Eigenartig, dass ausgerechnet Kortrijk, diese kleine Stadt in Belgien, etwa 150 Kilometer westlich von Brüssel und nahe bei Lille, das Zeug zu einer europäischen Design-Hauptstadt hat. Doch beim Rundgang durch die sechs Hallen der kuratierten Interieur Biennale konnte man auch dieses Jahr ins Staunen kommen. In der Provinz in Westflandern gelingt, was andere Messen vergeblich versuchen: ein fundiertes Programm mit mehreren spannenden Ausstellungen, dazu atemberaubende Inszenierungen von Herstellern, die ihre Stände zu regelrechten Trend-Plattformen ausgebaut haben und ein breiter Fundus an unterschiedlichsten Ansätzen des Designs, das seine schillernden Möglichkeiten in einer Dichte präsentiert, die es wohl kaum an einem anderen Ort gibt. Bekannte große Möbelfirmen stellen ihre Neuheiten neben kleinen belgischen Türen-Herstellern aus, dazwischen präsentieren High-Tech-Firmen Neuerungen im Dolby Surround-Bereich und Textillabel oder Porzellanmanufakturen zeigen ihre Schätze. Was zunächst vielleicht irritierend klingt - Kortrijk legt seine Aussteller nicht auf Möbel, Küchen oder Leuchten fest - entpuppt sich als Vorteil für die Sache selbst: Auf 40.000 Quadratmetern wird Design mit großer Selbstverständlichkeit als eine übergreifende Sache verstanden, die nicht nur im Wohnzimmer Platz hat und längst auch außerhalb des Bads zu finden ist. Steigende Besucherzahlen und die wachsende Liste an Ausstellern, die keinen Platz in den Messehallen ergattern konnten und draußen bleiben müssen, gibt dem Konzept der vor vierzig Jahren ins Leben gerufenen Messe Recht.
Natürlich Jaime Hayon
Ausgerechnet Jaime Hayon haben sich viele vielleicht gedacht: Der diesjährige Ehrengast ist kein unbeschriebenes Blatt. Seine lustigen, teilweise frivol nutzlosen Gegenstände sind spätestens seit letztem Jahr omnipräsent; in der Sonderausstellung auf der Messe waren sie nun in ungewöhnlicher Dichte zu sehen. Auf Podesten tummelten sich lustige grüne Schaukelhühner und kleine Keramikfiguren, knallgrüne Schuhe sowie barocke Badmöbel - ein phantastisches Ensemble kam derart zusammen. „Design is a funny thing", resümierte Dieter van den Storm, der Koordinator der Interieur 2008 zu Recht und mit Blick auf die Design-Debatte. Nach den mageren Jahren des Minimalismus werfen Hayons Arbeiten Fragen auf, die die Zukunft des Design betreffen: Maximalismus oder Funktionalismus, serielle Produktion oder exklusiver Kunstcharakter, mediteraner Digitalbarock oder nordische Zurückhaltung? Eingebettet in diesen Diskurs, der weit über Stilfragen hinausgeht und die gesellschaftliche Relevanz von Design hinterfragt, zeigt Hayons Gesamtwerk ein erstaunliches Potenzial, das auch vor dem schlechten Geschmack nicht zurückscheut, sondern ihn mit Genuss zelebriert. Am Ende des Rundgangs mag man staunend anerkennen: Design als individuelle Märchenwelt und der Designer als Künstler - dies ist vielleicht Mittel, auf die heutigen Bedingungen zu reagieren. Zumindest aber ist es Hayons Welt der grotesken Fabelwesen und der Alice-im-Wunderland-Ausstattung ein Ansatz, der sich vor kritischen Fragen nach der Zukunft des Design nicht drückt und sie mit provokanter Freude ausspielt. Das Spektakuläre war schon immer Sache des Spaniers - jenes liebenswürdigen enfant terrible, der aufgrund seiner überbordenden, sympathischen Kreativität zu everybody's darling avancierte. Im Kontext der internationalen Design-Debatte erhalten seine Gesten, die von vielen als Scherz aufgenommen wurden, eine gesellschaftliche Relevanz, die mit subversiver Note auf schwierige Fragen reagiert.
Stefan Schöning und echte Neuheiten
Dass neben dem Superstar Hayon natürlich auch leisere Könner der Szene und Newcomer gefeiert wurden, versteht sich von selbst. Die Jury der Interieur kürte den Antwerpener Stefan Schöning zum Designer des Jahres 2008 - sein reduzierter Garderobenständer aus gebogenem Draht für Desalto oder seine Straßenampeln und Uhren für öffentliche Orte scheinen in krassem Gegensatz zu Hayon zu stehen. Auf der „Young Designers Fair" waren jede Menge studentischer Entwürfe zu sehen, die ein breites Spektrum an bunter Experimentierlust dokumentierten und teilweise ungeahnte Pointen und Sinn für Humor zeigten. Viele Firmen nutzten die Interieur auch dieses mal nicht als kleine Nebenmesse, sondern als Plattform, um Neuheiten einem internationalen Publikum vorzustellen: Walter Knoll beispielsweise legte mit „My Chair" einen ungemein reduzierten Lounge Chair auf, entworfen von Ben van Berkel, dessen klare Linien und sparsamer Umgang mit Material das Zeug dazu haben, den Barcelona Chair aus den Hotellobbys zu vertreiben. Der belgische Leuchtenhersteller Dark zeigte eine Deckenleuchte von Stefan Schöning, die wie ein Drahtkäfig aussieht und statt eines Vogels eine Glühbirne umschließt. Viele belgische Firmen nutzen die Interieur als ihre Hausmesse und überraschen mit gekonnten Inszenierungen. Der Messestand von Modular Lighting Instruments stach aus allen anderen hervor: Ein Konglomerat aus knallbunten Holzbuden, mit Graffiti besprüht und Plakaten beklebt. Wer die Leuchten der avantgardistischen belgischen Firma sehen wollte, musste sich durch enge Gänge in kleine Räume schieben, in denen verschiedene trendige Alltagssituationen aus den Siebzigerjahren nachgebildet waren. Im kultigen Supermarkt mit Vintage-Harribo-Regal und altertümlichen Kasse, im Jeansladen oder im DJ-Raum, dessen beachtliche Plattensammlung auf zwei runden Plattenteller abgespielt wurde und den ganzen Stand beschallte, drängten sich die klusterartigen und kreisförmigen Wandleuchten von Modular Lighting nicht auf, sondern fügten sich in das Szenario ein als ob sie schon immer dort gewesen wären. Für Bewirtung am Stand war in einer Rotlichtecke gesorgt: Die Gestalter des Messestandes von der belgischen Rotorgroup setzten den Schriftzug „Diabolo Nude Bar" über den Tresen. Hier trafen sich die jungen, experimentierlustigen Sportsfreunde des Designs. Und von ihnen gibt es in Kortrijk erfrischend viele.