Champions und Geheimfavoriten
Flandern und die Niederlande sind in diesem Jahr Ehrengäste der Frankfurter Buchmesse. Auch wenn natürlich die Schriftsteller unserer Nachbarn im Mittelpunkt des Interesses stehen, bekommen die bildenden Künste der Gastländer zur Messezeit ebenfalls traditionell Gelegenheit zu einem Auftritt.
Im Deutschen Architekturmuseum am Schaumainkai widmet man sich unter dem Titel „Maatwerk/Maßarbeit“ niederländischen und flandrischen Architekten – und die müssen sich hinter ihren schreibenden Kollegen keinesfalls verstecken, im Gegenteil. Der Einfluss und die Bedeutung insbesondere der Niederländer auf die Entwicklung der Architektur ist in den letzten Jahrzehnten immens gewesen. Internationale Stars ihrer Zunft wie der Pritzker-Preisträger Rem Koolhaas, wie Ben van Berkel oder die Büros MVRDV und Mecanoo haben die Baukunst des neuen Jahrtausends maßgeblich mitbestimmt. Oftmals lieferten die Niederländer dabei sowohl formal als auch funktional Spektakuläres ab. Allein die Meilensteine in der Karriere von Rem Koolhaas zu benennen, würde hier den Rahmen sprengen – genannt seien nur seine epochemachende Villa in Saint-Cloud bei Paris oder die Botschaft der Niederlande in Berlin. Auch in städtebaulicher Hinsicht passiert in den Niederlanden vielerorts Aufsehenerregendes: Konsequent wird der Wohnungsbestand aufgestockt, renoviert und erneuert. Allein in Nieuw West, den endlosen Nachkriegsgroßsiedlungen im Westen Amsterdams mit weit über 100.000 Einwohnern, wurden in den letzten Jahren im Rahmen der Stadterneuerung tausende von alten Wohnungen abgerissen und durch zeitgemäße Bauten ersetzt.
Der flandrischen Architekturszene fehlen zwar die Superstars, dennoch genießt sie – ähnlich wie die belgische Fußballnationalmannschaft – zunehmend den Status als Expertenliebling. Als „die Radikalität des Normalen“ hat die renommierte Architekturzeitschrift ARCH+ den Stil charakterisiert, der sich in Flandern in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat und dessen momentan wichtigste Vertreter unter anderem die Büros Robbrecht en Daem, MJosé Van Hee oder De Vylder Vinck Taillieu sind. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie eine undogmatischen Moderne verfechten, mithin eine Architektur, deren Formen sich allein aus der Bauaufgabe und dem Bauplatz herleiten. Die flämischen Architekten seien in der Lage, so schreibt der Architekturforscher Tom Avermaete in der ARCH+, „ihre Disziplin im wirklichen Leben neu zu erfinden.“
Es gibt also gute Gründe, den Besuch in Frankfurt um mindestens einen weiteren Programmpunkt neben der Buchmesse zu ergänzen. Aber nicht nur das Deutsche Architekturmuseum hat die diesjährigen Gastländer der Buchmesse im Programm und deren Besucher im Visier. In fast allen Ausstellungshäusern der Stadt werden im Oktober niederländische oder belgische Künstler gezeigt: Fiona Tan und Willem de Rooij im Museum für Moderne Kunst, Jos de Gruyter und Harald Thys im Portikus, David Claerbout im Städel.
Dem Kulturleben unserer westlichen Nachbarn kann man sich also in diesem Monat in Frankfurt in zahlreichen Fassetten widmen. Legen sie also ruhig einmal das Buch zur Seite!
Ausstellungen während der Frankfurter Buchmesse:
Maatwerk / Maßarbeit. Architektur aus Flandern und den Niederlanden
Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Main
8. Oktober 2016 bis 12. Februar 2017
Fiona Tan. Geografie der Zeit
Museum für Moderne Kunst – MMK 1
Domstraße 10
60311 Frankfurt am Main
17. September 2016 bis 15. Januar 2017
Willem de Rooij. Entitled
Museum für Moderne Kunst – MMK 2
TaunusTurm
Taunustor 1
60310 Frankfurt am Main
14. Oktober 2016 bis 8. Januar 2017
Jos de Gruyter & Harald Thys. White Suprematism
Portikus
Alte Brücke 2
60594 Frankfurt am Main
24. September 2016 bis 20. November 2016
David Claerbout. Die reine Notwendigkeit
Städel Museum
Dürerstraße 2
60596 Frankfurt am Main
28. September 2016 bis 23. Oktober 2016