Blick nach vorne
Robert Volhard: Flos bringt seit 60 Jahren Leuchten auf den Markt, von denen viele mittlerweile Designikonen sind.
Roberta Silva: Ja, ich habe ein großes Erbe zu schützen.
Robert Volhard: Wie überträgt man dieses Erbe auf die Zukunft?
Roberta Silva: Als wir angefangen haben über die Geschichte von Flos nachzudenken und wie wir unser 60-jähriges Jubiläum feiern wollen, haben wir erstmal mit unseren Design-Kuratoren Fabio Calvi und Paolo Brambilla und mit Barbara Corti, unserer Marketingleiterin, darüber gesprochen. Ein üblicher Ansatz ist es, ein Buch über die Geschichte der Firma zu veröffentlichen, aber mein Standpunkt war: "Nein, lasst uns die nächsten 60 Jahre betrachten. Was wird Flos in der Zukunft sein?" Und genau das haben wir in Form einer Ausstellung in der Fabbrica Orobia während des FuoriSalone 2022 in Mailand umgesetzt. Wir haben dazu 6.000 Quadratmeter bespielt – 3.000 drinnen und 3.000 draußen.
Franziska von Schumann: Was war das Konzept der Ausstellung?
Roberta Silva: Dafür haben wie die ehemaligen Industriehallen der Fabbrica Orobia in eine Art multimedialen Ort verwandelt, mit dem wir die BesucherInnen auf eine immersive Reise in das Designuniversum und die Zukunftsvision von Flos mitnehmen wollten. Wir haben das Ganze "See The Stars Again" genannt als Anspielung auf Dante Alighieri. In der Göttlichen Komödie sieht der Dichter, nachdem er im ersten Buch aus der Unterwelt auftaucht, die Sterne, die für ihn Hoffnung und Zukunft symbolisieren. Wir haben in der Fabbrica Orobia deshalb einen neuen Ort des Austauschs inklusive Restaurant, Bar und Buchladen geschaffen, mit denen die Ausstellung zusätzlich bespielt wurde. Hinzu kam die viertägige Gesprächsreihe "Hosting", wo wir mit verschiedenen ExpertInnen bestimmte Zukunftsfragen erörtert haben. Das Ganze war am Anfang ein bisschen aufregend, weil wir uns dafür aus dem Designviertel des Salone del Mobile herausbewegt haben – aber die Leute sind tatsächlich zu uns gekommen und haben den Aufenthalt dort sehr genossen.
Robert Volhard: Sie haben dort eine Limited Edition Ihrer ikonischen "Arco"-Leuchte gezeigt und damit auch das große Erbe von Flos thematisiert.
Roberta Silva: Ja, die Leuchte, die von den Castiglioni-Brüdern entworfen wurde, ist insofern ein Kind ihrer Zeit, als sich die sozialen und kulturellen Umbrüche, die damals stattgefunden haben, in ihr widerspiegeln. Wir haben deshalb zum 60-jährigen Jubiläum der Leuchte 2022 Exemplare der Limited Edition "Arco K" angefertigt. Anstatt des Marmorsockels hat diese einen Sockel aus einem speziellen bleifreien Kristall, der dank seiner Transparenz die Mechanik der Lampe offenbart und ihre Funktionsweise sowie ihr Prinzip erklärt. Aber wir haben dort natürlich auch neue Kollektionen gezeigt wie etwa "Almendra" von Patricia Urquiola, "Belt Fabric" von Ronan und Erwan Bouroullec, "My Circuit" von Michael Anastassiades, "Gustave" von Vincent Van Duysen, "Skynest" von Marcel Wanders Studio und viele mehr.
Franziska von Schumann: Sie waren zuvor in der Unterhaltungselektronik und damit in einer anderen Branche tätig. Wie schwierig war der Umstieg in die Welt des Möbeldesigns?
Roberta Silva: Ursprünglich habe ich meine berufliche Laufbahn in der Lebensmittelbranche begonnen und 20 Jahre dort gearbeitet. Das war eine sehr spannende und abwechslungsreiche Tätigkeit. Aber da ich ein neugieriger Mensch bin, hat mich eine andere Branche gereizt und ich bin zur Unterhaltungselektronik gewechselt, obwohl ich keine Erfahrung in diesem Bereich vorzuweisen hatte. Der Wechsel war unter anderem auch deshalb interessant, weil ich mich in der neuen Position auf eine globale Ebene begeben habe und Verantwortung für das internationale Geschäft hatte. Letztendlich geht es immer um Emotionen, egal ob man in der Lebensmittelbranche, der Unterhaltungselektronik oder im Design arbeitet – man muss eine Sensibilität für die Bedürfnisse der KundInnen entwickeln. Das Problem der Designbranche ist meiner Meinung nach, dass sie in der Vergangenheit zu sehr auf das Produkt ausgerichtet war. Deshalb verankern wir bei Flos gerade eine stärkere KundInnenorientierung.
Franziska von Schumann: Bedeutet das auch, dass die Marke verjüngt werden soll?
Roberta Silva: Einerseits muss man erstmal das Erbe verstehen, um sich einer neuen Zeit zuwenden zu können. Andererseits war Flos in der Vergangenheit vielleicht auch ein wenig zu intellektuell und abgehoben, weshalb wir eher eine ältere Generation angesprochen haben. Mittlerweile gehören die Millennials und vermehrt auch die Generation Z zu unserer Zielgruppe – also junge Menschen, die neue Lebensmodelle verfolgen. Sie führen ein globales Leben und diesen Lifestyle wollen sie in Form von Design überall vorfinden, egal ob zu Hause, im Büro oder im Hotel. Daran wollen wir unsere Produktentwicklung anpassen.
Robert Volhard: Wie sieht die Umsetzung konkret aus?
Roberta Silva: Wir arbeiten an vielen neuen Produkten. Für die nächsten drei Jahre ist einiges geplant. Dazu kooperieren wir mit verschiedenen DesignerInnen, die in der Lage sind, in eine neue Richtung zu denken – wie etwa Konstantin Grcic. Wir entwickeln gerade ein neues Produkt mit ihm, das nächstes Jahr auf den Markt kommen soll. Dort wollen wir Design, Technologie und Nachhaltigkeit auf eine neue Weise zusammenbringen. Wir haben dieses Jahr aber auch schon "Skynest" von Marcel Wanders Studio in der Fabbrica Orobia präsentiert. Dabei handelt es sich um eine ornamentale Hängeleuchte mit einer geradezu hypnotischen Wirkung. Das Besondere von "Skynest" ist, dass ihr Licht nicht durch eine Glühbirne oder eine LED-Platine erzeugt wird, sondern von den Elementen, die die Struktur des Lampenschirms bilden. Dabei handelte sich um LED-Streifen, die mit recyceltem Stoff überzogen sind.
Franziska von Schumann: Wie kommt die Zusammenarbeit mit den DesignerInnen zustande und wie entwickeln Sie neue Produkte?
Roberta Silva: Bei unserer Ausstellung in der Fabbrica Orobia hatten wir zum Beispiel einige neue DesignerInnen zu Gast, um uns gegenseitig kennenzulernen. Mittlerweile treffen wir uns regelmäßig mit ihnen, um ihren Ansatz besser zu verstehen. Ein Beispiel ist der junge italienischen Künstler und Designer Guglielmo Poletti, mit dem wir zum ersten Mal zusammengearbeitet haben und der nun die Leuchtenserie "To-Tie" für uns entworfen hat. Das Ganze ist wie ein Ping-Pong-Spiel: Sie haben eine Idee, wir haben die entsprechenden Ressourcen und manchmal entwickelt sich daraus etwas Magisches. Es gibt viele Projekte, die lange Zeit auf Eis liegen, weil man nicht den richtigen Weg gefunden hat. Und manchmal, zum Beispiel bei dem Projekt mit Konstantin Grcic, beginnt es auf eine bestimmte Art und Weise und verwandelt sich dann in etwas ganz anderes. Es gibt diese Momente in der Konzeptentwicklung, wo man plötzlich erkennt, dass das Produkt da ist. Dann muss man weitermachen und die Feinabstimmung vornehmen. Aber man weiß, dass da ein Produkt ist, das einen Mehrwert für die KundInnen bietet.
Robert Volhard: Wir erinnern uns noch an eine Zeit, als Flos Produkte auf Messen präsentiert hat, die dann aber nicht in Produktion gegangen sind. Wir haben uns immer gefragt, warum man einen derartigen Aufwand treibt, um schlussendlich nur Enttäuschung hervorzurufen. Es scheint, als hätten Sie die internen Prozesse bei Flos nun diesbezüglich verändert.
Roberta Silva: Wir haben erstmal die interne Kommunikation verändert. Als ich bei Flos angefangen habe, hat die Forschungs- und Entwicklungsabteilung völlig isoliert gearbeitet. Wir haben den gesamten Prozess umgestaltet und das gesamte Unternehmen ist nun an allen wichtigen Schritten beteiligt. In der Vergangenheit war alles isoliert, was zu langwierigen Prozessen führte. An deren Ende standen oft unfertige Produkte, die nicht hergestellt werden konnten. Das war nicht nur sehr frustrierend für die DesignerInnen, sondern auch alles andere als wirtschaftlich und nachhaltig. Manchmal wurden unsere Prototypen auch in China kopiert, weil wir sie auf einer Messe präsentiert hatten und es dann einfach zu lange gedauert hat, um das Produkt zur Marktreife zu bringen. Ein weiterer Punkt war, dass die Marketingabteilung oft nichts davon wusste, wenn ein Produkt fertig war, weshalb es beim Erscheinen oft keine entsprechende Kampagne gab. Wir haben deshalb gemeinsam versucht zu verstehen, wie wir die Prozesse optimieren können und jetzt arbeiten alle MitarbeiterInnen abteilungsübergreifend zusammen. Nun beginnt alles zum richtigen Zeitpunkt, auch der Verkauf unserer Produkte.
Robert Volhard: Mit der "Outdoor Collection" von Flos haben Sie auch einen neuen Produktbereich geschaffen.
Roberta Silva: Ja, zum Beispiel in Form der "In Vitro"-Outdoor-Leuchtenkollektion von Philippe Starck, die wir für den Außenbereich entwickelt haben – ein ganz fantastisches Produkt! Jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, berühre ich die Leuchte, denn ich liebe es, mit ihr auf meiner Veranda zu sitzen. Sie hat einfach etwas Besonderes an sich. Generell haben wir in den letzten Jahren intensiv mit unseren DesignerInnen zusammengearbeitet, um neue Produktfamilien zu entwickeln. Diese Kooperationen sind ein wichtiger Faktor, aber wir haben auch viele patentierte Technologien entwickelt. Zu diesem Zweck arbeiten wir eng mit den verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsteams von Flos in der ganzen Welt zusammen. Das ist enorm wichtig, wenn man Antworten auf die Fragen der Gegenwart und Zukunft geben will: dass es nicht nur um Design, sondern auch um Technologie geht.
Franziska von Schumann: Inwieweit betrifft dies auch die Frage nach der Nachhaltigkeit Ihrer Produkte?
Roberta Silva: Das ist ein Punkt, an dem wir sehr intensiv arbeiten. Wir verwenden zum Beispiel keinen Klebstoff. Alle unsere Produkte sind zerlegbar und bestehen aus recycelbaren Materialien. Und es betrifft auch die verbauten Komponenten in den Produkten, mit denen wir eine höhere Langlebigkeit erzielen wollen. Wir entwickeln auch neue Materialien, wie etwa einen neuen Bio-Kunststoff, der aus den Abfällen der Papierproduktion hergestellt wird. Es geht aber nicht nur um neue Materialien, sondern auch um die Art und Weise, wie wir produzieren. Dafür muss man das Gesamtbild betrachten, um das Unternehmen in Einklang mit der Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Das ist keine einfache Aufgabe, aber wir arbeiten daran.
Franziska von Schumann: Sie haben gerade die Langlebigkeit Ihrer Produkte erwähnt. Dazu zählt auch eine gelungene Gestaltung, die dazu führt, dass die KundInnen dem Produkt einen emotionalen Wert beimessen und es nicht einfach entsorgen.
Roberta Silva: Ja, das stimmt: Eine gelungene Gestaltung kann nachhaltig sein. Sie bringt aber nichts, wenn das Produkt nach ein paar Monaten kaputt geht. Deshalb setzen wir auf drei zentrale Themen: Design, Technologie und Nachhaltigkeit.
Robert Volhard: Wie kommunizieren Sie diese Themen?
Roberta Silva: Wir digitalisieren das Unternehmen gerade in einem sehr schnellen Tempo. Das betrifft auch die Kommunikation. Als ich bei Flos angefangen habe, wurden noch jede Menge Kataloge benutzt. Aber braucht man heutzutage wirklich noch einen Katalog, zumal dafür viele Ressourcen verbraucht werden? Die Digitalisierung erlaubt es uns, unsere Produkte in kürzeren und feiner abgestimmten Zeitintervallen zu präsentieren. Gleichzeitig können wir sie in Form eines anderen Narrativs erzählen, das weniger eine Produktpräsentation ist, sondern eine Hintergrundgeschichte liefert. Die Digitalisierung betrifft allerdings nicht nur unsere Kommunikation, sondern auch unser Business-Modell: Es gibt zum Beispiel bei vielen Online-Händlern eine Art Flos-Shop. Der Vertrieb verändert sich durch E-Commerce gerade grundlegend.
Franziska von Schumann: Sie haben diese Veränderungsprozesse während der Pandemie angestoßen. Mittlerweile ist der Krieg in der Ukraine hinzugekommen. Welchen Einfluss haben diese Krisen auf die von Ihnen angestoßene Neuorientierung?
Roberta Silva: Ich habe im Juni 2019 bei Flos angefangen und bin sofort viel gereist, um mich zu vernetzen. So sind schon vor der Pandemie wichtige Verbindungen entstanden. Aber im Grunde geht es beim Umgang mit Krisen um Resilienz: Man muss widerstandsfähig sein. Im Übrigen sind wir während der Pandemie sehr stark gewachsen, was vor allem an der erhöhten Nachfrage im Bereich der Inneneinrichtung lag. Aber natürlich macht uns der Krieg in der Ukraine und die sich abzeichnende Energiekrise Angst – und trotzdem gibt es immer einen Weg, um bestimmte Probleme zu lösen. So war es auch zu Beginn der Pandemie: Zunächst hat man Angst, aber dann beginnt man die Situation besser zu verstehen und entwickelt Lösungsansätze. In jeder Krise steckt auch die Chance für einen Neuanfang.