wollen unter anderem für Haushalte mit geringem Einkommen optimale Grundrisse zu schaffen. Dazu gehört auch den Räumen in ihrer Funktion eine gewisse Wandelbarkeit zu geben, damit es beispielsweise nach dem Auszug der Kinder keine ungenutzten Räume gibt und sie sich auch für das Wohnen im Alter eignen.

Bist du der Meinung, dass sich Architekten ihrer sozialen Rolle bewusst sein sollten?

Frida Escobedo: Absolut. Architekten entwerfen Räume für Menschen und müssen dazu verstehen, wie sich Menschen im Raum verhalten. Ansonsten ist der Entwurf eine Skulptur.

Die Nachhaltigkeit deiner Entwürfe ist für dich entscheidend – vom Konzept bis zum Material. Was beschäftigt dich gerade?

Frida Escobedo: Um effektive Lösungen anbieten zu können, muss man über mehr nachdenken, als über nachhaltiges Baumaterial. Es geht um Strukturen des Städtebaus, um das Zusammenwirken der Kräfte. Die Architektur allein kann die Fragestellungen der Nachhaltigkeit nicht lösen.

Serpentine Pavilion 2018: Frida Escobedo

Ein Blick zurück - die Resonanz auf deinen Entwurf des Serpentine Pavillons im Jahr 2018 war durchweg positiv. Was hat das Projekt für dich bewirkt?

Frida Escobedo: Es war eine wunderbare Gelegenheit und eine große Herausforderung. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, dieses Projekt zu realisieren. Ein temporäres Gebäude zu entwerfen, mit einer derart internationalen Sichtbarkeit. Essentiell finde ich auch das Begleitprogramm, das meiner Meinung nach neben der Architektur ein entscheidendes Element für den Erfolg des Pavillons war. Es hat Fragen aufgeworfen, wie wir Räume zukünftig gestalten wollen, was essentiell ist.

Du entwirfst auch Möbel. Möchtest du diesen Teil deiner Arbeit in Zukunft noch vertiefen?

Frida Escobedo: Ich versuche zu erweitern, was Architektur ist. Wenn ich forsche, lehre, ein Objekt oder eine öffentliche Installation entwerfe, sind das alles Erweiterungen des Raumes und wie wir uns im Raum verhalten. Ich bin daran interessiert, außerhalb der Box zu denken und nicht festgelegt zu sein in der Art der Architektur, die ich kreiere.

Kannst du mir etwas über deine aktuellen Projekte erzählen?

Frida Escobedo: Wir entwickeln aktuell unter anderem zwei Hotels. Eines ist in Puebla und das andere in Bacalar. Zudem arbeiten wir an öffentlichen Projekten, an Installationen und an einem neuen Möbelstück. Man könnte sagen wir sind ganz gut beschäftigt.

Du lehrst an Architekturschulen – was möchtest du deinen Studenten mit auf den Weg zu geben?

Frida Escobedo: Es ist ein gemeinsames Lernen, da wir alle verschiedene Perspektiven mitbringen. Ich suche gerne Antworten auf gesellschaftliche Fragestellungen, wie eine moderne Architektur für ein Wohnhaus aussehen kann, in dem auch Hausangestellte leben. Die Herangehensweise der Studenten ist sehr erfrischend, es macht Spaß, mit ihnen gemeinsam den Raum neu zu verstehen.

Frida Escobedo