Nicht alles war bunt und laut
Die Postmoderne gehört noch immer zweifelsohne zu den umstrittensten Architekturphasen des 20. Jahrhunderts. Bereits Mitte der 1980er Jahre war man ihrer historisierenden und zunehmend auch verspielten Formensprache überdrüssig, sodass der einstige Anspruch der Postmoderne, die in eine Sackgasse geratene moderne Architektur einer gestalterischen Revision zu unterziehen und mit einer bildhaften, assoziationsgeladenen Herangehensweise neu zu beleben, vollends in Vergessenheit geriet. Tatsächlich wird die Architektur der 1980er Jahre bis heute fast ausschließlich mit einer überwiegend ironisch geprägten Formensprache und der Verwendung von billig umgesetzten Formzitaten in Verbindung gebracht. Doch gerade in den letzten Jahren hat sich im Hinblick auf die Wahrnehmung dieser Architektur ein erstaunlicher Wandel vollzogen, der nicht nur in Fachkreisen diskutiert wird, sondern auch eine breitere Öffentlichkeit betrifft. Dabei geraten auch die Veränderungsprozesse postmoderner Bauten in den Fokus – nicht zuletzt durch die zunehmende Distanz zu einer mittlerweile als abgeschlossen geltenden Epoche. Die Rettung des akut vom Abriss bedrohten Portland Building von Michael Graves in Oregon stellte etwa 2014 eine der ersten öffentlichen Kampagnen zur Erhaltung eines postmodernen Gebäudes dar. Auch in Deutschland wendet man sich zunehmend dieser Epoche und der Erfassung ihrer erhaltenswerten Bauten zu.
Nicht ohne Grund gerät dabei auch die 1980er-Jahre-Architektur in Frankfurt ins Visier, denn die Bankenmetropole besitzt wohl das eindrucksvollste Beispiel jener vielfältigen Baukultur in Deutschland. Nach der jahrzehntelang andauernden Konzentration auf einen funktionalistischen Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg entstand hier eine Vielzahl von architektonisch anspruchsvollen Bauten, die mit ihren sehr unterschiedlichen Ansätzen geradezu als Schlüsselwerke der deutschen Postmoderne gelten können. In keiner anderen deutschen Stadt sind die Ideen der amerikanischen Postmoderne in dieser Dichte und in einer derart hohen Qualität verwirklicht worden.
Es verwundert daher nicht, dass sich nun auch der neue, in der Reihe der Architekturführer Frankfurt erschienene Band "Frankfurt 1980–1989", herausgegeben von Wilhelm E. Opatz, ausschließlich dieser wichtigen und vielfältigen Bauphase widmet. Das Bauprogramm richtete sich in diesen Jahren explizit auf die kulturelle Struktur der Stadt, vor allem auf die Bebauung des Frankfurter Altstadtbereiches mit Schirn Kunsthalle und Saalgasse, die im Rahmen des 1979 ausgelobten Dom-Römerberg-Wettbewerbs verwirklicht wurde sowie auf das Museumsufer am Main und das Messegelände. Mit dem Konzept des Museumsufers, das unterschiedlichste Museen an beiden Ufern des Mains versammelt, entstand Mitte der achtziger Jahre nicht nur ein neuer kultureller Mittelpunkt innerhalb der Stadt Frankfurt, der als Gegenstück zum Dienstleistungssektor der Stadt fungierte. Zugleich wurde eine für Deutschland einmalige Ansammlung von Bauten der Postmoderne realisiert, die den Anziehungspunkt für ein möglichst internationales und architekturinteressiertes Publikum bilden sollte. Die Neubauten des Messegeländes, darunter das Torhaus und der Messeturm, haben hingegen nicht nur die Stadtgestalt der 1980er Jahre entscheidend mitgeprägt, sondern auch neue Antworten auf die anspruchsvolle Bauaufgabe Hochhaus gefunden.
Der Schwerpunkt des neuen Architekturführers liegt jedoch nicht auf diesen programmatischen, meist von international bekannten Architekten entworfenen Bauten. Zwar werden auch die prägnanten Museumsbauten in Frankfurt, die unter dem Banner der Postmoderne entstanden und wegweisend für diese Phase sind, nicht ausgeklammert – etwa das Museum für Moderne Kunst von Hans Hollein oder das Archäologische Museum von Paul Kleihhues. Der Architekturführer konzentriert sich vielmehr auf die oftmals wenig beachtete Alltagsarchitektur, die gerade in ihrer breitgefächerten Auswahl deutlich macht, wie sehr die Postmoderne damals die unterschiedlichsten Bauaufgaben und gesellschaftlichen Bereiche durchdrungen hat.
Beispielhaft für jedes Jahrzehnt werden ein oder zwei Gebäude vorgestellt – neben Wohnhäusern gehören hierzu auch Bankgebäude, ein Gemeindezentrum und ein Haus für Pflegebedürftige. Auch wenn nicht immer ganz konsequent erscheint, aus welchem Grund ein bestimmter Bau für ein bestimmtes Jahr ausgewählt wurde, beeindruckt doch die Vielfalt der architektonischen Ausdrucksformen und die Qualität der ausgewählten Beispiele. Die meisten Objekte lassen dabei auf den ersten Blick gar nicht so sehr an jene verspielte Architektur denken, die meist mit der Postmoderne in Verbindung gebracht wird. Dem Herausgeber Wilhelm Opatz zufolge werde die Dekade zwar nie ganz "das Bunte und Paradiesische" abstreifen können, letztlich seien die 1980er Jahre aber doch – das macht der Architekturführer deutlich – "genauso spannend und vielfältig wie die Jahrzehnte zuvor".
Gebäude wie das vom Hochbauamt geplante Feuerwehr-Gerätehaus (1981) führen etwa eindrücklich vor Augen, dass auch Typenbauten, die sich durch Schlichtheit und Funktionalität auszeichnen, in der Lage sind, gleichermaßen signifikante und individuelle Bauformen zu entwickeln. Ebenso zeigt sich anhand des nach Plänen von JSK Architekten errichteten Stadtschulamtes (1983), dass in den 1980er Jahren auch die auf den ersten Blick gleichförmigsten Bauten ihre Qualitäten haben, wenn – wie bei diesem Komplex – vermeintlich monolithische Kubaturen auf abwechslungsreiche Fassadendetails und variierte Fensterformen treffen. Dass es auch bei sozial bedingten Bauaufgaben kein unmögliches Unterfangen ist, eine zugleich funktionale wie auch fantasievolle Architektur zu schaffen, verdeutlicht die Kindertagesstätte von Christoph Mäckler (1989), die damals im Rahmen eines umfassenden Programmes zur Errichtung von Kindertagesstätten in Verantwortung des Hochbauamtes entstanden ist. Unter Beachtung der entsprechenden funktionalen Vorgaben machte der Architekt hier eine "kindgerechte" Gestaltung und die Betonung sinnlich erlebbarer Räume zum zentralen Ausgangspunkt seines Entwurfes, der bis heute eine Qualität erkennen lässt, die nur wenigen Bauten dieser Gattung eigen ist.
Bei manchen Bauten, wie den Türmen der Deutschen Bank von ABB Architekten (1984), hätte man sich eine zusätzliche historische Einordnung in die jeweilige Baugattung gewünscht, da gerade die Hochhausarchitektur für Frankfurt eine bedeutende Rolle spielt und ein Vergleich darüber hinaus deutlich gemacht hätte, inwiefern der Neubau der Deutschen Bank einen Wandel in der Hochhausarchitektur einleitete, der sich nicht mehr am Internationalen Stil orientierte, sondern allmählich eigenständigere Formen annahm. Vor diesem Hintergrund wäre auch der Neubau der Landeszentralbank (1988) besser zu verstehen, der als Kontrapunkt zur üblichen Hochhausgestalt und als postmoderne Variante eines Bankgebäudes als einer der wichtigsten Bauten dieser Zeit gelten kann. Insbesondere das Innere der glasgewölbten, lichtdurchfluteten Halle sollte Jeder einmal gesehen haben, denn hier trifft eine erstaunliche Formenvielfalt auf eine scheinbar unendliche Materialfülle, die in kaum einem anderen Bankgebäude zu finden ist. Die Architekten schöpften dabei das gesamte Repertoire der postmodernen Formensprache aus und schufen damit ein unverkennbares "Relikt der Zeit", an dessen Anblick man sich, wie Wilhelm Opatz meint, auch nach 32 Jahren noch erfreuen kann.
Die ansprechenden ergänzenden Texte, welche die Architektur, sowohl in der Zuordnung der Funktionen als auch in ihrer Gestaltung und Gliederung anschaulich beschreiben, tragen erheblich dazu bei, dass man – trotz der meist nur ausschnitthaften Gebäudeansichten – einen lebendigen Eindruck von dem jeweiligen Objekt gewinnt. Gerade die Beiträge von Adrian Seib heben sich wohltuend aus dem Gros heraus, denn ihm gelingt es, die elementaren Qualitäten der Architektur präzise hervorzuheben und äußerst anschaulich darzustellen ohne die wichtigen Fakten, etwa zur Entstehung der Gebäude, zu vernachlässigen. Grundrisse, die zum Verständnis mancher komplexer Gefüge sowie für die Zuordnung der verschiedenen Funktionsbereiche nötig wären, sucht man allerdings vergeblich, die ausgewählten Bilder bieten zumeist jedoch interessante Perspektiven und Ausschnitte sowie spannungsvolle Details, die durchaus dazu anregen, die Gebäude einmal vor Ort zu erkunden.
Ergänzt wird der Architekturführer durch aufschlussreiche Essays und Interviews, welche die gesellschaftlichen Dimensionen der 1980er Jahre aufzeigen, etwa über das sogenannte Hüttendorf gegen die Startbahn West (1981), das heute wieder bezeichnende Aktualität gewinnt, oder über Rainer Werner Fassbinders umstrittenes Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", dessen Uraufführung 1985 von jüdischen Bürgern verhindert wurde. Das kurz danach realisierte Museum Judengasse findet unter den vorgestellten Projekten leider keine Erwähnung, zählt es doch im Zusammenhang mit dem Gebäude der Stadtwerke zu einem der ausdrucksstärksten Architekturen der Postmoderne in Frankfurt. Auch wenn sich der Architekturführer nicht auf die prägnanten postmodernen Beispiele der Frankfurter Museumslandschaft konzentriert – hier wäre ebenso das Liebieghaus zu nennen, dem mehr noch als dem Archäologischen Museum eine Symbiose von Alt und Neu gelang –, so bietet der bildreiche Band doch letztlich einen umfangreichen und spannenden Einblick in die Postmoderne als kulturgeschichtliches Phänomen. Zudem überrascht er darüber hinaus mit weitgehend unbekannten Architekturbeispielen, welche die gesamte Bandbreite wichtiger Bauaufgaben der 1980er Jahre verdeutlichen. Zweifellos wird auch der nun vierte Band in der Reihe der Architekturführer Frankfurt dazu beitragen, eine neue Sichtweise auf die viel gescholtene Dekade zu etablieren und manch Postmoderne-Gegner von der Qualität dieser Architektur zu überzeugen.
Architekturführer Frankfurt 1980–1989
Hrsg. von Freunde Frankfurts, Wilhelm E. Opatz
Fotografien von Georg Dörr u.a.
208 Seiten, Sprache: Deutsch
Junius Verlag, Hamburg, 2020
ISBN: 978-3-96060-525-6
44 Euro