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Forza Farbe!
von Martina Metzner | 06.05.2013
Farbe als Eyecatcher: Vitra setzt mithilfe von Designerin Hella Jongerius auf „Klassiker in neuen Farben“ wie „Hang it all“ von Charles & Ray Eames.

Da liefen sie, auf dem Salone. Wieder einmal in schwarzem Jackett, dunkler Hose und mit markanter Brille. Designer, Architekten, Inneneinrichter und wer sich sonst noch alles mit dem Thema „Möbel“ beschäftigt, sie alle pflegen, auf’s Textil bezogen, immer noch Understatement. Und das, obwohl sich die Modebranche seit vielen Saisons über eine Rückkehr an kräftigen, leuchtenden Farben freut. Dieser Trend hat auf das Trageverhalten der Design-Branche bislang kaum abgefärbt. Da bleiben sie sich treu. In einem schlauen Büchlein, das über die Frage sinniert, wieso Architekten und Designer immer schwarz tragen, findet sich unter anderen diese Antwort: Damit die Objekte, also die Architekturen, besser in Vordergrund treten.

Das taten durchaus auch die Objekte und Produkte auf der Mailänder Möbelmesse – allerdings voll in Farbe. Das war die Botschaft an vielen Ständen. Da leuchteten einem Quietschgelb, Grasgrün oder Poolblau entgegen, Pastelltöne schmeichelten den Augen oder man war entzückt von kleinen farbigen Details, die man erst auf den zweiten Blick bemerkte. Woher kommt die neue Lust auf so viel Farbe? Was haben sich die Designer dabei gedacht? Wie sehen die neuen Farbspielereien aus? Und kommt die neue Farbigkeit überhaupt an?

Tonale Totalharmonie

Zwei Namen sind zu nennen, wenn es um den neuen Impuls durch Farbe im Design geht: Vitra und Patricia Urquiola. Beide gehören mit zu den besten in ihrer Kategorie, und beide setzen in diesem Jahr auf starke Farben. Dies wurde bei Vitra mehr als deutlich. Der Hersteller aus Weil am Rhein präsentierte Wohnwelten, die sich strikt einer Farbe widmeten. So gab es zum Beispiel einen rosa Raum mit dem „Alcove“-Sofa der Bouroullecs oder eine hellgelbe Wohnwelt mit Jean Prouvés auch farblich erneuerten „Standard“-Chair. Das Ganze hat System: Vitra hat die Designerin Hella Jongerius zu seiner „Colour Art Directorin“ berufen, und diese hat sofort ein allumfassendes Farbkonzept entworfen. Klassiker in neuen Farben – auf der Messe in tonaler Totalharmonie mit der Umgebung. Simple Idee, aber mit großer Wirkung – wie bei „Hang it all“, der Eames-Garderobiere mit den bunten Kugeln, jetzt in ein nuanciertem Himmelblau, Rosarot und Lindgrün.

Wem das noch zu wenig war, der wurde bei Moroso fündig. Der Stand strotzte nur so vor farbenfrohen Neuheiten – und wurde von Patricia Urquiola gestaltet. Die Designerin, die das Spiel mit Farben schon seit längerem – und jetzt erst recht – zu einer ihr wichtigen Mission gemacht hat. Anders wie bei Vitra waren es bei Moroso – Verner Panton hätte seine wahre Freude gehabt – Knallfarben, Pastelltöne sowie ungewöhnliche Farbspiele, die auffielen. So zeigte sich „Mafalda“, ein Sessel von Patricia Urquiola, in Textmarker-Orange beziehungsweise in Quietschgelb. Und gleich daneben Sebastian Herkners Ethno-Korbstuhlinterpretation „Banjooli“ in Farben wie auf einem afrikanischen Basar.

Geknallt hat’s auch bei anderen, um nur wenige zu nennen: Konstantin Grcic tauchte sowohl seine neue Polsterserie „Traffic“ für Magis in leuchtende Farben als auch seinen „Medici“-Stuhl für Mattiazzi in ein Grellgelb. Oder nehmen wir e15, wo Stefan Diez’ Serie „This, That and Other“ in Pink präsentiert wurde, womit man sich abermals einen neuen, nicht nur purholzigen Anstrich gibt. Der Firmenchef Philipp Mainzer berichtet, man habe schon im vergangenen Jahr gute Erfahrungen mit Neonrot gemacht. Auf die Frage, wie sehr sich die Farbgebung im Möbeldesign an die der Mode anlehne, meint Mainzer, dass sich dies natürlich gegenseitig beeinflusse. Für das Farbdesign bei e15 sei seine Frau Farah Ebrahimi zuständig, ursprünglich Modedesignerin. Nur, dass das Design etwas langsamer auf Farbtrends reagiere.

Pudrige Pastelltöne

Doch zurück zu Moroso. An diesem Stand konnte man noch zwei andere Farb-Phänomene bewundern: die Geschmacksrichtung „Soft“ und ungewöhnliche Farbkompositionen. „Bikini-Island“, die neue Sofalandschaft von Werner Aisslinger im Stil der 1960er-Jahre, zeigte eine bunte Mixtur von Elementen getaucht in Softeis-Farben wie Lavendel, Pistazie und Himbeersahne. Stellvertretend für viele andere Möbelgruppen, die sich in Pastelltönen wie Mint, Bleu, Zartgelb und vor allem Rosé und – wichtig! – deren Schattierungen zeigten, zu sehen unter anderem bei Arper, Cor Interlübke, Dedon, Tribù und Zeitraum. Nicht zuletzt waren es frische, ungewohnte Farbspiele im Sinne des Color-Blocking oder gar Batik-Optiken der Fashion, die Lust auf Neuausstattung machen sollten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: die Leuchte „Seam Two“ von e15, die in ihrer Neuauflage Jadegrün mit Bonbonrosé kombiniert. Oder Werner Aisslingers „Bikini“-Stühle für Moroso, deren Beine in einem soften Farbverlauf in aktueller Dip-dye-Manier von Grün auf Gelb wechseln. Während die Experimentelleren der Branche im Farbrausch schwelgten, zeigten sich andere noch zögerlich im Umgang mit mehr Farbe. Die Wohnlandschaft der Schönen und Reichen wird auch wohl noch eine Weile durch Non-Colors wie Weiß, Naturtöne und Anthrazit bestimmt.

Alles so schön bunt hier

Frank Ziegler von Leptien3 in Frankfurt zeigt sich entspannt, was die neuen Farbwellen aus Mailand angeht: Die neue Farbvielfalt der Hersteller spiegle die wachsende Pluralität des Geschmacks wider, ein Resultat des Zusammenwachsens der verschiedenen Märkte. Und nebenbei versichert er, die Kunden, insbesondere Hotels oder Banken, würden sich heute immer häufiger trauen, einen Sessel in Orange oder Stühle in Bordeauxrot zu kaufen. Ob die neuen Farben wohl ein großer Wurf im Design werden? Da runzeln sich bei Ziegler die Stirnfalten – und er verweist auf Cassina, wo man den Klassiker-Tisch LC 6 von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand mit mintfarbenem Gestell zu einer rhababerfarbenen Glasplatte bekommt. Ob das Charlotte Perriand gefallen hätte?

Eklektisches Farbspiel

Ob sich die Menschen von den neuen Farbspielen beeinflussen lassen und ihre Inneneinrichtung nun bunt zusammenwürfeln, wie zuletzt in den siebziger Jahren? Sebastian Herkner zeigt sich davon überzeugt. Der Jungdesigner liebt Farbe. „Es geht“, meint Herkner, „doch beim Einrichten immer mehr um Eklektizismus.“ Während seine Freunde aus dem Finanzwesen noch immer auf weißen Sofas sitzen, wohnt er in, mit und auf Möbeln unterschiedlichster Couleur, Stilrichtung und Herkunft.

Mailand, das ist Mode und Design. Dass die sich gegenseitig befruchten, immer öfter miteinander verschmelzen, zeigte sich nicht zuletzt auf dem diesjährigen Salone, man denke da nur an Karl Lagerfelds Fotostrecke für Cassina, die Kooperation von Tom Dixon mit Adidas oder die COS-Ausstellung in Ventura Lambrate. Auch Trends sind grenzüberschreitend. Also gibt sich nicht nur die Mode, sondern auch das Design farbenfroh. Eine Antwort auf die trüben Aussichten auf den Absatzmärkten? Vielleicht. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten mag man analog zum Lippenstift-Index, der besagt, dass Frauen in Krisen besonders gerne roten Lippenstift kaufen, wieder zu kräftigeren Farben neigen. Denn: Kräftiges, warmes Rot und Orange sowie zarte Pastelltöne sollen ja, rein psychologisch gesehen, anregend wirken und für gute Laune sorgen. Aber eben nicht nur. Neben den vielen Re-Designs sind die „Klassiker in neuen Farben“ natürlich auch eine vergleichsweise risikoarme Variante, Innovation zu zeigen. Und in unserer im Überfluss lebenden Gesellschaft kann man sich mit einer ausgesuchten Farbwahl ja auch von der Masse abheben. Vielleicht verspüren wir, nach all den Nicht-Farben, die in den letzten Jahren Haus und Kleidung dominiert haben, einfach wieder eine unbändige Lust auf Farbe. Ob es gleich ein rosarotes Zimmer sein muss, sei dahingestellt. Der „Hang it all“ in nuancierten Grün-Tönen tut’s fürs erste sicherlich auch.

Übrigens: Der extreme Farbrausch, wie er sich in den letzten Saisons beobachten ließ, scheint sich fast schon wieder zu beruhigen. Sowohl im Design – das meint nicht nur Philipp Mainzer – als auch in der Mode. Auf den Catwalks wird Knalliges nur noch als Akzent gezeigt. Pastelltöne aber, als Sommerlieblinge, bleiben. Dazu gesellt sich seit diesem Sommer viel Grün – Pantones Nummer 1 für dieses Jahr ist „Smaragd“. Die jüngste Botschaft von den Catwalks in Paris, Mailand und New York für diesen Winter heißt allerdings: Vollweiß oder Ganz-in-Schwarz. Damit wäre dann auch die Kleiderfrage zum nächsten Salone – hurra – wieder einmal geklärt.

Textmarker-Töne: Patricia Urquiola gestaltete nicht nur den Stand für Moroso, sondern auch Möbel in Leuchtfarben wie den „Mafalda“ Chair.
Neon allover: Vitras Wohnwelten in tonaler Totalharmonie, hier um Jean Prouvés „Standard Chair“ in Grellgelb – auch angezogen ein Trend.
„Gute Erfahrungen mit Knallfarben“: Konstantin Grcic mit der Polsterserie „Traffic“ für Magis sowie Stefan Diez mit „This, That and Other“ für e15.
New Colours on the Block: Kartell, farbenfroh wie eh und jeh, zeigt Colourblocking mit „Shibuya” von Christophe Pillet.
Power mit Pastelltönen: Werner Aisslinger bricht nicht nur mit seiner Formenspache für „Bikini Island” die Konventionen der letzten Jahre.
Softe Sommerlieblinge: Zarte Roséfarben sind nicht nur auf der Haut, sondern auch zum Draufsitzen (COR Interlübke) ein Thema.
Pastelltöne allover: Vitra zeigte, dass man wunderbar in einer rosaroten Welt leben kann. Hier: „Alcove” von Ronan & Erwan Bouroullec.
Subtile Schattierungs-Spiele: „Light Air” von Kartell, „Catifa“ von Arper.
Die Nuance und der Kontrast machen‘s: Farbnuancen und Kontraste bringen Abwechslung. Patricia Urquiolas "Comback" für Kartell.
Farbe als Eyecatcher: Vitra setzt mithilfe von Designerin Hella Jongerius auf „Klassiker in neuen Farben“ wie „Hang it all“ von Charles & Ray Eames.1