Herrliche Fragmente
Wie nur wenige andere Orte in Rom zeigt der kleine Platz vor der Kirche S. Giorgio in Velabro den wohl charakteristischten Wesenszug des römischen Stadtgefüges: Hier ist die großartige Einheit des Uneinheitlichen, das Zusammengefügtsein aus Fragmenten, geradezu exemplarisch ablesbar. Sein Zentrum dominiert der sogenannte Janusbogen, ein antiker Bau, von dem man bis heute weder das genaue Alter noch die genaue Funktion kennt. Wie so viele römische Hinterlassenschaften wurde er im Mittelalter Teil eines neueren Gebäudes, um erst im 19. Jahrhundert wieder in einen vermeintlich historischen Zustand zurückversetzt zu werden. In die Kirche S. Giorgio in Velabro ist der sogenannte Geldwechslerbogen aus dem frühen 3. Jahrhundert miteinbezogen – eine Vorgehensweise, die gleichermaßen vom Pragmatismus der frühmittelalterlichen Baumeister zeugt, wie von ihrer Bewunderung dem ein halbes Jahrtausend älteren Kunstwerk gegenüber. In einem barbarischen Akt wurde die Kirche kurzzeitig zur Ruine, als im Juli 1993 die Mafia eine Autobombe vor der Kirche explodieren ließ. Die Spuren des Anschlages sind heute weitestgehend getilgt. Es war dies eines der letzten Male, in denen die über Jahrtausende gepflegte Praxis des Werdens, Vergehens und Wiederentstehens im Herzen Roms geübt wurde, wenn auch als strenge Rekonstruktion des alten Zustandes. Nachdem unter den Savoyer-Königen und unter Mussolini dem historischen Stadtgefüge schwerste Narben beigebracht worden waren, konserviert man seit 1945 fast ausnahmslos den Status quo. Das gilt auch für den kleinen Platz bei S. Giorgio – zumindest äußerlich.
Seit 2012 hat das Büro von Jean Nouvel für die Fondazione Alda Fendi das Umbaukonzept für ein Gebäudeensemble an der südlichen Platzkante, auf der Ecke zum anschließenden Forom Boarium, erarbeitet. Entstanden sind Ausstellungsräume für die Stiftung sowie 25 kleine Apartments, die Künstlern zur Verfügung gestellt, aber auch gemietet werden können. Das oberste Geschoss beherbergt nun ein Restaurant.
Das Bautenkonglomerat ist das Ergebnis jahrhundertelanger Umbauten. Vor Beginn der jetzigen Maßnahmen bestand erheblicher Sanierungsbedarf. Natürlich, und das ist gängige Praxis bei historischen Bauwerken diesen Ranges und in dieser Lage, wurde als Grundlage der Renovierung eine bis ins Detail gehende wissenschaftliche Bauaufnahme durchgeführt. Jedes Fragment, jede historische Schicht, wurde identifiziert und dokumentiert.
Bei den folgenden Eingriffen und Ergänzungen beließen die Architekten den Unterschied zwischen Bestehendem und Neuem klar erkennbar, indem sie für die eigenen Zutaten eindeutig zeitgenössische Materialien und Formen wählten. Glänzender Edelstahl und Beton kontrastieren nun mit Ziegelmauerwerk und Travertin; Aussteifungen aus Eisenfachwerk und Metallnetze überfangen altes Mauerwerk. Zuweilen wirkt diese Architektursprache allerdings ein wenig wie ein Zitat aus der Ära der sogenannten High-Tech-Architektur der 1980er Jahre, deren französischer Protagonist Nouvel einst war – etwa bei den beiden großen technizistisch anmutenden Automaten in den Ausstellungsräumen, die den Besuchern Kataloge und Getränke verkaufen.
In den 25 Apartments tritt ein anderer Zug der Renovierung in den Vordergrund: Die Architekten machten hier keinen Unterschied zwischen vermeintlich schützenswerterer älterer Bausubstanz und "wertlosen" Umbauten der letzten Jahrzehnte. So unterbrechen die neuen Böden aus Feinestrich an vielen Stellen Inseln aus Nachkriegs-Fliesen, die in situ belassen wurden. Alte Farbsichten an den Wänden wurden konserviert. Auf die Innenseiten der Fensterläden wurden Fotografien der Innenräume im Zustand vor dem Umbau aufgebracht und verdeutlichen die Absicht des Ateliers Nouvel, Kontinuität über die gesamte Geschichte des Bauwerks hinweg auszudrücken. Allerdings ist diese Fotokunst auch ein klarer Hinweis darauf, dass bei der Umbauplanung der künstlerische Aspekt gewichtiger war, als der konservatorische. In vielen Details zeigt sich, dass stärker ästhetische Wirkung denn das Bemühen um maximale Bestandssicherung entwurfsleitend war. Damit greifen die Architekten allerdings den Geist des Ortes aufs Schönste auf. Es waren zumeist ästhetische oder praktische Qualitäten, die Roms Altertümer retteten und nicht denkmalpflegerische Erwägungen.
Für die Premierenausstellung der Fondazione Alda Fendi gelang es, die Sklavenfigur Michelangelos nach Rom zu holen, die sich heute in der St. Petersburger Eremitage befindet. Auch sie ist ein Fragment, geschaffen für das ehrgeizige Projekt eines gewaltigen Grabmonumentes, mit dem sich Papst Julius II. zu verewigen trachtete. Das Grabmal konnte nur in weit bescheidenerer Form ausgeführt werden. Die bereits weitgehend fertiggestellte Sklavenfigur fand im geänderten Konzept keinen Platz mehr. Ihre Schönheit und der Ruhm ihres Schöpfers bewahrten sie vor dem Untergang. Unter diesen Vorzeichen ist auch dem neuen alten Haus der Fondazione Alda Fendi ein langes Leben beschieden.