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SALONE DEL MOBILE 2018
Turmbau zu Mailand

OMA Architekten haben ein Hochhaus für die Kunstsammlung der Fondazione Prada in Mailand geplant. Ein Rundgang zur Eröffnung.
von Jasmin Jouhar | 27.04.2018

Was soll man sagen? Die "Torre" ist ein seltsames Haus geworden. Von weitem sichtbar schwebt das weiße Hochhaus von OMA Architekten für die Fondazione Prada wie eine Erscheinung über stillgelegten Bahngleisen. Auch von Nahem bleibt es rätselhaft, widerständig, ein strahlender Fremdkörper, der sich am Rand des Fondazione-Geländes hochwindet. Der Bau ist unregelmäßig geformt, jede der vier Fassaden sieht anders aus. Und an der Südseite lehnt schräg ein langes, ebenso weißes Ding, das das Flachdach durchstößt und sogar noch überragt. Mit dem 60 Meter hohen Ausstellungshaus aus Sichtbeton schließen Rem Koolhaas und sein Büro OMA Umbau und Erweiterung der ehemaligen Destillerie für die Kunststiftung von Miuccia Prada ab. Zum Salone del Mobile 2018 feierte die Fondazione nun die Eröffnung ihrer neuesten architektonischen Errungenschaft, mit viel Prominenz aus Kunst und Kultur.

Ein seltsames Haus also, das Erwartungen enttäuschen mag. Denn eine ikonische Ansicht wie das vergoldete "Haunted House" des ersten Bauabschnitts bietet die disparat wirkende Torre nicht. Dafür aber hat Koolhaas, der oberste Zeremonienmeister der Architektur, erstaunliche Erfahrungen inszeniert, die Auge und Körper sensibilisieren. Beispielsweise der Aufzug, der sich an der Südfassade hochschiebt: Jeder Besucher sollte mindestens zwei Mal mit der teilweise verglasten Kabine fahren, einmal hoch und einmal runter. Aber nicht nur wegen der Aussicht – wie der Aufzug aus dem Dunkel des angrenzenden Altbaus hinaufsteigt ins Licht und die Etagen des Gebäudes an einem vorüberziehen: großes Architekturkino! Nicht zu vergessen, dass eine Hälfte der Kabine komplett mit hinterleuchtetem rosa Marmor verkleidet ist. Ein Spektakel ist dieser Aufzug auch von außen: sowohl von der Ausstellungshalle im Altbau aus als auch aus dem Treppenhaus der Torre.

Dergestalt in Schwung gebracht, geht es in die insgesamt sechs Ausstellungsebenen. Ihre Gestalt variiert, rechteckige Grundrisse wechseln sich mit keilförmigen ab. Die Raumhöhen reichen von 2,7 Metern in der ersten Etage bis zu 8 Metern ganz oben. Mal sind die kurzen Seiten verglast und mal die lange Seite mit der Orientierung nach Norden, zur Stadt. Im obersten Geschoss verweigern uns Koolhaas und seine verantwortlichen OMA-Kollegen Chris van Duijn und Federico Pompignoli die Aussicht ganz. Hier fällt das Licht durch Oberlichter ein. In seinem Statement zum Projekt nennt Koolhaas die Torre "eine Sammlung verschiedener Ausstellungsbedingungen". Das kommt dem Paradies, wie es sich Kuratoren vorstellen, vermutlich ziemlich nah: Für jedes Kunstwerk sollte es hier den passenden Rahmen geben. Eine gewisse Größe allerdings vorausgesetzt, denn für das intime Format erscheinen die weitgespannten, stützenfreien Hallen weniger geeignet. Die Unterschiedlichkeit der Innenräume zeichnet sich auch an den Fassaden ab, vor allem an der Nordfassade, die mit zwei Auskragungen weit vor- und zurückspringt.

Zwischen die Ausstellungsetagen haben die Architekten drei Sandwichscheiben gelegt: das Restaurant mit Panoramaterrasse, die Küchen- und Waschräume. Obenauf thront die Dachterrasse. Wie schon bei den anderen Fondazione-Gebäuden lohnt auch hier ein Besuch der Toiletten, die sich im 7. OG als klaustrophobische Art-déco-Höhle präsentieren und im 1. OG als Spiegelkabinett mit Ausblick. Überhaupt zeigt sich gerade in der Ausgestaltung der Räume, dass der Neubau nicht nur seltsam, sondern auch cool ist. Die abstrakte Architektur ist angereichert mit vielfältigen Materialien und Oberflächen von high bis low. In den Ausstellungsräumen treffen Bodenplatten aus Travertin ungebremst auf Wandverkleidungen aus Grobspanplatten. Decken und Wände schmeicheln mit samtigem Sichtbeton. Im Treppenhaus tauchen die aus dem ersten Bauabschnitt bekannten Gitterroste wieder auf. Dahinter liegen sichtbar Wände aus rosa Gipskartonplatten, alle verspachtelten Stellen fügen sich fein säuberlich in ein Raster – Rohbau refined. Das ist so ironisch wie unterhaltsam. Dieser Reichtum ist eine Referenz an die Materialkultur Mailands, das in den Texturen und Farben von Marmor, Terrazzo und Keramik schwelgt wie kaum eine andere Stadt. Selbst in den U-Bahnstationen werden die Menschen mit vielfarbigem Naturstein verwöhnt.

Und was hat es nun mit dem langen, weißen Ding an der Südfassade auf sich? Was Koolhaas in seinem Statement "structure" nennt, ist tatsächliche eine Art überdimensionaler Anker, der die Torre aufrecht hält. Mit ihrem schmalen Fußabdruck und den üppigen Auskragungen ist sie ziemlich kopflastig und würde sonst womöglich einfach umkippen. Das statische Problem hätten die Architekten von OMA sicher diskreter lösen können. Doch diese überhöhte Konstruktion ist auch ein Gruß in Richtung Norden – zur anderen Torre, der Torre Velasca mit ihren außenliegenden Verstrebungen. Das Hochhaus von BBPR galt ja schon immer als ein wenig seltsam. Und cool natürlich.