MICROLIVING
Urlaub zu Hause
Stuttgart-Speckgürtel: Wer hier ein bezahlbares Eigenheim verwirklichen will, muss kreativ sein. Bauplätze sind rar und entsprechend teuer. Hinzu kommen die hohen Baukosten innerhalb der Stadtregion – Herausforderungen, denen sich auch ein älteres Ehepaar aus Esslingen stellen musste. Die Lösung lautete "Restgrundstück", genauer gesagt eine neun Meter breite und 33 Meter lange Parzelle in Hanglage, die bislang als Parkplatz genutzt wurde. Darauf wollten die beiden für ihr Wohnmobil einen Carport stellen. Als im Zuge der Planungen aber klar wurde, dass man dort ein Haus errichten darf, beschlossen sie, den langgehegten Traum von den eigenen vier Wänden umzusetzen.
Mit Finckh Architekten fanden sie den richtigen Partner. Das von den beiden Brüdern Thomas Sixt Finckh und Chris Finckh geführte Büro aus Stuttgart ist auf schwierige Fälle und ungünstig geschnittene Grundstücke spezialisiert. Das neue Projekt sollte laut den Bauherren ein "Zuhause werden, an dem wir jeden Tag im Urlaub sein dürfen". Um dieses Ziel bei gleichzeitig überschaubaren Kosten zu erreichen, verfolgten sie eine Strategie, die sich grob in die Punkte Platzersparnis, einfache Konstruktion, günstige Materialien und Eigenleistung aufteilen lässt: Das Resultat ist ein längliches, dreigeschossiges Mikrohaus, das die Hanglage geschickt ausnutzt und sich pavillonartig ins Gelände einschmiegt. Im Grundriss mit insgesamt 126 Quadratmetern Nutzfläche verschmelzen die Wohnbereiche miteinander, sind aber gleichzeitig durch einzelne Ebenen getrennt. Wohn- und Esszimmer inklusive großzügiger Terrasse befinden sich als offenes Raumkontinuum im Erdgeschoss, das Schlaf- und Arbeitszimmer als Galerie darüber. Bäder, Küche und Stauraum sind als dienende Raumschichten an einer der Längsseiten des Gebäudes angeordnet. Die Verkehrsfläche ist auf ein Minimum reduziert, die Treppe ein Teil des Mobiliars, in deren Hohlraum auch noch Platz für ein WC ist. Im Untergeschoss wird die auskragende Terrasse dank Hanglage zum Dach für den Carport. Daran schließt der Keller mit Lagerflächen und einer kleinen Werkstatt an. Die polygonale Dachform, die sich wie ein Zelt über die Wohnbereiche legt, bildet dabei einen gelungenen Kontrapunkt zur offenen Struktur. Gleichzeitig definiert eine abgeschrägte Giebelwand aus Polycarbonatplatten den Eingangsbereich.
Womit man bei der Konstruktion wäre, die als hybride Bauweise geplant wurde: Im Untergeschoss und Erdgeschoss kam Stahlbeton zum Einsatz, im Dachgeschoss ein Holzrahmenbau mit einem Sparrendach. Die kostengünstigen hellgrauen Wellzementfaserplatten der Fassade dienen auch als Dachdeckung, was dem Gebäude ein homogenes, fast skulpturales Erscheinungsbild verleiht. Die damit einhergehende "Industriebauästhetik" findet ihre konsequente Fortsetzung im Innern. Dort fällt indirektes Licht durch die transluzente Giebelwand und trifft auf den sichtbar belassenen Beton von Boden, Wand und Decke. Die Architekten sprechen in diesem Zusammenhang gerne von einem "veredelten Rohbau" und tatsächlich bildet das monochrome Grau eine perfekte Leinwand für ein sich immer wieder änderndes Licht- und Schattenspiel. Da schnöde Heizkörper bei so viel Reduktion nur stören würden, wurden die Heizleitungen in die Stahlbetondecken verlegt, die bauteilaktiviert als Fußbodenheizung dienen. Dank der geschickten Platzierung des Hauses blieb trotz kleinem Baugrund auch ein Stück Garten erhalten. Der wird über eine große verglaste Schiebetür, die sich vom Wohnbereich zur Terrasse öffnet, entsprechend inszeniert. Ob das Wohnmobil bei soviel Eigenheimidylle überhaupt noch zum Einsatz kommt, sei dahingestellt. Das gewünschte Urlaubsfeeling der Bauherren in den eigenen vier Wänden dürfte jedenfalls vorhanden sein.