Wie viel Trend darf es sein?
Anna Moldenhauer: Frau Till, wie gehen Sie bei der Suche von Trends vor?
Caroline Till: Wir sind ein multidisziplinäres Designstudio und eine Entwicklungsagentur – in erster Linie bieten wir Inspirationen und Informationen innerhalb eines Kontextes. Das heißt, wir stellen Fragen wie: Warum werden spezifische Designrichtungen oder visuelle Trends zu einem bestimmten Zeitpunkt relevant? Welche Auslöser gibt es dafür im soziokulturellen Kontext? Dazu untersuchen wir, welche Einflüsse entscheidend sind, indem wir aktuelle wissenschaftliche und technologische Innovationen berücksichtigen. Zunächst gibt es eine übergreifende Idee, dann recherchieren wir und verdichten das Ganze zu Unterthemen. Anschließend konzipieren wir Zeitschriften, Ausstellungen und Events, in denen wir unsere Erkenntnisse kommunizieren und erwecken die Informationen somit zum Leben.
Wann ist ein Trend ein Trend?
Caroline Till: Laut der wissenschaftlichen Definition des Begriffs spricht man dann von einem Trend, wenn an unterschiedlichen Orten in der Welt zeitgleich ähnliche Phänomene zu beobachten sind. Und dann stellt sich die Frage warum das so ist und wie sich diese Wiederholung erklärt.
Auf welche Weise kann man das Trendbuch für die Heimtextil nutzen? Ist es eine Art Handbuch?
Caroline Till: Ja, wir berücksichtigen bei diesem Trendbuch zwei unterschiedliche Ebenen. Was Lifestyle betrifft, haben wir uns Aspekte des Makrotrends angeschaut, etwa die Urbanisierung, und diese als Phänomen statistisch untersucht. Wir beschreiben, welche Formen die globale Urbanisierung annehmen kann, welche Konsequenzen sie mit sich bringt und wie sie sich auf die Räume auswirkt, in denen wir leben. Auf der Mikroebene schauen wir, wie sich die Dinge im Einzelnen auf der rein ästhetischen Ebene entwickeln. Es geht um Trends hinsichtlich Design, Farbe, Form, Material und Muster, um Entwicklungen im Bereich der Interieurtextilien in den nächsten zwei bis fünf Jahren und welchen Einflüssen diese unterliegen.
Wie findet man heraus, welcher Trend im Buch für das eigene Tun relevant ist?
Caroline Till: Für den Möbelhersteller ist beispielsweise der Trend von Bedeutung, dass wir aufgrund der Raumknappheit und steigenden Preise für Wohnungen in den Städten in immer kleineren Räumen leben. Dazu sinkt die Anzahl der Hauseigentümer – Immobilien werden bevorzugt gemietet, Menschen wechseln immer häufiger den Wohnort. Um der nomadischen Existenz der Nutzer zu entsprechen, müssen kleinere Möbel und Produkte entwickelt werden. Die Publikation eröffnet unterschiedlichste Erkenntnisse dieser Art und der Leser kann entscheiden, welche Aspekte für sein Geschäftssegment entscheidend sind.
Das heißt, die Ergebnisse ihrer Forschung sind gleichermaßen für Hersteller wie Einzelpersonen relevant?
Caroline Till: Ja genau. Und es geht um Inspiration. "Relax/ Recharge" als Designtrend, bei dem nur eine Farbe zum Einsatz kommt, finden viele Leute beispielsweise sehr ansprechend. Ein Raum, der ganz in Blau gehalten und mit verschiedenen Texturen und Abstufungen der Farbe gestaltet ist, kann eine sehr wirkungsvolle Ästhetik entfalten. Hier kommt Komplexität ins Spiel. Aber es ist natürlich nicht leicht, eine derartige Analyse für die Heimtextil zu erstellen, da das Publikum so vielfältig ist. Manche suchen nach Erkenntnissen darüber, wie unsere Räume für die Zukunft ausgestaltet sein sollten, und andere möchten sich nur visuell inspirieren lassen. Wir versuchen das gesamte Spektrum abzudecken.
Wie viele der Trends sollte man im eigenen Wohnraum umsetzen, angesichts der Tatsache, dass sich alles im Wandel befindet und die individuelle Note dabei nicht verloren gehen darf?
Caroline Till: Es sollte nicht darum gehen, irgendwelchen Trends zu gehorchen. Wir hoffen, kleine Inspirationsanstöße für das private Umfeld liefern zu können und versuchen, eine Art kuratiertes und verdichtetes Informationspaket anzubieten. Es ist ein Angebot, ein Bild dessen, was aktuell so geschieht. Und für professionelle Leser, Unternehmen, Marken oder Käufer ist es wichtig, Trends als Spiegel der Zeit zu kennen und daraus die richtigen Schlüsse für die eigene Vorgehensweise ziehen zu können. Mitunter geht es auch um den kuratorischen Aspekt, das heißt wir arbeiten mit Unternehmen, die ein breites Angebot an zeitlosen Produkten haben. Die Konsumenten brauchen hier oft Unterstützung bei der Auswahl, um einen individuellen Look zu kreieren. Aufgrund der Reizüberflutung und des Informationsüberflusses ist es hilfreich, wenn wir bestimmte Farben oder Texturen vorschlagen.
Das Thema Urbanisierung ist nicht wirklich neu. Warum glauben Sie, ist es für den Trendsektor der Heimtextil dennoch relevant?
Caroline Till: Natürlich ist es richtig, dass diese Entwicklung schon vor vielen Jahren ihren Anfang genommen hat. Allerdings schreitet sie nun wesentlich schneller voran. Die urbane Migration bringt rasante Veränderungen für unsere Städte mit sich. Einige der Statistiken zeigen, dass die Mehrheit der Menschen in einem urbanen Kontext lebt und 90 Prozent der Zeit in Innenräumen verbringt. Und wenn wir dann überlegen, welchen Einfluss diese Innenräume auf unsere Weltsicht, auf unser Alltagsleben haben, dann wird schnell klar, dass wir umdenken und kleinere Räume innovativer gestalten müssen, so dass sie nicht beengend wirken und sich wie ein Zuhause anfühlen. Außerdem sollten wir nicht außer Acht lassen, wie stark sich diese unzureichende Verbindung zur natürlichen Umwelt auf unser körperliches und seelisches Wohlbefinden auswirkt. Wir möchten eine Neubetrachtung unseres räumlichen Umfelds in der Stadt anstoßen und schauen, welche Lösungen Designer, Architekten und Materialforscher für dieses komplexe Problem finden.
Gab es bei der Erstellung des Trendbuches einen roten Faden?
Caroline Till: Ja. Unabhängig davon, ob es eine High-Tech- oder Low-Tech-Innovation für das räumliche Umfeld ist, das physische und psychische Wohlbefinden bleibt ein Kernthema. Und dann gibt es noch einen weiteren sehr wesentlichen Aspekt: Wir arbeiten immer vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit. Ich weiß, der Begriff ist etwas überstrapaziert und nicht unbedingt sexy, aber uns interessiert in erster Linie, wann und wie Design einen Wandel zum Positiven möglich macht. Einer der Themenbereiche im Buch ist ein Umdenken in der Nutzung von Materialien. Im architektonischen Kontext könnte man die Stadt stärker als geschlossenes Ökosystem begreifen, in dem der Abfall für den Bau von Gebäuden verwendet wird. Wenn wir unsere Verschwendung von Rohstoffen hier und jetzt stoppen und lediglich Abfall oder existierende Produkte als Ausgangsmaterial betrachten würden, wie könnten wir das was wir haben neu interpretieren? Daher ist die Bibliothek der wiederverwerteten Materialien in der Ausstellung für uns besonders wichtig. Hier versammeln wir Beispiele innovativer Materialien aus Recylingbeständen. Ich denke, die Zeiten sind vorbei, als ökologische Materialien noch einen leicht spießigen Beigeschmack hatten. Und dieser Punkt ist im Hinblick auf den Konsumenten und auch aus einer Marketingperspektive relevant. Wenn die Besucher der Heimtextil den "Remade Space" sehen, dann finden sie die Ausstellungsstücke hoffentlich nicht nur interessant, weil sie aus recyceltem Material bestehen, sondern weil es schöne, funktionale, innovative Materialien mit bemerkenswerten Eigenschaften sind.
Und hat Sie ein Rechercheergebnis überrascht?
Caroline Till: Wir befinden uns in der privilegierten Situation, fortwährend Innovationen begutachten zu können. Das heißt, wirklich große Überraschungen gibt es kaum, da wir unablässig auf der Suche sind und sehr viel sehen. Was wir allerdings sehr interessant fanden, waren Recherchen, die wir zum Thema Biophilie im Gesundheitsbereich durchgeführt haben. Die Studien der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde haben gezeigt, dass schon ein oder zwei Pflanzen im Arbeitsumfeld die Produktivität und das Konzentrationsvermögen der Mitarbeiter um 15 Prozent verbessern. Ich finde die Vorstellung faszinierend, dass man nur durch ein paar Pflanzen einen solch positiven Effekt erzielen kann.
Sie haben 2011 zum ersten Mal das Trendbuch für die Heimtextil entworfen. Gab es etwas, das Sie dieses Mal anders machen wollten?
Caroline Till: Ja! Wir wollten erfahrungsbezogene Elemente stärker in den Vordergrund rücken. So haben wir in einem Raum, der vom Messeumfeld völlig abgekoppelt war, eine Teezeremonie veranstaltet. Das hat großen Anklang gefunden und die Leute hatten das Gefühl, im Messetrubel einen Moment der wohltuenden Ruhe zu erleben. Außerdem haben wir nun weitere Partner, die mit uns zusammenarbeiten. Zudem verstärken wir die Workshop-Aktivitäten.
Gibt es etwas, das Sie auf lange Sicht mit Ihrem Konzept erreichen wollen?
Caroline Till: Das ist eine gute Frage. Ich würde mir wünschen, dass wir langfristiger denken und eine größere Wertschätzung für unser Erbe entwickeln. Insbesondere was die Urbanisierung betrifft, sollten wir nach Lösungen suchen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Eines der Probleme in den Städten ist, dass man vor allem bei der Gestaltung von Räumen wirtschaftlichen Faktoren folgt und zwar häufig auf Kosten des Einzelnen. Wir müssen uns überlegen, wie wir den anstehenden Herausforderungen begegnen wollen. Und vielleicht gelingt es uns, etwas Negatives durch Designinnovationen in etwas Positives zu verwandeln. Es wäre schön, wenn wir den Besucher inspirieren und sein Interesse wecken könnten - ohne erhobenen Zeigefinger.