450 Kilometer nordöstlich von St. John’s, der Hauptstadt von Neufundland, liegt Fogo Island, in einer Bucht voller kleiner Inseln, darunter auch eine, die New World heißt. Lange Zeit war das Leben an diesem Ort von der Kabeljaufischerei bestimmt, die Überfischung im vergangenen Jahrhundert hat dieser Erwerbsform jedoch beinahe ein Ende gesetzt. Fogo hat heute 2500 Einwohner und man erreicht die Insel nach einer 45-minütigen Überfahrt mit der Fähre, die von einem Hafen mit dem schönen und passenden Namen „Farewell” – „lebe wohl“ – ablegt. Man kommt hierher, um Eisberge oder Wale zu sehen. Wenn man sich den Helikopter aber nicht leisten kann und den ganzen Tag mit dem Auto den „Trans Canada Highway“ nordwärts gefahren ist, sehnt man sich nach einem wirklich guten Espresso. Und den bekommt man neuerdings in dieser Landschaft aus rosa-grauem Granit, Flechten und kleinen, nebelverhangenen Tümpeln am äußersten Rand Kanadas.
Nachdem das Packeis zu Beginn des Jahres geschmolzen war, dürften einige der Eisberge auf ihrem Weg in den Süden Containerschiffen begegnet sein, die feine italienische Baumwollstoffe, flauschige türkische Handtücher, Dornbracht Armaturen, Duravit Dusch-WCs und Aufzüge von ThyssenKrupp geladen hatten. Dass diese ausgesuchten Dinge auf dem Weg nach Fogo waren, ist Zita Cobb zu verdanken. Auf der Insel geboren, zog sie weg, um zu studieren und machte schließlich in der Faseroptikindustrie ein Vermögen. Im Jahr 2000 war sie die am drittbesten bezahlte weibliche Führungskraft in den Vereinigten Staaten. Aber wie schon so viele Inselbewohner vor ihr zog es sie zurück zu ihren Wurzeln. Mit der Hilfe ihrer zwei Brüder gründete sie die „Shorefast Foundation”, um die Bewohner und ihre Insel zu unterstützen. Während einer Bürgerversammlung machte sie den Vorschlag, Stipendien für die Jugend einzurichten. Dabei meldete sich eine Frau und gab zu bedenken: „Es ist wirklich prima, wie Sie sich einsetzen. Aber ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie unsere Kinder dadurch wegschicken? Sie sind eine smarte Frau – können Sie nicht hier Jobs schaffen?”
Smart genug, stellte sich Zita Cobb der Herausforderung. Und Cobb kam zu dem Entschluss, dass der Tourismus den Ausweg versprach. Antrieb dafür seien Kunst und Kultur. So beauftragte Cobb Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien, ein Artist-in-Residence-Programm für die Insel zu entwickeln. Außerdem lud Cobb den gebürtigen Neufundländer und Architekten Todd Saunders ein, Atelierhäuser für die Künstler zu entwerfen.
Tourismus kann durch gutes Design gefördert werden, dachte sich Cobb. Schließlich wünscht sich der anspruchsvollere Weltenbummler mehr als ein „Bed & Breakfast“ mit durchhängendem Bett und tendenziell schlechtem Frühstück. So entwickelte die „Shorefast Foundation” ein nachhaltiges Modell für die Post-Kabeljau-Ära und schuf einen Ort, an dem moderne Kunst mit einer wunderbaren Landschaft verschmelzt: das „Fogo Island Inn”.
Auch für dieses Projekt holte man Todd Saunders. Und er entwarf ein hochmodernes Gebäude. Saunders ist vielfach für seine Architektur ausgezeichnet worden und wie Cobb ist er im Laufe seines Berufslebens viel gereist: Nachdem er am „Nova Scotia College of Art and Design” in Halifax und an der “McGill University” in Montreal studiert hat, ist er seit 1996 in Bergen, Norwegen, ansässig. Die meisten seiner Gebäude stehen in Skandinavien, größtenteils Privathäuser, bei denen er durch die Verwendung lokaler Materialien und Handwerkskunst in Verbindung mit moderner Architektur auf Nachhaltigkeit setzt. Er ist weniger der „Glas-Beton-Mann“ als vielmehr der „Glas-Holz-Mann“. Der Einsatz von Glas als visuell durchlässige Verbindung zwischen dem Gebäude und seiner natürlichen Umgebung ist ihm außerordentlich wichtig, um das Innen mit dem Außen zu verbinden.
Diese Vision hat er auch für das Hotelprojekt in Fogo umgesetzt. In einer Landschaft, in der drei Stockwerke an Überheblichkeit grenzen und vor allem Kirchtürmen vorbehalten sind, stießen seine vorgeschlagenen vier Stockwerke schnell auf Einwände älterer Einheimischer. Saunders entschied sich für eine Konstruktion aus Kuben, die dem zerklüfteten Granit mit seinen scharfen Kanten nachempfunden ist. Den Betonkern verkleidete er mit hellgrauen Holzplanken, die an die Außenwände der traditionellen „Salt Box Houses“ erinnern, wie sie für die Region und auch für Fischerboote typisch sind. Ins Auge fällt vor allem der zum Meer gerichtete Teil des Gebäudes, der auf Pfählen steht, jedoch ganz und gar nicht als Verneigung vor Corbusier; vielmehr wird hier die neufundländische Tradition der auf Pfählen errichteten Fischerhütten am Wasser aufgegriffen, in denen Gerätschaften und Netze verstaut werden. Die Farbe des Gebäudes ist nicht weniger sorgfältig durchdacht, denn das Gebäude wirkt im Nebel mitunter fast unsichtbar.
„Fogo Island Inn” wurde im Mai zunächst für die Einwohner der Insel eröffnet, alle durften hier einmal kostenlos übernachten. Das Hotel verfügt über 29 Zimmer und eine Bruttogeschossfläche von 4000 Quadratmetern. Von den Whirlpools auf dem Dach kann man in die Sterne schauen, außerdem gibt es ein weiträumiges Restaurant, ein Bar, eine Galerie, ein Kino und eine Bibliothek, unter anderem mit einer beeindruckenden Auswahl von Büchern zu maritimen Themen und Fischereigeschichte sowie zahlreichen Publikationen aus dem Verlag Lars Müller.
So wie das Äußere des Gebäudes sind auch die Innenräume vorwiegend im gräulichen Weiß der Gischt des Meeres gehalten, wobei auch hier vor allem Holz eingesetzt wurde. Die zum Meer gerichtete Vorderseite des Gebäudes ist fast vollständig verglast – die Fenster wurden alle vor Ort hergestellt – während auf der Rückseite als Schutz vor dem starken Wind die Holzplanken dominieren. Es ist ein erhebendes Gefühl, durch die raumhohen Fenster zu schauen, wissend, dass sich von hier aus bis zur Arktis nur die unendliche Weite des nordatlantischen Ozeans erstreckt.
Die Möbel und Inneneinrichtung wurden in mehreren Schritten beauftragt, und zwar anfangs geleitet von Elisabet Gunnarsdottir, der ersten Direktorin der „Fogo Island Arts“. Gunnarsdottir ist Isländerin und hat 2010 den Workshop für die Künstler organisiert. 13 Designer haben die Innenräume gestaltet: die Beleuchtung, die Stühle, die kleinen gusseisernen Öfen, die gestrickten Teppiche, die Quilts und die gehäkelten Kissen und Tapeten, die, wenn man genau hinschaut, humorvoll die Umgebung abbilden.
Das von den meisten Designern bevorzugte Material ist Holz aus lokalen Quellen. Es gibt gedrechselte Treppengeländer aus Kiefernholz, mit Schiffslack versiegelte Böden, Beistelltische aus CNC-gefrästem Kiefernholzlaminat sowie von Hand gefertigte hölzerne Schaukelstühle. Die Zimmer sind an einer Seite mit einer Leiste ausgestattet, die vom Prinzip her dem „Citterio Office System“ gleicht. Spiegel, Kleiderhaken und Regale können nach Belieben in sie eingehängt werden. Auch die Beleuchtung im Speisesaal hat einen lokalen Bezug, hier wurden miteinander verknotete alte Bootstaue eingesetzt, sie unterstreichen effektvoll die enorme Höhe des Raums. Das einzige Detail, das nicht bedacht wurde aber den überaus gelungenen gestalterischen Gesamteindruck kaum schmälern kann, sind die „Sambonet“-Essbestecke, deren Messer zwar schön und schwer in der Hand liegen, aber daher auch gerne vom Teller rutschen.
Die Schwerkraft zu besiegen ist auch für Designer nicht einfach. Erstaunlich ist, dass im Gegensatz zur antiseptischen Atmosphäre so mancher „Designerhotels“ hier trotz des minimalistischen Ansatzes ein warmes und lebendiges Ambiente geschaffen wurde. Cobb, Gunnarsdottir und Saunders führen uns dadurch ganz unfreiwillig vor Augen, dass wir gut gestaltete und nicht „Designer-“ Hotels brauchen.
Das Projekt hat internationale Designer und einheimische Handwerker zusammengebracht: Zum Beispiel Rex, der eigentlich schon fast vergessen hatte, dass er Fenster bauen kann. Er wurde durch die Stiftung ermutigt, eine alte Tradition wiederzubeleben. Sein Großvater hatte in den Wintermonaten, wenn nicht gefischt wurde, Holzfenster gebaut und Rex hatte als Junge geholfen. Jetzt hat er alle Fenster für die dem Meer zugewandte Seite des Gebäudes auf Maß gefertigt, einige davon sind sogar dreieckig, um der keilförmigen Architektur zu entsprechen. Mittlerweile liefert er seine Fenster an andere neufundländische Firmen, die alte Häuser restaurieren, um diese als Feriendomizile zu vermieten. Rex ist nur einer von 25 Einwohnern der Nachbargemeinde, die nun im „Fogo Island Inn” arbeiten.
In einer Monografie über das Werk von Todd Saunders, die der Birkhäuser Verlag 2012 herausgebracht hat, ist zu lesen, dass das „Fogo Island Inn” voraussichtlich 2013 fertig gestellt werden wird. Die Tatsache, dass das Gebäude schon viel früher fertig wurde, spricht nur für den Eifer der Inselbewohner, die dieses Schmuckstück auch ein bisschen für sich selbst gebaut haben. Denn alle Gewinne, die das Hotel erwirtschaftet, kommen der Insel zugute. Profite für einen guten Zweck. Ein alter Fischer von „New World Island“ gab zu Bedenken, dass die Preise im „Fogo Island Inn“ ungeheuerlich seien. Bedenkt man aber, dass Vollpension und jede Tasse guter Kaffee im Preis inbegriffen sind, und man damit einen Beitrag für die Zukunft der Insel leistet, so ist der Übernachtungspreis von rund 200 US-Dollar pro Person ungeheuerlich niedrig. Und man bezahlt immer noch weniger als in den meisten halbwegs akzeptablen Unterkünften in Manhattan.
Hier offenbart sich aber auch ein weiterer Aspekt der unternehmerischen Weitsicht von Zita Cobb. Auf Fogo gibt es kein Restaurant geschweige denn einen Ort, an dem man einen guten Kaffee bekommt. Daher ist die Vollpension in „Fogo Island Inn” quasi Pflicht. Kaum jemand dürfte dies aber bereuen. Das Restaurant hat kürzlich eine nationale Auszeichnung erhalten und die Küche nimmt den roten Faden der Designer auf. „Auf unserer Karte stehen Fisch und Meeresfrüchte aus dem Nordatlantik, gesammelte Wildpflanzen und -beeren sowie lokale Produkte der Saison“, erklärt Küchenchef Murray McDonald, „Ich arbeite mit traditionellen Zutaten, die die Einheimischen schon immer verwendet haben, und kreiere mit ihnen die neue neufundländische Küche.” Irgendwann jedoch muss man leider wieder abreisen, dann heißt es, wenn man wieder auf der Fähre steht: „Auf Wiedersehen Fogo“ und „Hallo Farewell“.
www.saunders.no
www.fogoislandinn.ca
www.shorefast.org
Publikation:
Architecture in Northern Landscapes
Saunders, Todd / Bell, Jonathan / Stathaki, Ellie
Birkhäuser, 2012
49,95 Euro