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Perspektiven wechseln
Anna Moldenhauer: Herr Kühmayer, was sind Ihre Instrumente, um in die Zukunft der Arbeit zu blicken?
Franz Kühmayer: Auf der einen Seite arbeiten wir mit klassischen Werkzeugen der Trendforschung, sprich mit prognostischen Methoden, die uns helfen zu erkennen wie sich Einstellungen in der Gesellschaft entwickeln und zwar in langfristigen Zyklen. Wir versuchen aus unterschiedlichen Perspektiven zu verstehen wie sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg die Welt verändert. Das reicht von dem Rollenbild zwischen den Geschlechtern, über unser Verhältnis zur Umwelt bis zu den Entwicklungen in der Arbeitswelt. Unser Team ist interdisziplinär – eine meiner Kolleginnen ist beispielsweise Ernährungswissenschaftlerin. So wie ich mich mit der Frage beschäftigte, wie sich die Arbeit verändert, erforscht sie die Entwicklungen im Bereich unserer Ernährung. In der Zusammenarbeit ergeben sich dann beispielsweise Fragestellungen, ob das Büro der Zukunft noch eine Kantine braucht, oder wie das Homeoffice unsere Ernährung beeinflusst. Wir forschen sowohl für den eigenen Zweck wie im Auftrag von Unternehmen.
Welche Fragen stellen sich Unternehmen aktuell mit Blick auf die Veränderung der Arbeitswelt?
Franz Kühmayer: Die Pandemie war für zahlreiche Unternehmen ein Turbo, um neue Arbeitsmethoden auszuprobieren. Viele, die sich vorher nicht vorstellen konnten, dass die Belegschaft auch arbeitet, wenn sie nicht im Büro anwesend ist, wurden eines Besseren belehrt. Zudem hat man die jeweiligen Bedürfnisse an die technische Infrastruktur erkannt. Die größten Herausforderungen liegen sicher in der Entwicklung der Unternehmenskultur. Wie führt man sein Team auf Distanz? Wie nutzt man hybride Arbeitsformen effizient? Langfristig gesehen ist das Thema der Digitalisierung sicher das, welches unsere Arbeitswelt am meisten verändern wird. Damit meine ich nicht nur das ortsunabhängige Arbeiten, sondern auch welche Rolle der Mensch in einer Welt spielt, in der Algorithmen und künstliche Intelligenz einen großen Teil der Arbeit übernehmen können und werden.
Sehen Sie im Push der Digitalisierung auch eine Chance für die Unternehmen?
Franz Kühmayer: Ich sehe es als eine Chance, aber zugleich auch als eine Gefahr. Sicher war der Stoß in das kalte Wasser ein Entwicklungsbeschleuniger. Allerdings fehlt manchen Unternehmen die ganzheitliche Sicht und sie betrachten das Homeoffice als die Spitze der Digitalisierung. Da ist noch viel Platz nach oben, nicht nur mit Sicht auf die Arbeitsorganisation, sondern auch in gesellschaftlichen Fragen.
Welche Entwicklungen der Unternehmenskulturen beobachten Sie aktuell?
Franz Kühmayer: Es gibt jene Unternehmen, die noch in einer Schockphase sind, vor allem wenn sie von der Pandemie wirtschaftlich besonders stark betroffen waren und nun Überlebungsherausforderungen meistern müssen. Die zweite Gruppe sind die, die das Thema mobiles Arbeiten schon zuvor relativ breitflächig ausgerollt hatten, IT-Unternehmen beispielsweise. Die gehen jetzt gestärkt aus dieser Phase hervor. Die dritte Gruppe sind aktuell in einer Reflexionsphase, begreifen die Krise als Lernchance und starten Entwicklungsprogramme. Das ist aus meiner Sicht der größte Teil. Verschwindend gering ist die Anzahl, welche die Pandemie als einmalige Anomalie versteht und versucht den Zustand davor wiederherzustellen. Das funktioniert natürlich nicht, denn die Covid19-Pandemie hat unsere Zeit in ein Davor und ein Danach unterteilt und wir wären gut beraten diese Pausetaste zu nutzen, um aus ihr lernen.
Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht ein langfristiges Umdenken?
Franz Kühmayer: Das hängt sehr davon ab welche Geschichte das Unternehmen vor der Pandemie hatte. Eine ineffiziente Unternehmenskultur kann man nicht mit einem kurzfristigen Krisenmanagement lösen. Das ist eine Aufgabe für viele Jahre, die auch mit dem Menschenbild der Organisation und Führungskräfte zusammenhängt. Einige haben jetzt erkannt, dass sie sich bisher wie Gefängniswärter verhalten haben, die überwachen das die Mitarbeiter vollzählig anwesend sind. Der Verdacht, dass diese ohne Kontrolle nichts leisten, wurde im Lock down nicht bestätigt. Zudem fand bereits vor der Pandemie ein Wandel in der Einstellung statt, dass das Personal sich mit den Gegebenheiten in einem Unternehmen begnügen sollte. Hochqualifizierte Arbeitnehmer können sich aufgrund des Fachkräftemangels und der Demografie vermehrt ihre Arbeitgeber selbstbewusst aussuchen. Auch hat die Pandemie ein Schlaglicht auf die Missstände in den Berufen geworfen, die die Gesellschaft am Laufen halten. Das Homeoffice ist schließlich ein Luxusprogramm, das Menschen nicht nutzen können, die beispielsweise im Gesundheitssystem oder Handel arbeiten. Ich habe ein wenig die Sorge, dass für diese Gruppe unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise die Frage nach einer Veränderung der Arbeitsbedingungen rasch zur Seite geschoben wird. Das wäre ein großer Fehler, denn wir haben jetzt eine Chance nachhaltige Verbesserungen vorzunehmen. Der langfristige Erfolg unserer Gesellschaft wird wesentlich mehr davon abhängen, ob wir ausreichend Pflegekräfte haben als überbezahlte Investmentbanker. Im Fokus der Diskussionen gibt es da aktuell eine Schieflage.
Ist die These von Frithjof Bergmann, dem Mitbegründer der "New-Work"-Bewegung, der sagte "Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen" im Moment von einer neuen Relevanz für Sie?
Franz Kühmayer: Die Frage ist, was macht gute Arbeit aus? Und welchen Stellenwert hat diese in unserem Leben? Ein Faktor ist ökonomisch, denn die Arbeit sichert unser Einkommen. Ein zweiter ist persönlich – macht mir die Arbeit Freude und habe ich den Eindruck, dass ich meine Lebenszeit sinnvoll verbringe? Dieser Punkt hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Statt mehr Gehalt werden Weiterbildungen, Anerkennung von Leistungen und freie Lebenszeit wertvoller. Der dritte Faktor ist der Wert der Arbeit für die Gesellschaft, welcher zunehmend mehr Aufmerksamkeit erhält. Angesichts der Entwicklung in diesen Feldern zeichnet sich aktuell ein Wandel ab, den die Pandemie verstärkt hat. Der alte Fokus der ökonomischen Nachholzeit einen Aufstieg durch harte Arbeit zu erreichen, unabhängig von den Bedingungen, wird weniger attraktiv. Neue Wege sind gefragt.
Schauen wir einmal auf die Praxis – haben Großraumbüros dank der Entwicklung zu hybriden Arbeitsformen Ihrer Meinung nach nun ausgedient?
Franz Kühmayer: Kurzfristig stellt sich sicher die Frage, wie man die leeren Büroflächen nun sinnvoll bespielt. Langfristig müssen die Unternehmen schauen, ob das bisherige Raumangebot sowie die daran geknüpften Angebote noch lohnen – bis zur bisherigen Energieversorgung. Wenn Büroflächen weniger nachgefragt werden, ruft das auch neue architektonische Ansätze auf den Plan. Spannend ist zudem die Aufwertung des Homeoffice. Fragestellungen, die bisher in erster Linie für Büroeinrichtungen interessant waren, werden nun auch für den Wohnungsmarkt interessant. Sei es die Akustik, die Teilung des Raumes, ein ergonomisches Mobiliar oder eine ansprechende Ästhetik im Design dieser Produkte. Ich hoffe sehr, dass wir hier nicht zu den Computertischen der 1980iger und 1990iger Jahre zurückkehren. Auch die Konferenzraumtechnologie wird sich angesichts der hybriden Arbeitssituationen nochmal verändern. Viele IT-Anbieter haben jetzt das Thema New Work für sich entdeckt und arbeiten an neuen Lösungen.
Im Whitepaper "Die Wirtschaft nach Corona" des Zukunftsinstituts wird als aktuelles Szenario für die Unternehmen eine "Lazy Eight" beschrieben – was ist hier die Idee?
Franz Kühmayer: Das Grundkonzept ist, dass sich die Unternehmen nun in der Mitte einer Acht befinden, auf dem Steg zwischen altem und neuem Spiel. Auf diesem entscheidet sich, ob die Option zur Innovation genutzt wird, um neue Produkte zu entwickeln und eingefahrene Verhaltensweisen des bisherigen Regelbetriebs zu verändern. Es ist auch eine Haltungsfrage. Bin ich als Unternehmer ängstlich und konservativ oder mutig und habe eine Sehnsucht nach Innovation? Wir können nicht mehr zurück in die Welt vor Covid19. Es geht nun darum eine Balance zu finden, in welche Richtung Ressourcen und Budget investiert werden. Unternehmen sollten diese Gabelung nutzen, denn Krisenzeiten sind hervorragend dafür geeignet, um etwas Neues auszuprobieren.